Pressestimmen

Endspurt in der GroKo "Koalitionen sind keine Ehen"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Die Uhr tickt, der Wahlkampf hängt wie ein Damoklesschwert über den Regierungsparteien. Da sinken die Flüchtlingszahlen und geben der Großen Koalition Zeit, Liegengebliebenes anzugehen. Die abzuarbeitende Liste aus dem Koalitionsvertrag ist lang. Drückt die Regierung jetzt aufs Gas? Wohl kaum, meint die Presse.  

Die Groko tritt geschlossen auf. Die Presse spricht hingegen von "zerrütteten Verhältnissen".

Die Groko tritt geschlossen auf. Die Presse spricht hingegen von "zerrütteten Verhältnissen".

(Foto: dpa)

Das Handelsblatt kritisiert die Arbeit der Großen Koalition aufs Schärfste: "Die Große Koalition brennt langsam, aber sicher aus. Daran kann auch die wuchtige Inszenierung nichts ändern, die sich das Kanzleramt für den Auftritt der drei Parteivorsitzenden überlegt hatte. Doch die Bilder, die wohl Betriebsamkeit und innerkoalitionäre Geschlossenheit ausdrücken sollten, wirkten eher wie Erinnerungsfotos. Anstatt Deutschland zukunftsfest zu machen, ergeht sich die Politik in den nur allzu bekannten Ritualen. Man verhandelt bis zur Erschöpfung in die Nacht hinein. Am nächsten Tag gibt es mit Ringen unter den Augen oft nur inhaltsleere Versprechen und Ankündigungen. Doch dieser Politik sind die Bürger überdrüssig. Das Aufkommen der AfD ist auch damit zu erklären, dass die Regierungsparteien sich selbst nicht vertrauen. Koalitionen sind keine Ehen, aber Scheinehen sollten sie auch nicht sein."

Auch die Stuttgarter Zeitung äußert sich wenig optimistisch über den zur Schau gestellten Tatendrang der Großen Koalition: "Viel mehr als ein Lebenszeichen ist von dieser Regierung (…) nicht mehr zu erwarten. Dazu sind die Partner angesichts der fast im freien Fall befindlichen Umfragewerte zu sehr mit sich selbst im Unreinen - viele in der Union bangen um deren konservativen Kern, noch mehr Genossen sehnen sich nach mehr sozialdemokratischer Seele. Große Würfe sind in dieser Konstellation kaum möglich, das gilt auch für die Rentenreform. Dies passt in gewisser Weise zu dieser Koalition, die zwar wichtige Erfolge beim Mindestlohn und in der Haushaltspolitik verbuchen kann, aber keine große Strukturreform ins Werk gesetzt hat, mit der Deutschlands aktuelle wirtschaftliche Stärke in den nächsten Jahren gesichert werden."

Ganz anders sieht es die Süddeutsche Zeitung: "Natürlich wird diese Regierung halten bis zur nächsten Wahl. Dem Land geht es zu gut, als dass es unter dieser Regierung wirklich leiden würde. Und es gibt unter den gegebenen Verhältnissen keine Alternative - schon gar nicht für die drei Parteichefs. Angela Merkel hat schon immer am liebsten mit der SPD regiert. Dank ihrer Flüchtlingspolitik gilt das mittlerweile auch umgekehrt. Horst Seehofer braucht die Bundespolitik, um vor der CSU seine Unersetzlichkeit zu zelebrieren. Und Sigmar Gabriel kann nur aus den Aufgaben als Wirtschaftsminister und Vizekanzler jene Autorität ableiten, die er als SPD-Chef eingebüßt hat."

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung betont den tiefen Graben zwischen den Unionsparteien in der Flüchtlingsfrage und äußert Unmut über die Flüchtlingspolitik der Regierung: "Gefühlt ist es immer fünf vor zwölf - aber letztlich will dann doch kaum jemand die große Koalition scheitern lassen. Man sieht sich zum Erfolg verdammt, und das hilft. (...) Klar ist aber auch, dass der tiefe Dissens zwischen CDU und CSU fortbesteht. (...) Bayern will eine Obergrenze für Migranten, Berlin nicht. Auch mit diesem Konflikt lässt es sich leben, solange die Flüchtlingszahlen sich in einem akzeptablen Rahmen bewegen. (...) Dabei ist die schiere Zahl der Flüchtlinge nur ein Aspekt - Deutschland kann viele Menschen aufnehmen und versorgen; und es braucht qualifizierte Einwanderung. Krisen entstehen aber durch Kontrollverlust (...). Die Bürger wollen wissen, wer ins Land kommt und bleibt. Gerade eine große Koalition, die jederzeit sogar die Verfassung ändern könnte, hat die Pflicht, hierauf Antworten zu finden."

Die Westfälischen Nachrichten weisen auf "zerrüttete Verhältnisse" in der Regierungskoalition hin und wollen dem neuen Frieden nicht so recht Glauben schenken: "Welchen Wert der Wohlfühl-Gipfel hatte, lässt sich vor allem an den fast schon euphorischen Äußerungen des SPD-Chefs ermessen. Die zerrütteten Verhältnisse in der Groko haben Gabriel und seine Sozialdemokraten am meisten gerupft. Aber auch Angela Merkel braucht dringend wieder eine seriöse politische Basis, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Selbst Seehofer kann sich am Ende nicht sicher sein, dass der Lockruf der Rechtspopulisten in Bayern ungehört bleibt. Spannend ist, wie lange der Burgfrieden halten wird."

Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.

Quelle: ntv.de

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