Pressestimmen

NSA-Spionage gegen Frankreich "Der Zeitpunkt nährt Verdacht"

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Die Enthüllungsplattform Wikileaks sorgt mit neuen Vorwürfen gegen die NSA für Empörung - diesmal in Paris: Der US-Geheimdienst soll zwischen 2006 und 2012 Telefonate der französischen Präsidenten Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande sowie ranghoher Regierungsvertreter abgehört haben. Frankreich ist aufgebracht und reagiert prompt: Der Elysée-Palast bezeichnet die US-Spionage-Praktiken als "inakzeptabel", das Außenministerium bestellt die US-Botschafterin in Paris ein und Staatschef Hollande beschwert sich in einem Telefonat bei US-Präsident Barack Obama. Doch die Kommentatoren der deutschen Presse blicken misstrauisch auf das Geschehen: Sie wittern Berechnung und Scheinheiligkeit.

Die Zeitungsgruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung schaut argwöhnisch auf den Moment der Wikileaks-Veröffentlichung: "Der Zeitpunkt nährt Verdacht. Frankreich verschärft derzeit die elektronische Abwehr im Kampf gegen den Terrorismus, in Deutschland versucht man das Zusammenwirken zwischen NSA und BND auszuleuchten, dazu kommen die Kontroverse um TTIP, die Sanktionen gegen Russland und die Verstärkung der militärischen Präsenz in Osteuropa. Leicht, hier einen Keil zwischen die USA und Europa zu treiben." Der Kommentator warnt: "Die westliche Welt braucht den Zusammenhalt. Es bleibt darum zu hoffen, dass nach der Empörung der Blick wieder klar wird, wer Freund und wer Feind ist."

Das Handelsblatt aus Düsseldorf ist der Ansicht, dass sich der Zeitpunkt der Enthüllungen für Frankreich am Ende sogar "positiv auswirken" könnte: "Denn diese kamen, genau einen Tag bevor das französische Parlament über das neue Abhörgesetz entscheiden wollte. Dabei geht es um mehr Überwachung - auch von Ausländern. Das Gesetzesprojekt sorgt in der Politik und in intellektuellen Kreisen für viel Kritik, weil es als zu weitgehend gilt: Statt wie behauptet nur dem Kampf gegen den Terrorismus zu dienen, beziehen sich die neuen Kompetenzen auf viel mehr. Für die Überwachung von Computern, Wohnungen oder Telefonen wird eine richterliche Genehmigung nicht mehr notwendig sein. Auch ausländische Diplomaten, Geschäftsleute und Journalisten könnten in Zukunft leichter überwacht werden."

Für die Süddeutsche Zeitung steht fest: "Die französische Regierung wäre naiv, wenn sie nicht gewusst hätte, dass französische Politiker von den USA abgehört werden. Warum sonst hätte sich Washington so hartnäckig geweigert, ein Spionage-Abkommen mit Paris zu schließen? Auch die Affäre um das deutsche Kanzlerinnen-Handy musste die Franzosen lehren, dass ihr Präsidententelefon nicht sicher vor den Amerikanern ist". Schließlich habe Frankreich selbst eine lange Spionage-Tradition. Das Blatt aus München erinnert: "Schon Kardinal Richelieu und Napoleon Bonaparte festigten ihre Macht durch ein Netz aus Spionen. Der hochverehrte François Mitterrand ließ aus dem Élysée-Palast heraus ein sogenanntes schwarzes Kabinett steuern, das Politiker, Anwälte und Journalisten, Freund wie Feind, illegal aushorchte."

Ins gleiche Horn bläst der Tagesspiegel: "Jetzt mal ehrlich: Ist François Hollande erstaunt und empört, dass die NSA ihn und zwei seiner Vorgänger abgehört haben soll? Er lässt den Verteidigungsrat zur Krisensitzung zusammentreten, als sei die nationale Sicherheit bedroht." Dabei dürfte dies nach Ansicht des Berliner Blattes seit Herbst 2013 weder für den französischen Präsidenten noch für die Franzosen eine Überraschung sein: "Wenn die NSA, wie damals herauskam, über Jahre Angela Merkels Mobiltelefon im Visier hatte, dann doch auch ihn und andere Spitzenpolitiker. Die Heuchelei erlaubt sich zudem ein Mann, der selbst über einen der größten Spähapparate auf der Erde verfügt und der Nationalversammlung gerade ein Gesetz vorgelegt hat, das den Geheimdiensten freiere Hand bei Lauschangriffen, Internetüberwachung und einer  bis zu vierjährigen Vorratsdatenspeicherung gibt. Seine angebliche Empörung gaukelt er zudem einer Nation vor, die diese Ausweitung der Überwachung zu 69 Prozent unterstützt."

Auch die Frankfurter Rundschau geht davon aus, dass der französische Präsident weniger empört ist, als er glauben machen will. Denn: "Er weiß genau, dass er genauso handelt wie sein US-Amtskollege: Frankreichs gerade verabschiedetes Sicherheitsgesetz ermöglicht eine Massenüberwachung, die der des US-Geheimdiensts NSA in nichts nachsteht. Von einer Regierung wie der französischen zu erwarten, dass sie in Washington in Sachen Spionage viel erreicht, wäre illusorisch. Der einzige Druck auf die Großmächte und ihre bürgerfeindlichen Praktiken kann nur von unten kommen. Zum Glück gibt es Wikileaks. Hoffentlich fördert die Enthüllungsplattform weiterhin peinliche, weil ungeschönte Details aus dem Weißen Haus oder dem Elysée-Palast zutage."

Dass der Informationshunger der NSA nicht einmal vor Frankreich, "dem ältesten Verbündeten der Vereinigten Staaten" Halt gemacht hat, verwundert die Frankfurter Allgemeine Zeitung nach dem Vorgehen des Geheimdienstes gegen Deutschland nicht. Es zeige aber "noch einmal, dass der politischen Klasse in Washington immer wieder das Gefühl dafür fehlt, wie man mit Alliierten umgeht. (...) Anscheinend hat man in Amerika nach dem Irak-Krieg eine wichtige Lehre nicht verinnerlicht: Der Einfluss einer Weltmacht hängt auch davon ab, wie glaubwürdig sie auftritt." Und so sollten sich die Franzosen nach Ansicht der FAZ fragen, "ob ihr eigenes neues Geheimdienstgesetz wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, das just die NSA zum Vorbild hat".

Zusammengestellt von Susanne Niedorf

Quelle: ntv.de

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