Wirtschaft

KI belastet Stromversorgung Amazon zahlt 650 Millionen Dollar an ein AKW

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Das Susquehanna Steam Electric Station in Pennsylvania bekommt einen neuen Nachbarn: ein Rechenzentrum von Amazon.

Das Susquehanna Steam Electric Station in Pennsylvania bekommt einen neuen Nachbarn: ein Rechenzentrum von Amazon.

(Foto: picture alliance/AP Photo)

Rechenzentren sind Stromfresser. Allein die deutschen verbrauchen mehr als die Stadt Berlin. Tendenz? Steigend. Speziell das Training von KI-Modellen beginnt gerade erst. Das belastet die Stromversorgung. Amazon klopft deswegen bei einem Kernkraftwerk an.

Rechenzentren sind hungrig. Auf Strom. Denn täglich müssen Millionen Suchen bei Google und zig Routen bei Google Maps verarbeitet, Videos gestreamt und Überweisungen durchgeführt werden. In Deutschland haben Rechenzentren dafür 2023 knapp 20 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom verbraucht. Das ist fast doppelt so viel wie die ganze Stadt Berlin (12,5 Mrd. kWh) im Jahr benötigt, schreibt das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit in seiner jährlichen Auswertung. Schon jetzt gehen 3,7 Prozent des deutschen Stromverbrauchs auf das Konto von Räumen oder ganzen Gebäuden, in denen Computer-Hardware unseren Alltag steuert.

Und die Marschroute ist klar: Jeden Tag wird unser Leben ein kleines bisschen digitaler. Dafür sind mehr Rechenzentren mit mehr Leistung notwendig, die mehr Strom fressen. Doch das kann zu erheblichen Problemen führen.

Irland etwa habe in den vergangenen Jahren sehr viele neue Rechenzentren gebaut, sagt Ralph Hintemann vom Borderstep-Institut im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Innerhalb von nur fünf Jahren habe sich deren Anteil am Stromverbrauch verdreifacht. "Die hatten wirklich das Problem, dass sie die neuen Rechenzentren nicht mehr mit Strom versorgen konnten, ohne die Sicherheit des Netzes zu gefährden. Dann haben sie eine Reihe von Neubauprojekten gestoppt. Jetzt fangen sie langsam wieder an, verlangen aber, dass die Rechenzentren netzdienlich agieren, also eigene Stromversorgungsaggregate laufen lassen, wenn zu wenig Strom im Netz ist."

Rechenleistung wächst exponentiell

In Deutschland gibt es derzeit zwischen 521 und 3000 Rechenzentren - je nachdem, ob man kleinere Serverräume einzelner Unternehmen mitzählt oder nur die großen Hallen, die von IT-Konzernen und Cloud-Unternehmen wie Amazon, Google, Microsoft oder SAP betrieben werden. Seit 2010 hat sich deren Stromverbrauch mehr als verdoppelt und wegen neuer Projekte, wie den geplanten KI-Parks von Microsoft in Nordrhein-Westfalen, wird der Verbrauch weiter steigen. Bis 2030 könnte er 30 Milliarden Kilowattstunden im Jahr erreichen, das wäre beinahe dreimal so viel wie Berlin.

Dennoch ist die deutsche Stromversorgung eher nicht gefährdet. Auch, weil besonders hungrige Anwendungen hierzulande kaum stattfinden, etwa das Training von umfangreichen KI-Modellen mit den ultraschnellen Chips des neuen Börsenlieblings Nvidia. Die Rechenleistung für die größten und besten Sprachmodelle steige seit 2012 exponentiell und verdopple sich alle 3,4 Monate, haben die KI-Vorreiter von OpenAI bereits 2018 gewarnt.

Dieses Hochleistungstraining wird dort geleistet, wo Strom und somit der Betrieb von Rechenzentren besonders günstig sind. Etwa im Geothermie-Paradies Island, wo eine Kilowattstunde Energie nur fünf Cent kostet. In Island sind zudem die Witterungsbedingungen besonders trainingsfreundlich, denn durch die vergleichsweisen niedrigen Temperaturen wird weniger Strom für die Kühlung der Rechenzentren benötigt.

Die meisten KI-Modelle werden aber in den USA trainiert, wo die OpenAI-Partner von Microsoft oder Google Mega-Rechenzentren betreiben. Laut dem australischen Telekom-Anbieter Cloudscene stehen in den Vereinigten Staaten derzeit 5381 große Rechenzentren. Das sind damit zehnmal so viele wie im zweitplatzierten Deutschland.

Ein Rechenzentrum für 100 Milliarden US-Dollar

Auch die zukünftigen Pläne Deutschlands wirken, verglichen mit den USA, winzig: Im Rheinischen Revier will Microsoft für 3,2 Milliarden Euro drei Rechenzentren bauen. In den USA planen Microsoft und OpenAI ein Super-Rechenzentrum für 100 Milliarden US-Dollar. Konkurrent Amazon lässt sich nicht lumpen: Der E-Commerce-Gigant will in den kommenden 15 Jahren 150 Milliarden US-Dollar in neue Rechenzentren investieren, um die Nachfrage nach KI-Anwendungen der hauseigenen Cloud-Tochter AWS bewältigen zu können. Das hat Ende März das Finanz- und Wirtschaftsportal Bloomberg berichtet.

Der Stromverbrauch deutscher Rechenzentren wirkt im Vergleich mit den USA ebenfalls mickrig. Während hierzulande 20 Milliarden Kilowattstunden in den Betrieb von digitalen und mobilen Anwendungen fließen, stehen die USA bei 130 Milliarden Kilowattstunden. Bis 2030 werden hauptsächlich KI-Anwendungen dafür sorgen, dass sich der Bedarf verdreifacht (390 Mrd. kWh), wie die Beratungsfirma Boston Cosulting Group berechnet hat. Das wären etwa 7,5 Prozent des gesamten amerikanischen Stromverbrauchs oder so viel, wie 40 Millionen US-Haushalte benötigen.

Netzanschluss monatelang ausgesetzt

Dieser Stromhunger bleibt nicht ohne Folgen, wie Amazon am eigenen Leib erfahren musste: Die AWS-Mutter hat ihre ersten großen Rechenzentren in Virginia gebaut. Der Bundesstaat grenzt an die US-Hauptstadt Washington, D.C. und ist ein wichtiges Drehkreuz für den privaten und geschäftlichen Datenverkehr, in direkter Nähe von Ministerien und Regierungsbehörden aber auch für den staatlichen.

Das neue Investitionsprogramm von Amazon sieht laut Bloomberg vor, weitere Milliarden in Virginia zu investieren. In der Metropolregion gab es allerdings bereits 2022 Schwierigkeiten mit der örtlichen Stromversorgung. Dominion Energy konnte aufgrund hoher Auslastung keine sichere Belieferung mehr garantieren und setzte den Netzanschluss neuer Rechenzentren monatelang aus. In der Region soll sich der Strombedarf in den kommenden 15 Jahren erneut verdoppeln, weitere Versorgungsprobleme sind vorprogrammiert.

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Diese mögen für neue Rechenzentren ärgerlich sein, für bereits laufende wären sie eine Katastrophe. Denn die Dienste der Betreiber oder Cloud-Anbieter würden 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr benötigt, sagt Ralph Hintemann im Podcast. Je nach Rechenzentrum könne die gesamte Produktion eines Unternehmens daran hängen oder Finanztransaktionen einer Bank. "Das sind kostenintensive Bereiche, in denen ein Ausfall schnell zu Millionen- oder Milliardenschäden führen kann."

Laut Hintemann wird deshalb ein enormer Aufwand betrieben, um möglichen Ausfällen vorzubeugen. "Sie haben häufig eine doppelte Versorgung von zwei verschiedenen Umspannwerken. Falls auf der einen Leitung kein Strom sein sollte, kann das Rechenzentrum über die andere versorgt werden", sagt er. Dasselbe gelte für Notstromaggregate: "Sie haben typischerweise mehr als notwendig, falls mal eines nicht funktioniert."

Amazon kauft auf AKW-Gelände

Die Notwendigkeit, rund um die Uhr zu laufen, macht es kompliziert, den Bau neuer Rechenzentren mit erneuerbaren Energien wie Windkraft und Solarenergie zu stemmen. Die leiden unter Dunkelflaute und windstillen Tagen. Batterien machen technologisch rasante Fortschritte, können aber bisher nicht kosteneffizient eingesetzt werden.

Amazon hat deswegen zwei wegweisende Entscheidungen getroffen. Die AWS-Mutter baut neue Rechenzentren in US-Bundesstaaten wie Mississippi, in denen wenige Menschen leben und es demzufolge keine Versorgungsschwierigkeiten gibt. Amazon setzt außerdem auf Kernkraft: Anfang März hat das Cloud-Unternehmen einen Deal mit dem Betreiber das Atomkraftwerks Susquehanna Steam Electric Station im ländlich geprägten Bundesstaat Pennsylvania geschlossen: Für 650 Millionen US-Dollar kauft Amazon ein Rechenzentrum, das direkt neben dem AKW steht. Zehn Jahre lang wird Amazon rund um die Uhr mit Strom zum Festpreis versorgt. Sollte der Betrieb des bereits 40 Jahre alten Kernkraftwerks verlängert werden, darf Amazon den Versorgungsvertrag ebenfalls zweimal um jeweils zehn Jahre verlängern.

Für Talen Energy ist der Deal ein finanzieller Rettungsanker: Der klamme AKW-Betreiber musste erst vor zwei Jahren Insolvenz anmelden. Wenn Schulden, Zinsen und Gebühren bezahlt sind, sollen von 650 Amazon-Millionen 361 in die Kassen von Talen Energy wandern - eine Gewinnmarge von 55 Prozent.

Kernkraftaktien boomen plötzlich

Kernkraft "fits the bill", beschreibt das US-amerikanische Börsenmagazin "Barron's" das Geschäft: Sie ist für den Betrieb von Rechenzentren ideal geeignet, denn anders als Wind und Sonne ist sie rund um die Uhr verfügbar, pustet aber trotzdem kein CO2 in die Luft - eine weitere Herausforderung für den Ausbau der Cloud- und Rechenkapazitäten: Unternehmen wie Amazon, Google oder Microsoft müssen trotz riesiger Stromrechnungen Emissionen vermeiden und Klimaziele erfüllen. Deswegen sind fossile Technologien wie Erdgas keine Alternative.

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An der Börse ist diese Entwicklung bereits angekommen: Aktien von amerikanischen AKW-Betreibern konnten sich im vergangenen Jahr über Kursgewinne von jeweils mehr als 90 Prozent freuen, wie "Barron's" schreibt. Auch stillgelegte Kernkraftwerke profitieren: Der Betreiber des AKW Palisades im US-Bundesstaat Michigan hat Ende März einen milliardenschweren Kredit des US-Energieministeriums erhalten, um es wieder ans Netz zu bringen - bis mindestens 2051.

"Wieder was gelernt"-Podcast

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Quelle: ntv.de

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