Ist ein Kahlkopf entstellend? Mann mit Glatze klagt auf Perücke
22.04.2015, 16:20 UhrSeit Jahrzehnten leidet ein Mann unter seiner krankheitsbedingten Glatze. Als er Mitte 70 ist, will die Krankenkasse ihm keine Perücke mehr bezahlen. Vor Gericht scheitert der Mann. Müssen Männer also mit ihrem Kahlkopf leben?

Fast bei jedem Mann werden die Haare im Laufe des Lebens schütter. Vollständiger Haarausfall ist aber eher selten.
Kurt H. ist verzweifelt. "Die Leute gucken und sagen: "Da kommt der mit der Glatze." Ich verkrafte das nervlich nicht", sagt der 76-Jährige aus Contwig in Rheinland-Pfalz. Seit 32 Jahren leidet er an vollständiger Haarlosigkeit - kein Bart, keine Wimpern, keine Augenbrauen. Bis 2006 hat die Krankenkasse über Jahrzehnte Zuschüsse für seine Perücken gezahlt. "Ich muss eine Perücke tragen, wenn ich rausgehe. Ich kann doch nicht immer Mütze tragen bei Sonne", sagt er. Doch als im Jahr 2011 eine neue Perücke fällig ist, lehnt die AOK Rheinland-Pfalz seinen Antrag ab. Zu Recht, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden hat.
Die Haarlosigkeit habe bei H. keine entstellende Wirkung, begründete der 3. Senat das Urteil. Dass der Betroffene das anders empfinde, sei nicht maßgeblich. Bei Bedarf zahle ihm die Kasse eine psychologische Behandlung, aber eben nicht die Perücke.
Er sei traurig über das Urteil, sagte H. der Presse. Fotografieren lassen will er sich nicht. Ist Glatze nun sexy oder müssen Männer da einfach durch? Geschmacksfrage. Grundsätzlich aber können Männer in bestimmten Fällen eine Perücke von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Allerdings muss eine Krankheit vorliegen und der unbehaarte Kopf muss eine entstellende Wirkung haben, wie das Bundessozialgericht entschied. Das sei in der Regel aber allenfalls bei Jugendlichen und jungen Männern der Fall und auch nur dann, wenn die komplette Gesichtsbehaarung fehle.
Frauen bekommen Zweitfrisur
Eine "normale" Glatze wie bei vielen älteren Männern reicht also nicht. Weil bei Männern viel öfter "die Stirn wächst" als bei Frauen, ist eine Glatze auch eher hinzunehmen. Bei Frauen komme Kahlheit aus biologischen Gründen nämlich äußerst selten vor und wirke auch nur bei ihnen entstellend. Für sie könne die unfreiwillige Haarlosigkeit ein "ernsthaftes Außenseiterproblem" sein und eine Perücke rechtfertigen, so das Gericht.
Eine Ungleichbehandlung zwischen Jungen und Alten oder zwischen Männern und Frauen sehen die Bundesrichter darin nicht. Bei Kurt H. bestehe kein Anspruch, auch weil die Perücke nicht der Sicherung des Erfolgs der Krankheitsbehandlung diene.
Im BSG wurde die Debatte so emotional wie wohl selten in einem Bundesgericht geführt: Es ging um krebskranke Kinder mit Glatzen, um die irische Sängerin Sinéad O'Connor, die bewusst Glatze trug, oder um Fußball-Trainer Jürgen Klopp, der eine Haartransplantation machen ließ. "Was ist mit Transsexuellen, die sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen und eine Geschlechtsumwandlung bezahlt bekommen?", fragte Ursula Krimmel vom Sozialverband VdK, die H. vor Gericht vertrat.
Michaela Kunz von der AOK Rheinland-Pfalz dagegen betonte, dass Leute ihn anschauten, das sei das subjektive Empfinden des Klägers. Er könne sich bei Bedarf psychologisch behandeln lassen. Dass eine solche Behandlung vermutlich teurer wäre als eine Perücke, lässt Kunz nicht gelten. "Das ist manchmal so. Wir müssen uns an die Vorschriften halten." H. will nicht mit seiner Glatze leben. Er hat die 820 Euro für seine letzte Kunsthaarperücke lieber selbst bezahlt.
Quelle: ntv.de, Timo Lindemann, dpa