Person der Woche

Person der Woche Nach der Europawahl kommt es zum Pistorius-Showdown

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Die Ampelregierung taumelt, der Kanzler ist angeschlagen, bei der Europawahl droht ein historisches Debakel. In der SPD rumort es nun, man müsse im Sommer Boris Pistorius als neuen Kanzlerkandidaten für 2025 ausrufen. Lässt Scholz ihn deswegen schlecht aussehen?

Der SPD droht bei der Europawahl ein historisches Desaster. Demoskopen sagen der Partei nur noch 14 bis 16 Prozent voraus. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl (25,7 Prozent) hätte die SPD damit mehr als 40 Prozent ihrer Wählerschaft verloren. Die Sozialdemokraten wären auf die Größe der Grünen geschrumpft und dürften - wenn nicht noch ein politisches Wunder passiert - sogar hinter der AfD landen. Diese Demütigung wäre für die stolze Traditionspartei besonders schmerzlich.

Verteidigungsminister Pistorius ist der beliebteste Politiker Deutschlands.

Verteidigungsminister Pistorius ist der beliebteste Politiker Deutschlands.

(Foto: picture alliance/dpa)

Das parteiinterne Schweigegelöbnis, wonach man trotz der miserablen Stimmung keine öffentliche Kritik an Parteiführung und Bundeskanzler äußert, wird brüchig. Denn hinter den Kulissen der SPD rumort es gewaltig. Als erster Mandatsträger hat Nordsachsens SPD-Fraktionschef Heiko Wittig gesagt, was Tausende in der SPD denken: "Sehr viele an der SPD-Basis sagen: Pistorius ist ganz klar unsere Nummer Eins. Wenn Pistorius als Kanzlerkandidat gegen Friedrich Merz antreten würde, wäre der 15-Prozentpunkte-Vorsprung der Union ganz schnell geschmolzen. Bleibt alles, wie es ist, wird es für die SPD bei der Wahl 2025 ein böses Erwachen geben."

Zwei Fakten bringen die SPD unter Zugzwang

Wittigs Forderung nach einem Kanzlerkandidaten Boris Pistorius lässt ahnen, was in der SPD ab dem Europawahltag am 9. Juni passieren wird - das Losbrechen einer Personal-Debatte und der Ruf nach Konsequenzen für Olaf Scholz. Denn zwei Fakten bringen die SPD unter Zugzwang: Zum einen ist Olaf Scholz der unbeliebteste Kanzler seit 1949. Zum anderen ist Boris Pistorius der populärste Politiker Deutschlands. Selten hat eine politische Konstellation so klar für eine Kanzlerkandidatur-Entscheidung gesprochen. Pistorius' Beliebtheit ist nicht nur demoskopisch überdeutlich, sie ist auch nachhaltig. Er führt seit Monaten das Beliebtheitsranking der Politiker an. Und beliebte Politiker hat die SPD in etwa so viele wie der FC Bayern Trainer.

Aus der SPD-Führung ist zu hören, dass es zwischen der Europawahl und den Landtagswahlen im Herbst "ein Fenster der Notwendigkeit" gäbe. Einige wollen Scholz im Sommer dazu bewegen, auf eine weitere Kandidatur 2025 freiwillig zu verzichten. Denn auch der Kanzler werde erkennen, dass nach einem wahrscheinlichen Europawahldesaster der SPD im Herbst in Ostdeutschland ein noch schlimmeres Fanal drohe. In Sachsen und Thüringen taumelt die Partei bereits der Fünf-Prozent-Marke entgegen. Die Chancen von Olaf Scholz auf eine Wiederwahl 2025 seien "winzig". Kaum einer in der SPD-Führung glaubt daran, dass die Ampel-Koalition auf der Zielgeraden an Stärke und Handlungsfähigkeit gewinne. Die SPD müsse darum ein klares Signal für einen Neubeginn setzen - die Personalie Pistorius sei "geradezu zwingend". Pistorius wirke bereits wie ein "Kanzler in Reserve".

Das Fenster der Gelegenheit geht auf

In Berliner Hintergrundrunden verteidigt kaum noch ein führender SPD-Politiker Olaf Scholz. Die meisten geben zu, dass er "selbstzentriert und passiv" wirke und ihm "die Regierung entgleitet". Da Scholz in der SPD ohnedies keinen tiefen Rückhalt hat, werfen sich nur noch wenige aktiv für ihn ins Zeug. Einzig SPD-Parteichef Lars Klingbeil wiederholt gebetsmühlenartig, dass Scholz Kanzler und Kanzlerkandidat bleibe. Doch das klingt zusehends nach nur mehr formaler Loyalitätsbekundung.

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Andererseits ist Pistorius beim linken und friedensbewegten Flügel der SPD auch nicht sonderlich beliebt. Scholz weiß das und mobilisiert seit einigen Wochen genau diesen Abwehrreflex, um seine Position zu retten. Pistorius' Etatwünsche deckelt der Kanzler öffentlich, im Baltikum brüskiert er seinen Minister mit einem militärpolitischen Alleingang. Und im Europawahlkampf tauscht Scholz die militärische Zeitenwende gegen eine offensive Friedensstifter-Rhetorik. Pistorius hat ohne die Rückendeckung des Kanzlers in der Fraktion nun Durchsetzungsprobleme, so sehr, dass ihm der denkwürdige Satz "Ich muss das hier nicht machen" entfahren ist.

Dieser Wut-Satz des Ministers wirkt nun wie ein offener Fehdehandschuh - die SPD solle sich entscheiden zwischen Scholz und ihm. Das Fenster der Gelegenheit geht auf.

Quelle: ntv.de

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