"Business as usual keine Option" Tusk: EU-Gipfel muss Wendepunkt werden
13.09.2016, 22:43 Uhr
Der Brief von Donald Tusk ist mehr als ein Einladungsschreiben - er ist ein eindringlicher Appell.
(Foto: imago/newspix)
Der EU-Ratspräsident sieht die Union anscheinend in ernsthafter Gefahr. Am Freitag steht der zweite Gipfel ohne die Briten an. Das Treffen sei enorm wichtig, ermahnt Donald Tusk die Staats- und Regierungschefs in einer ungewöhnlich langen Einladung.
Vor dem Gipfel über die Zukunft der EU hat Ratspräsident Donald Tusk die Staats- und Regierungschefs gewarnt, die Lehren aus dem Austrittsvotum der Briten zu ignorieren. Viele EU-Bürger stellten sich ähnliche Fragen und wollten von Europa Schutz und Stabilität, schrieb Tusk im Einladungsschreiben zu dem Treffen. Er kritisierte dabei, dass Europa in der Flüchtlingskrise zu lange gezögert habe, seine Grenzen zu schützen.
Am Freitag beraten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 Länder in der slowakischen Hauptstadt Bratislava über Weichenstellungen für die Zukunft der EU ohne Großbritannien. Tusk will den Grenzschutz, die innere Sicherheit und den Kampf gegen den Terror in den Mittelpunkt des Treffens stellen.
Es wäre "ein fataler Fehler anzunehmen, dass das negative Ergebnis des Referendums im Vereinigten Königreich ein spezifisch britisches Problem darstellt", schrieb Tusk in dem ungewöhnlich langen, fünfseitigen Einladungsbrief zu dem Gipfel. Das Brexit-Votum sei "auch ein verzweifelter Versuch, die Fragen zu beantworten, die sich Millionen Europäer täglich selbst stellen." Deshalb sei "Business as usual keine Option", betonte Tusk.
Flüchtlingskrise war für Tusk der "Kipppunkt"
Bei den Zweifeln gegenüber Europa sei die Migrationskrise "Kipppunkt", schrieb Tusk. "Das Chaos im vergangenen Jahr an unseren Grenzen" und Hunderttausende Flüchtlinge auf dem Weg durch Europa hätten "ein Gefühl der Bedrohung bei vielen Europäern" erzeugt. Sie hätten zu lange warten müssen, bis versucht worden sei, die Lage etwa über die Schließung der Westbalkanroute und das EU-Türkei-Abkommen unter Kontrolle zu bekommen.
"Statt dessen hörten sie zu oft politisch korrekte Erklärungen, dass Europa keine Festung werden dürfe, dass es offen bleiben muss", schrieb Tusk. "Das Fehlen schneller Handlung und einer einheitlichen europäischen Strategie haben das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen geschwächt." Nun sei keine Zeit mehr zu verlieren, warnte der EU-Ratspräsident. "Bratislava muss der Wendepunkt mit Blick auf den Schutz der Außengrenzen der Union sein."
Mehr Zusammenarbeit für Sicherheit
Gleich wichtig sei der Kampf gegen den Terrorismus, schrieb Tusk. Allerdings lägen die Hauptinstrumente dabei auf nationaler und nicht auf europäischer Ebene. Erreicht werden könne dies deshalb nur über mehr Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sicherheitsdiensten, etwa beim Informationsaustausch. Dazu sei aber auch der Wille der Mitgliedstaaten nötig.
Tusk wiederholte den Vorschlag, jeder solle bei der Einreise mit Hilfe von Datenbanken überprüft werden, um potentielle Terroristen abzuhalten. Nur mit entschlossenem Kampf gegen Terrorismus könne auch Rechtsextremisten und deren anti-europäischer und anti-demokratischer Rhetorik Einhalt geboten werden.
Die Bürger erwarteten zudem, dass ihre sozialen und wirtschaftlichen Interessen besser geschützt würden, fuhr Tusk fort. Freihandel und globaler Wettbewerb lägen dabei im Interesse Europas, stellten es aber gleichzeitig vor "beispiellose Herausforderungen". Der EU-Ratspräsident mahnte in seiner Einladung auch einen Plan zu Belebung der Wirtschaft und zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit an. Dazu sollen im Oktober Beschlüsse gefasst werden.
Kein Einheitsstaat gewünscht
Tusk, der im Vorfeld des Gipfels durch die EU-Hauptstädte gereist war, forderte von den Staats- und Regierungschefs in Bratislava eine "kritische Diagnose". Dabei müsse "ein Schwarzer-Peter-Spiel" vermieden werden.
Es gehe bei den anstehenden Gesprächen dann nicht um neue Verträge oder den Ausbau der EU zu einem Einheitsstaat. "Meine Gespräche haben klar gezeigt, dass neue Befugnisse für die europäischen Institutionen nicht das gewünschte Rezept sind", schrieb Tusk. Ziel müsse es vielmehr sein, "eine Reihe von Dingen zu korrigieren, um das zu erhalten, was am besten ist."
Allerdings ermahnte Tusk die Mitgliedstaaten ihre Haltung zur EU zu ändern. "Heute wird die EU oft als notwendiges Übel behandelt, nicht als gemeinsames Gut", hieß es in seinem Schreiben. "Der Slogan "weniger Macht für Brüssel", der in Wahlkämpfen attraktiv klingt, sollte übersetzt werden in mehr Verantwortung für die Union in den nationalen Hauptstädten."
Quelle: ntv.de, hul/AFP/dpa