Wieduwilts Woche

Zwischen Bullshit, Bas und Bier Die Deutschen und ihr impotenter Staat

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Merz, Bas, Klingbeil und Söder bemühten sich bei einer Pressekonferenz um demonstrative Einigkeit und gute Laune.

Merz, Bas, Klingbeil und Söder bemühten sich bei einer Pressekonferenz um demonstrative Einigkeit und gute Laune.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Politik hat das Vertrauen der Bürger verloren. Die Regierung Merz bemüht sich um einen geschlossenen Eindruck. Doch das Einzige, was sie retten könnte, wären Resultate.

Die Woche nach der politischen Sommerpause beginnt mit drückendem Wetter. Wie bei einem anstehenden Gewitter scheint die Luft zu knistern. Es braut sich allmählich etwas zusammen; es wirkt, als würde sich Deutschland in diesen Tagen entscheiden, ob es noch an eine politische Mitte glaubt - oder nicht.

Das Vertrauen in den Staat und seine Fähigkeit, Probleme zu lösen, fällt nämlich ins Bodenlose. Die regelmäßige Befragung des Beamtenbundes verzeichnet einen Rückgang des Staatsvertrauens zum fünften Mal in Folge. 73 Prozent der Befragten glauben, der Staat könne Deutschlands Herausforderungen nicht bewältigen. Es dominiert der Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Der Eindruck: Dieser Staat kann es nicht.

Derzeit erschüttern wieder mehrere Gewalttaten das Land. In Friedland soll ein Iraker die 16-jährige Liana K. vor einen Zug gestoßen haben. Der Iraker war ausreisepflichtig, die Behörden und die AfD zeigen nun mit dem Finger auf das Amtsgericht Hannover, denn dieses habe eine Abschiebehaft für den Mann abgelehnt. Der Eindruck: Dieser Staat kann es nicht.

Der Amerikaner John Rudat bekommt in einer Straßenbahn in Dresden ein Teppichmesser ins Gesicht gerammt, die beteiligten Syrer waren schon vorher straffällig. Am Freitag soll ein 17-jähriger Kosovare auf eine Lehrerin eingestochen haben. Erinnerungen werden wach an einen von Attentaten geprägten Bundestagswahlkampf. Der Eindruck: Dieser Staat kann es nicht.

FDP streitet über "Brandmauer"

Wenn Bürger über längere Zeit den Eindruck gewinnen, von einem impotenten System regiert zu werden, drängen sie auf Veränderung. Zumal dann, wenn sie selbst nach einer Regierungsabwahl fürchten, es bleibe alles beim Alten. Der Regierung Merz hilft nicht, dass die Zahl der Asylbewerber derzeit zurückgeht. Zum einen ist dies nicht unbedingt ihr Verdienst - zum anderen zwingt sie die Rechtslage dazu, Afghanen ins Land zu fliegen. So unterschiedlich beide Konstellationen rechtlich auch sind: Eine Migrationswende lässt sich so nur schwerlich kommunizieren.

Schwarz-Rot im Bund wird oft als letzte Chance bezeichnet, eine rechtspopulistische Regierung zu verhindern. In diesen Tagen scheint es, haben manche diese Hoffnung endgültig aufgegeben. Besonders grell zeigt das die vergessen geglaubte FDP.

Bei den Liberalen ist gerade ein heftiger Streit über die "Brandmauer" ausgebrochen. Dieses Bollwerk gegen die AfD gehöre "eingerissen", fordert der Schweriner FDP-Kreisvorsitzende Paul Bressel. Das Land wähle "freiheitlich/rechts", aber bekomme "links", schimpfte der Politiker. Seine Beisitzer warfen hin, die Parteiführung widersprach - doch gesagt ist gesagt. Die FDP, die noch heute am Thüringer Eklat um Thomas Kemmerich und die AfD leidet, steht schon wieder mit einem Bein in der blauen Suppe.

Zeit für eine Revolution?

Die AfD scheint jeden Tag mehr zu wirken wie ein politischer Notausgang, das zeigt ein Blick in Zeitungskommentare. "Wir erleben eine Revolution", konstatiert Nikolas Busse in der F.A.Z., er warnt davor, den globalen rechtspopulistischen Aufstieg kleinzureden und nicht das anzuerkennen, was er verkörpert: den weitverbreiteten Wunsch, wieder wie früher zu leben, vor der Globalisierung, der Migration. Regierungschefs wie Trump und Meloni seien für viele Wähler das kleinere Übel. Mit dem Beschwören einer "demokratischen Mitte" sei diese Entwicklung nicht aufzuhalten.

In der "Welt" wiederum sieht Fatina Keilani die Wahl der AfD als "Form der Notwehr eines Volkes, das gut regiert werden möchte, aber auf ein Vakuum trifft". Die Wähler glaubten nicht mehr daran, dass die AfD die Demokratie bedrohe. Dass Rechtsaußen an die Macht komme, sei, wenn es so weitergehe, nur eine "Frage der Zeit".

Diese Revolution steht womöglich schon im Kalender: In Nordrhein-Westfalen stehen am 14. September Kommunalwahlen an. Die mangelnde Integration von Ausländern gehört zu den Punkten, mit denen die Menschen einer Umfrage zufolge am wenigsten zufrieden sind.

Migrationsfrage ganz oben auf der Schmerzliste

In einem Jahr wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Hier kommt die CDU laut Infratest dimap derzeit auf 27 Prozent und liegt damit satte 12 Prozentpunkte hinter der AfD. Auch hier steht die Flüchtlings- und Migrationsfrage ganz oben auf der Schmerzliste der Wählerinnen und Wähler.

Gibt es also überhaupt noch ein Szenario, in dem sich die politische Mitte behaupten kann? Wenn schon die Migrationspolitik keine schnellen Erfolge zeigen kann, dann muss es die Wirtschaftspolitik richten. Der deutsche Regierungschef hat einen "Herbst der Reformen" angekündigt. Es ist allerdings derselbe Friedrich Merz, der den Deutschen für den Sommer schöne Gefühle versprochen hat und stattdessen ein absurdes Richterwahldebakel lieferte.

Der Auftakt zu diesem Reformherbst klingt bereits dürftig: Zwar hat Vizekanzler und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil gerade die Schröder-Reform "Agenda 2010" gelobt, wofür Klingbeil wiederum von Schröder gelobt wurde. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Klingbeil noch vor zwei Jahren den Unions-Vorstoß einer "Agenda 2030" zurückgewiesen hatte.

"Bullshit" vs. Piñata

Die Öffentlichkeit hat aber von der Herbstreform bislang vor allem "Bullshit" verstanden: Mit diesem Wort intervenierte bekanntlich SPD-Co-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas, als Merz Einschnitte beim Sozialstaat forderte. Führt man sich nun die Wahlergebnisse des SPD-Parteitags für Klingbeil und Bas vor Augen (Klingbeil 64,9 Prozent, Bas 95 Prozent), wird klar: Bas hat intern die Wucht einer Abrissbirne, Klingbeil die einer aufgeschlagenen Piñata.

Was diese Wuchtunterschiede bedeuten, konnten die Bürger kurz darauf auf einer Pressekonferenz begutachten. Dort bemühten sich Merz, Bas, Klingbeil sowie Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder um demonstrative Einigkeit und gute Laune. Merz sagte nun, Kürzungen seien nicht geplant. Er und Bas hätten zwei Bier getrunken, hieß es, man schmunzelte den Ärger weg. Es ist der Glaube an Kommunikation und Streitvermeidung, in Gedanken beim Finale der Ampel.

Harmonie wird die Regierung nicht retten und auch nicht die politische Mitte. Schmunzelselfies haben schon der Ampel nicht geholfen. Wenn diese Regierung den wirtschaftlichen Stimmungswechsel nicht hinbekommt, ist es ein weiteres Zeichen für das Wahlvolk: Dieser Staat kann es nicht.

Dann kommt im Herbst das Gewitter - und es beginnt die Revolution.

Quelle: ntv.de

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