Der Frust in der SPD wächst Sozialdemokraten schelten die FDP - und meinen Scholz


Lindner ist für viele in der SPD der Gegner. Und Scholz?
(Foto: picture alliance/dpa)
Olaf Scholz will die eigenen Minister in den Haushaltsverhandlungen "schwitzen" sehen. SPD-Abgeordneten treibt des Kanzlers Spardiktat eher den Angstschweiß auf die Stirn: Lässt sich der Regierungschef zu sehr von Lindner und seiner FDP treiben? Der Unmut in der SPD nimmt zu.
Geschichte wiederholt sich nicht. Albträume können das sehr wohl. Diese Erfahrung machen derzeit auch viele SPD-Abgeordnete, die sich mit Grauen an die Nächte vor Weihnachten erinnern. Damals verhandelten Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner bis in die Morgenstunden den Nachtragshaushalt 2024. Die so vereinbarten, teils harschen Budgeteinschnitte brachten den SPD-Abgeordneten nicht nur Bauchschmerzen ein. Sie mussten anschließend auch hochkomplizierte, knallharte Haushaltsberatungen führen in dem von den drei Chefkoalitionären eng gesetzten Rahmen. Kein halbes Jahr später droht das gleiche Szenario in den Beratungen für den kommenden Haushalt. Das Murren in der SPD-Fraktion über den Kanzler wächst.
Im vergangenen Jahr hatte die Ampel-Koalition nach einem weitreichenden Verfassungsgerichtsurteil 17 Milliarden Euro einsparen müssen im Vergleich zur ursprünglichen Haushaltsplanung für 2024. Am Donnerstag wurden die Prognosen für die zu erwartenden Steuereinnahmen für das kommende Jahr bekannt: Sie sinken voraussichtlich um rund 22 Milliarden Euro, mehr noch als von einigen befürchtet. Die zuvor von Lindner ausgegebenen Einsparziele von 25 bis 30 Milliarden Euro sind daher eher noch niedrig angesetzt.
Zumal gleich mehrere Ressorts anstatt zu verzichten einen Mehrbedarf im Vergleich zum laufenden Jahr angemeldet haben. Dazu gehört auch das SPD-geführte Bundesverteidigungsministerium von Boris Pistorius. Den hatte Scholz höchstselbst ins Amt geholt und ihn mit der Modernisierung der Bundeswehr sowie mit der Organisation der Ukraine-Hilfen beauftragt.
Lindners Werk und Scholz' Beitrag
Die SPD schoss sich in dieser Woche auf Lindner ein, der sowohl eine Öffnung der Schuldenbremse als auch Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen oder Subventionsstreichungen ablehnt. Anstatt den Ministerien Sparziele vorzugeben, solle Lindner "seiner Verantwortung nachkommen und darüber nachdenken, wie man die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitstellen kann", sagte der Bundestagsabgeordnete der SPD, Tim Klüssendorf, zu ntv.de. Der Sprecher des als Parlamentarische Linke bezeichneten linken Fraktionsflügels wirbt seit Längerem dafür, Mehreinnahmen zu generieren, etwa durch eine Sonderabgabe für Superreiche. Denn: "Weitere Einsparungen in der sozialen Infrastruktur, der inneren Sicherheit oder der Entwicklungsarbeit wären fahrlässig", warnt Klüssendorf mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen.
Noch deutlicher wird der Bochumer Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer: "Die SPD wird diesen Sparkurs auf keinen Fall mitmachen", sagte er dem "Stern" und: "Ich wünsche mir einen Befreiungsschlag vom Kanzler." Demselben Magazin sagte SPD-Wirtschaftspolitiker Sebastian Roloff: "Mir fehlt langsam endgültig die Fantasie, wie man unter den gegebenen Umständen einen vernünftigen Haushalt aufstellen will." Das Land brauche "dringend Investitionen". Das sind starke Worte aus einer Fraktion, die sich auch im Streitfall bisher stets hinter Scholz einreihte und dabei höchstens leise murrte. Inzwischen ist im Hintergrundgespräch mit sozialdemokratischen Abgeordneten häufig das Wort "frustrierend" zu vernehmen, wenn es um den Umgang des Kanzlers mit Lindners Sparpolitik geht.
Signal mit Flurschaden
Scholz' Diktum, bei der Aufstellung des kommenden Haushalts sei "erst mal Schwitzen angesagt", hat viele in der Fraktion aufgeschreckt. Hatte Entwicklungsministerin Svenja Schulze etwa nicht für das laufende Jahr Einsparungen um fast eine Milliarde Euro auf 11,22 Milliarden Euro hingenommen? Hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil denn nicht auf Druck der FDP die Bürgergeldsanktionen verschärft, um mehr Menschen in Arbeit zu bekommen und weniger Bürgergeld auszahlen zu müssen? Hat Scholz nicht Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius Unterstützung bei der Ertüchtigung der Streitkräfte und militärische Hilfen für die Ukraine "so lange wie nötig" zugesagt? Kurz: Will Scholz den Bundesministern der SPD ernsthaft unterstellen, sich bislang nicht genügend angestrengt zu haben?
Eher nicht. Die Ansage dürfte ein Signal an Lindner und die FDP gewesen sein, dass Scholz den vereinbarten Sparkurs weiter mitträgt. Im Gegenzug könnten die Freidemokraten - aus SPD-Sicht: endlich! - die Blockade des Rentenpakets II aufgeben. Doch der Flurschaden ist die enorme Irritation in Scholz' eigenen Reihen. Zumal ja nicht nur die Bundespolitik betroffen ist: Das Festhalten an der aus Sicht vieler Ökonomen zu starren Schuldenbremse sowie die anhaltende Konjunkturschwäche samt sinkender Steuereinnahmen treffen auch die Länder hart.
Der Vorsitzende des SPD-Nachwuchsverbands, Juso-Chef Philipp Türmer, sagte ntv.de: "Die ideologischen Blockaden der FDP scheinen jeglichen Sinn für verantwortungsvolle Politik verdrängt zu haben." Er erwarte "von einem sozialdemokratischen Kanzler, dass er den kleinsten Koalitionspartner nicht mit einem solchen Stuss durchkommen lässt und wir einen zukunftsfähigen Haushalt aufstellen", sagte Türmer weiter. Anstelle von Einsparungen bei der Rente, beim Bürgergeld oder bei der für die äußere Sicherheit wichtigen Entwicklungspolitik, "sollte man sich mal den Finanzminister vorknöpfen und ihn zur Vernunft bringen: Dieser unselige Sparkurs muss endlich beendet werden."
Fraktion schmiedet eigene Pläne
So frontal, wie in der SPD traditionell nur Juso-Vorsitzende mit Kanzlern umspringen, greift bislang kein Mandatsträger den Regierungschef an. Doch während beim Bundesparteitag im Dezember der Jubel noch groß war für den Kanzler nach dessen feuriger Rede, ist längst wieder Ernüchterung eingezogen. Das gilt zumindest für das linke Lager der Partei, das Scholz schon immer skeptisch gesehen hat. Auf dem Parteitag hatte die SPD-Linke das Programm weiter nach links verrückt, unter anderem mit der Forderung nach einer Vermögenssteuer. Der Kanzler spiegelt diesen Kurs der SPD nicht.
Das gilt auch für die Forderung der SPD nach einer Reform der Schuldenbremse. Diese tragen auch die Vorsitzenden Lars Klingbeil, Saskia Esken und Generalsekretär Kevin Kühnert mit. Dem Kanzler geht das selten über die Lippen. Scholz betont immer wieder den Verfassungsrang der Schuldenbremse, als wäre sie dadurch unveränderbar. In seinen Äußerungen zu Steuer- und Haushaltsfragen scheint er zuweilen dem FDP-Vorsitzenden näherzustehen als den eigenen Leuten.
Scholz gelingt es derzeit spielend, Sozialpolitiker, Ökonomen und Unternehmer gleichzeitig gegen sich aufzubringen. Und immer ist der Grund das fehlende Geld. In der SPD-Fraktion arbeitet man nach Information von ntv inzwischen selbst an möglichen Szenarien, wie wieder Spielräume im Haushalt geschaffen werden könnten. Während Steuererhöhungen mit der FDP kaum durchzusetzen sind, gäbe es zum Beispiel die Möglichkeit, die Ukraine-Hilfen oder die Sicherheitspolitik ganz aus dem Geltungsbereich der Schuldenbremse rauszunehmen.
Irgendwann muss auch die Union liefern
Dazu bräuchte es zwar die Unterstützung der Union, doch die kann sich schwerlich einfach taub stellen. Schließlich fordert sie selbst mehr Aufrüstung und eine entschlossenere Unterstützung der Ukraine. Andererseits sind die Schwesterparteien längst im Wahlkampfmodus - Europawahlen, Landtagswahlen im Osten und die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Das macht es CDU und CSU nicht leichter, ihre Kränkung über den Umgang der Ampel mit dem Sondervermögen zu überwinden.
Von den 100 Milliarden Euro Sonderschulden fließt ein guter Teil in die Zinsschuld und in den Ankauf von Ersatzgerät anstatt wie vereinbart ausschließlich in Investitionen. Man sieht sich getäuscht. Zudem hat die CDU gerade die Schuldenbremse in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen. Wie sie da im Falle einer Regierungsübernahme all ihre vollmundigen Versprechen erfüllen wollen, muss auch den Konservativen Kopfzerbrechen bereiten.
Wie sehr nicht nur die Union von den Wahlterminen in diesem und im kommenden Jahr getrieben ist, sondern auch die Ampel-Parteien, zeigt sich an Scholz' Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro. Nach den vielen Irritationen der jüngsten Zeit waren die klaren Äußerungen des Bundeskanzlers Balsam für geschundene SPD-Seelen. Den Kanzler kostete diese Geste indes nichts: Anders als bei den Budgetwünschen seiner Bundesminister ist die Finanzierung höherer Löhne nicht Scholz' Problem.
Quelle: ntv.de