Lahm-Desaster und Spiel-Probleme "Da sieht der FC Bayern nicht gut aus"
15.02.2017, 13:43 Uhr
Philipp Lahm und sein Trainer Carlo Ancelotti - zu beiden hat Blogger Jan Placht Interessantes zu erzählen.
(Foto: imago/Schiffmann)
Der FC Bayern ist immer noch gut aufgestellt, zumal die Konkurrenz in der Fußball-Bundesliga am jüngsten Spieltag geschlossen für den Branchenführer spielte. Was Jan Placht fehlt, ist die Dominanz und die Lust am Spiel aus den drei Jahren unter Josep Guardiola. Der Gründer des Blogs "Miasanrot" erzählt vor dem ersten Achtelfinale in der Champions League gegen den FC Arsenal (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) im Interview mit n-tv.de, was er vom neuen Trainer, von Carlo Ancelotti, erwartet. Und er zweifelt daran, dass die Mannschaft verlässlich in der Lage ist, im Ernstfall auf einmal richtig gut zu spielen. Außerdem moniert er, dass sich der Klub rund um den angekündigten Abschied des Kapitäns Philipp Lahm nicht ganz so weltmännisch verhalten hat, wie er sich gerne gibt.
n-tv.de: Philipp Lahm verabschiedet sich. Nach dieser Saison wird er keinen Fußball mehr spielen. Und Sportdirektor beim FC Bayern wird er, anders als viele vermutet hätten, auch nicht. Wie sehr wird er fehlen?
Jan Placht: Wenn man anfängt, die großen Namen aufzuzählen, Franz Beckenbauer, Gerd Müller, dann taucht relativ flott Philipp Lahm auf - weil er eine lange Zeit diesen Verein fußballerisch geprägt hat. Wo findet man einen besseren Außenverteidiger als ihn? Und er hat den FC Bayern als Persönlichkeit geprägt, als Kapitän, als Triplesieger. Auch wenn man in den letzten Jahren bisweilen gemerkt hat: Das Alter schlägt selbst beim unverwüstlichen Lahm zu. Er reißt eine wahnsinnige Lücke auf dem Platz.
Bleibt die Sache mit dem Sportdirektor. Eine verpasste Chance?
Jan Placht, 27, gründete 2012 Miasanrot.de, den größten deutschsprachigen Blog über den FC Bayern München, für den mittlerweile zwölf Autoren Analysen und Berichte schreiben. Beruflich ist der Wahl-Münchner im Marketing tätig.
Dass er aufgeweckt und umtriebig genug ist, seinen Lebensweg nach dem Fußball erfolgreich zu bestreiten und nicht Ko-Kommentator im Fernsehen zu werden, hat er schon bewiesen. Aber ich würde ihn gerne beim FC Bayern sehen. Vor allem, weil es der Verein mit Oliver Kahn und Stefan Effenberg schon einmal verpasst hat, eine Generation erfolgreicher Spieler in Führungspositionen zu bringen. Klar, das ist auch eine Charakterfrage, da steht Philipp Lahm natürlich anders da. Das wäre in seinem Fall der größte Schritt gewesen, den man hätte machen können, ihn quasi direkt aus der Kabine ins Büro zu stecken. Von daher hoffe ich, dass ihm keine Türen verschlossen sind. Andererseits: Es ist schon gut, wenn so jemand noch vorab einmal etwas andere Luft schnuppert.
Es hat ja beim FC Bayern schon einmal einen gegeben, der es von der Kabine ins Büro geschafft hat - und damit nicht unerfolgreich war. Apropos: Während Präsident Uli Hoeneß verkündete, es gebe nichts zu verkünden, verkündete Lahm vor einer Woche, nach dem 1:0 gegen Wolfsburg, das Ende seiner Karriere. Hat das dem Klub geschadet?
Das war einfach ein Kommunikationsdesaster. Das steht einem Verein wie dem FC Bayern in seiner weltmännischen Rolle, in seiner Bedeutung, in der er sich sieht und in der er auch steht als Fußballverein, überhaupt nicht gut zu Gesicht - wie da unten an der Mixed Zone anders gesprochen wurde als oben in der Business Lounge.
Aber ein bisschen eigensinnig war das schon von Lahm, oder?
Der Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Lahm sollen bei ihren Gesprächen sehr weit gewesen sein, vielleicht hatten sie sich gar schon geeinigt. Und dann kommt Uli Hoeneß, der ja quasi mit seiner Inthronisierung dazwischenfunkte und andere Kandidaten für den Job des Sportdirektors ins Spiel brachte, zum Beispiel Gladbachs Max Eberl. Bei dieser Sache sah vor allem der Verein nicht gut aus. Philipp Lahm kommt bei dieser Nummer eigentlich sehr gut weg. Insgesamt aber war das eine desaströse Art und Weise, wie man seinen Abschied und alles andere besprochen und vor allem auch nach außen kommuniziert hat.
Wobei es auch darum gegangen sein soll, dass Lahm vor allem einen Sitz im Vorstand der FC Bayern München AG beansprucht habe.
Weil das eine gewisse Langfristigkeit, ein gewisses Vertrauen und eine gewisse Wertigkeit in dieser Konstellation bedeutet. Das Experiment mit Christian Nerlinger ist ja schiefgegangen. Er ist letztlich von den sportlichen akuten Ereignissen in die Kurzfristigkeit getrieben worden und hat dann gehen müssen. Das widerspricht Lahms Rollenverständnis. Wenn er das macht, dann nur auf solidem Fundament. Er wollte etwas zu sagen haben, sein Wort sollte Gewicht haben. Dieser Anspruch, den er mit dieser Funktion verbindet, ist auch absolut berechtigt.
Lahm hatte also wenig Lust, unter den Alphatieren Karl-Heinz Rummenigge und Hoeneß den Grüßaugust zu geben?
Es fällt mir ein bisschen schwer, das nur auf die Alphatiere zu beschränken. Aber wir haben mindestens zwei sehr starke Persönlichkeiten beim FC Bayern - die es bisher nicht so ganz geschafft haben, Kompetenzen gut zu verteilen. Der Klub ist gut aufgestellt, wirtschaftlich mit Jan-Christian Dreesen, sportlich mit Michael Reschke. In diese Konstellation jemanden reinzulassen, fällt den Beteiligten offenbar schwer. Erst recht jemanden, der noch Fußball spielt und zurecht fordert, da aber auch mit diesem Stellenwert verankert zu sein. Offenbar hat das nicht in die Pläne von Uli Hoeneß gepasst. Aber ich kann mir schon sehr gut vorstellen, dass wir Lahm irgendwann in einer leitenden Funktion beim FC Bayern sehen.
Das erinnert an ein inhabergeführtes, mittelständisches Unternehmen, in dem der Patriarch Schwierigkeiten hat, loszulassen und die Nachfolge zu regeln.
Das ist das, was ich meine: Dass der FC Bayern, der so weltmännisch unterwegs ist, als Instanz im Fußball, sich anders verhalten könnte und auch sollte, als er es an diesem Abend wieder getan hat. Es muss doch die Aufgabe sein, Fachwissen in so ein Weltunternehmen einzubringen, ohne Tradition und Werte zu verlieren. Das mit der Folklore könnte allerdings ein wenig zurückgestellt werden. Das ist ein schmaler und schwieriger Pfad, und da hat der Klub zumindest nach dem Wolfsburg-Spiel keinen Schritt nach vorne getan.
Apropos gut oder schlecht für den FC Bayern: Wie bewerten Sie die Rückkehr Hoeneß' als Präsident und - noch wichtiger - Vorsitzender des Aufsichtsrats?
Wir haben den Hoeneß-Prozess mit unserem Blog eng begleitet. Es ist ja ein zweischneidiges Schwert. Natürlich: Er hat einen Fehler begangen, seine Strafe dafür bekommen, er hat sie abgesessen - und seine Schuld beglichen. Auf der Justizebene ist das eine superklare Sache. Auf moralischer Ebene hätte ich nicht für Hoeneß gestimmt bei der Vollversammlung. Warum kann er nicht im Verein arbeiten und Einfluss nehmen, ohne dieses Präsidentenamt zu haben? Zudem ich schon das Gefühl hatte, dass es einen Hoeneß nicht mehr unbedingt gebraucht hätte, dass der Verein während seiner Abwesenheit eigentlich ganz gut reagiert hat. Man hatte sich schon von ihm emanzipiert. Da hat es mich schon überrascht, wie schnell bei seiner Rückkehr alles wieder um ein paar Jahre zurückgedreht wurde.
Zurück zum Sport: In der Liga läuft's für den FC Bayern. Nun geht es im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Arsenal. Wie sehen Sie die Chancen in der Königsklasse?
Was man nicht kritisieren kann, sind die Ergebnisse. Was aber unter Carlo Ancelotti fehlt, ist ein wenig die Spielidee. Was passiert da jetzt eigentlich? Wie bestreitet man Partien? Ist es wirklich nur dieses: Ja, ich gebe meinen Akteuren viel Freiheit, löse sie aus dem Korsett, das Josep Guardiola geschnürt hat? Habe ich wirklich einen Plan, auf einen Gegner zu reagieren oder dem Gegner das Spiel aufzuzwängen? Das ist ein bisschen das, was ich in dieser Saison vermisse. Man hat nicht das Gefühl, dass der FC Bayern beliebig dominieren kann.
Beliebig nicht, aber gegen RB Leipzig kurz vor Weihnachten schon, oder?
Man muss der Mannschaft zugutehalten, dass sie da sein kann, wenn's drauf ankommt. Das hat Ancelotti bisher einmal bewiesen - beim 3:0 gegen RB Leipzig. Aber ich tue mich sehr schwer anzunehmen, dass der FC Bayern das immer kann. Dafür gibt's halt schon eklatante spielerische Probleme. Er spielt zwar nicht larifari, aber er kommt ohne große Fortschritte durch die Liga. Nun, in der Champions League gegen Arsenal, muss er wieder von null auf hundert schalten. Ob die Mannschaft das kann, ist fraglich. Und das ist zur Messlatte geworden. Sie muss halt in dieser Saison noch ein paar Mal den Schalter umlegen. Dass wir nicht mehr Josep Guardiolas Zauberfußball sehen, der die mitreißendere Spielanlage hat, das war klar, als man Carlo Ancelotti verpflichtet hat. Aber dass diese Mannschaft so viele spieltaktische Defizite zeigt, verwundert doch sehr. Mit dem Kader, mit der taktischen Schulung, die jeder in den vergangen Jahren bekommen hat, und mit einem Trainer von Weltformat: Warum schafft der FC Bayern nicht auch in Ingolstadt, einen mitzureißen, warum nicht auch mal unter der Woche gegen Wolfsburg, warum nicht gegen Schalke? Vom Zuschauen und Beobachten war das nicht gerade die Offenbarung.
Allerdings hat Real Madrid in der vergangenen Saison auch nicht stets geglänzt und im Viertelfinale sogar beim VfL Wolfsburg verloren.
Vermutlich ist es sogar häufiger so, dass mit einer Portion Glück und nicht mit dem feinsten Zauberfußball die Champions League gewonnen wurde. Das ist auch eine Qualität, die da sein muss. Es ist die Qualität, die Ancelotti jetzt mit dieser Mannschaft zu beweisen hat. Da gab's gegen Leipzig diesen Meilenstein, der übersprungen werden musste - was sie geschafft haben. Aber im Moment ist das alles beim FC Bayern noch ein fragiles Gebilde.
Mit Jan Placht sprach Stefan Giannakoulis
Quelle: ntv.de