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Verteidigung nach Trumps Drohung Diese 500-Milliarden-Euro-Frage müssen die Europäer knacken - für ihr Überleben

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Von der Leyen will die EU-Schuldenregeln aufweichen, um in Verteidigung zu investieren.

Von der Leyen will die EU-Schuldenregeln aufweichen, um in Verteidigung zu investieren.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Der Geduldsfaden von US-Präsident Trump ist kurz. Die Europäer müssen schnell herausfinden, wie sie sicherheitspolitisch unabhängiger von ihm werden. Dafür müssen sie Hunderte Milliarden Euro auftreiben.

Der US-Präsident hält den Europäern ihre Unzulänglichkeiten vor Augen - seien sie finanzieller, militärischer oder strukturelles Natur. Angesichts von Donald Trumps Drohgebärden, nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa sicherheitspolitisch fallen zu lassen, rücken in der EU vor allem die Geldnöte in den Fokus. Dabei geht es auch um das Überleben der Europäischen Union. Satte 500 Milliarden Euro zusätzlicher Verteidigungsausgaben veranschlagt die EU-Kommission für einen Zeitraum von zehn Jahren. Es gibt verschiedene Antworten auf die Frage, wie das finanziert werden soll. Aber bislang keine Einigkeit. Das wird schon bei den Diskussionen um eine vergleichsweise kleine Summe deutlich: 20 Milliarden Euro, die Brüssel jetzt an Kiew überweisen will.

Auf einem Sondergipfel am 6. März sollen die europäischen Staats- und Regierungschefs darüber beraten. Die Idee stammt von der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas. Sie will damit unter Beweis stellen, dass die Europäische Union die Ukraine auch unabhängig von den USA stützt. Das ist aber schwierig: Kallas plant die Hilfsgelder nicht etwa als EU-Paket zu überweisen, sondern in gebündelten Beiträgen einzelner Mitgliedstaaten. Grund dafür sind Quertreiber wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der in Brüssel als Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin gilt. Gegen ein EU-Paket würde Orban ein Veto einlegen. Kallas' Plan bekommt jedoch Gegenwind aus anderen Ecken der EU. Vor allem Portugal, Italien und Spanien sträuben sich laut dem Portal Politico dagegen, die Hilfsgelder aus ihren nationalen Haushalten zu stemmen. Sie fordern eine Finanzierung durch EU-Gelder, etwa durch gemeinsame europäische Schulden.

Die Debatte über gemeinsame EU-Schulden für die Verteidigung tobt schon seit dem vergangenen Jahr. Der damalige Binnenmarkkommissar Thierry Breton brachte den 500 Milliarden Euro schweren Verteidigungsfonds ins Spiel, der aus EU-Krediten gespeist werden sollte. Angesichts von Trumps Drohungen nimmt sie an Fahrt auf. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirbt für den schuldenfinanzierten Fonds, auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron pocht darauf. Allerdings lehnen sowohl der scheidende Kanzler Olaf Scholz als auch sein Amtsnachfolger Friedrich Merz dies bislang strikt ab. Deutschland müsste nämlich aufgrund seiner Wirtschaftskraft den Löwenanteil bei der Finanzierung stemmen.

Merz entwirft Vision von Verteidigungsfähigkeit Europas

Vielleicht könnte Merz aber noch einmal umdenken. Zum einen steht er angesichts der nationalen Haushaltslage mit Blick auf einen erhöhten Wehretat unter Zugzwang: Im neuen Bundestag, der Ende März zusammentritt, könnten AfD und Linke eine Änderung der Schuldenbremse oder ein neues Sondervermögen blockieren. Ohne sie käme die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht zustande. Merz sucht deshalb das Gespräch mit SPD, Grünen und FDP - in der Hoffnung, noch mit dem alten Bundestag die nötigen Beschlüsse zu fassen. Im Gespräch ist eine Aufstockung des bestehenden Sondervermögens für die Bundeswehr. Es ist zweifelhaft, ob ihm das in der Kürze der Zeit gelingt. Gemeinsame EU-Schulden würden Merz daher eine Gelegenheit bieten, außerhalb des engen Spielraums der Schuldenbremse an frisches Geld zu kommen.

Zum anderen hat Merz bereits eine Vision von der Verteidigungsfähigkeit Europas entworfen, die ambitioniert ist, und damit auch teuer. "Für mich wird absolute Priorität haben, so schnell wie möglich Europa so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt auch wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA", sagte er am Abend der Bundestagswahl in der ARD. Will Europa tatsächlich sicherheitspolitisch auf eigenen Beinen stehen, wird es tief in die Tasche greifen müssen.

Die EU hat bereits während der Pandemie 750 Milliarden Euro für einen Corona-Wiederaufbaufonds durch gemeinsame Schulden finanziert. In Deutschland gab es damals eine Verfassungsbeschwerde dagegen, die das Bundesverfassungsgericht aber zurückwies. Dass die EU Schulden aufgenommen hat, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie in den Mitgliedstaaten zu bewältigen, ist demnach zulässig. Das Gericht führte nur eine Einschränkung an: Die Mittel dürften nur der Bewältigung der Pandemie dienen. Juristisch gesehen wäre es also möglich, zweckgebundene Mittel für die Verteidigung in einen neuen Fonds fließen zu lassen.

Von der Leyen will Schuldenregeln aussetzen

Es stellt sich jedoch die Frage nach der Umsetzbarkeit: Wie sollen die Mittel, sind sie erstmal da, verwaltet und abgerufen werden? Verteidigungskommissar Andrius Kubilius wurde zwar beauftragt, einen gemeinsamen Binnenmarkt für die Rüstungsindustrie zu schaffen. Aber er trat seinen Posten, den es vorher so nicht gab, erst vor wenigen Monaten an. Dementsprechend beginnt die EU erst mit dem Versuch, die nationalen Rüstungsindustrien, die bislang erbitterte Konkurrenten waren, zu harmonisieren. Mit ungewissem Ausgang.

Sogar falls Merz noch umschwenkt: Für gemeinsame EU-Schulden bräuchte es wohl einen einstimmigen Beschluss der europäischen Staats- und Regierungschefs. Hier winkt wieder Orban mit seiner Blockade-Haltung - und, neben ihm, der fast genauso russlandfreundliche slowakische Präsident Robert Fico.

Von der Leyen verweist deshalb erst einmal auf ein anderes Instrument, das sie ebenfalls während der Pandemie nutzte: Die Aussetzung der EU-Schuldenregeln, die gerade erst reformiert wurden. Dies soll durch eine sogenannte Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts für den Bereich Verteidigung geschehen. Der Pakt begrenzt die Neuverschuldung eines jeden EU-Landes auf drei und den Schuldenstand auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Hoch verschuldete Staaten wie Italien oder Frankreich haben ihre Belastungsgrenze aber bereits erreicht. Wie sollen sie weitere Kredite aufnehmen, ohne am Ende eine neue Eurokrise zu provozieren?

EU darf Verteidigung nicht aus regulärem Haushalt finanzieren

Es gibt auch die Idee, die Vorgaben des Corona-Wiederaufbaufonds zu ändern, um nicht abgerufene Mittel von dort in die Verteidigung fließen zu lassen. Das ist aber kompliziert und juristisch schwierig - auch mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das auf die Zweckgebundenheit der Mittel pochte. Aus anderen Töpfen umzuschichten, geht nicht - ihre Verträge verbieten es der EU, Militärausgaben aus ihrem regulären Haushalt finanzieren.

Bleibt noch die Forderung der baltischen, nord- sowie einiger osteuropäischen Staaten, das in Belgien eingefrorene Vermögen der russischen Zentralbank einzukassieren; mehr als 200 Milliarden Euro. Bislang werden nur die Zinsen des Vermögens genutzt, um der Ukraine zu helfen. Aber auch dieser Vorstoß ist juristisch umstritten.

Es wird knifflig, die Frage zu knacken, woher die EU 500 Milliarden Euro für ihre Verteidigung nehmen will. Scheitert die EU daran, steht ihr Überleben auf dem Spiel. Viel Zeit bleibt nicht. Trump ist nicht für seine Geduld bekannt. Nur eines ist sicher: Deutschland kann sich in Brüssel finanziell nicht aus der Verantwortung stehlen, allein aufgrund seiner Wirtschaftskraft.

Quelle: ntv.de

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