Wirtschaft

Wie Banken den Devisenhandel manipulierten Der "Klub der Banditen"

Londoner Finanzdistrikt: Jahrelang soll ein Kartell von Top-Händlern aller Großbanken Währungskurse manipuliert und Kunden betrogen haben.

Londoner Finanzdistrikt: Jahrelang soll ein Kartell von Top-Händlern aller Großbanken Währungskurse manipuliert und Kunden betrogen haben.

(Foto: REUTERS)

Es wäre der größte Finanzskandal aller Zeiten: Chatprotokolle und E-Mails sollen zeigen, wie Top-Händler aller Großbanken über Jahre die Währungskurse manipuliert und dabei ihre Kunden abgezockt haben. Und kein Aufseher etwas merkte.

Der Betrug begann immer pünktlich auf die Minute. Jeden Tag um 16 Uhr Londoner Zeit ist Fixing Time. In einem schmalen Zeitfenster gegen Ende des Handelstages, 30 Sekunden bevor und 30 Sekunden nachdem die Uhr in der City viermal geschlagen hat, werden die Wechselkurse für die wichtigsten Währungen der Welt festgesetzt. Ein Dienstleister zeichnet dafür die Preise auf, zu denen die Banken gerade Euro, Dollar, Yen und Franken kaufen und verkaufen, und errechnet den Durchschnitt.

Diese Minute ist für Devisenhändler die wichtigste des Tages. Denn die meisten Kunden wollen ihr Geld zu den Kursen bei ihnen umtauschen, die beim Fixing um 16 Uhr festgesetzt werden. Die Momentaufnahme entscheidet darüber, wie viel die Banken an jedem Geschäft verdienen, das sie mit ihren Kunden machen. Und ihre Profitchancen sind aberwitzig.

Das größte Kasino der Welt

Der Devisenhandel ist der größte Markt der Welt überhaupt. Ein gigantisches Kasino, das immer geöffnet hat: Wenn um 17 Uhr die Händler an der New Yorker Wall Street ihre Orderbücher schließen, haben die Trader in Neuseeland ihre Rechner schon wieder hochgefahren. Sie spielen rund um die Uhr, um mehr als fünf Billionen Dollar. Täglich.

Bei diesem gigantischen Wetteinsatz bedeuten schon kleinste Kursänderungen an der vierten Nachkommastelle Milliardengewinne. Die Trader sollen deshalb in der Minute der Entscheidung nicht nur auf ihre wild blinkenden Computerbildschirme gestarrt haben. Sondern auch auf Chatprogramme, Mails und Telefone - um die Kurse zu verschieben. Das belegen Berichte der Nachrichtenagentur Bloomberg, die mehr als ein Dutzend Händler interviewt und mit Ermittlern in der Sache gesprochen hat. Und eine Sammelklage von Investoren, die n-tv.de vorliegt.

Wie Kassierer im Supermarkt

So soll der Betrug gelaufen sein: Erst sprachen die Händler sich ab und trieben gemeinsam die Kurse in die gewünschte Richtung, um ihren Kunden die Währungen möglichst billig abzukaufen und teuer zu verkaufen. Sie waren wie Kassierer im Supermarkt, die verabredeten, immer zu ihren Gunsten aufzurunden - damit der Kunde draufzahlt, egal, an welcher Kasse er steht. Niemand bemerkte den Schwindel. Aber die Kassierer wurden mit jedem Cent reicher.

Und dann setzten sie noch einen drauf: Sie strickten sich selbst offenbar todsichere Wetten auf die manipulierten Kurse, indem sie das Wissen darüber ausnutzten, wann ihre Kunden einkaufen gehen. Die Kassierer wussten schon vorher, wann die Kurse steigen oder fallen: wenn sie die Aufträge ihrer Kunden ausführen. Dann wetteten sie einfach vorher in die gleiche Richtung. Bloß auf eigene Rechnung.

Es ist die Geschichte eines globalen Betrugs, die so himmelschreiend und ungeheuerlich ist, dass man sich weigert zu glauben, dass sie wahr ist. Wenn sie nicht bittere Realität wäre, müsste man meinen, ein Hollywood-Drehbuchautor hätte sie geschrieben.

Alle wichtigen Banken der Welt sollen in das Drama verwickelt sein. Die Hauptrolle spielen nicht irgendwelche zweitrangigen Analysten, sondern ihre Top-Händler. Die Story lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Sie sollen Betrüger sein, die jahrelang ihre Kunden abzockten, um sich selbst zu bereichern, weil die Aufsicht versagte.

UBS, Royal Bank of Scotland, Barclays, HSBC, JP Morgan, Bank of America, Citigroup, Goldman Sachs und Deutsche Bank sind nun im Visier der Ermittler. Die EU-Kommission, die Kontrolleure in den USA, Großbritannien, Deutschland, der Schweiz, Neuseeland, Australien, Singapur und Hongkong ermitteln wegen der Vorwürfe. Den Banken drohen Milliardenstrafen, größere noch als für die jahrelange Manipulation der wichtigsten Zinssätze, für die sie bisher insgesamt mehr als vier Milliarden Euro Ablass bezahlten.

"Das Kartell" und "Die Mafia" chatteten oft

Der Währungshandel soll in Wahrheit ein abgekartetes Spiel gewesen sein.

Der Währungshandel soll in Wahrheit ein abgekartetes Spiel gewesen sein.

(Foto: REUTERS)

Der Währungs-Schwindel stellt die Libor-Lüge in den Schatten. Er betrifft nicht nur Firmen und Privatleute, die Kredite aufnehmen, sondern jeden, der im Ausland kauft oder einkauft und dafür Geld tauschen muss. Weltweit wurden bereits 30 Händler im Devisenskandal suspendiert oder gefeuert. Auch die Deutsche Bank hat bisher vier Trader geschasst. Einer von ihnen soll im November vom New Yorker FBI vernommen worden sein: Laut der Klageschrift soll er sich in einem Chat mit der Devisenmanipulation gebrüstet haben.

Die Deutsche Bank wollte sich gegenüber n-tv.de nicht zu dem konkreten Fall äußern. "Die Deutsche Bank hat Informationsanfragen von Aufsichtsbehörden erhalten, die Handelsaktivitäten im Devisenmarkt untersuchen", heißt es in einer Mail. "Die Bank unterstützt diese Untersuchungen und wird in begründeten Fällen disziplinarische Maßnahmen gegen einzelne Mitarbeiter ergreifen."

Es sind Männer wie der Chef des Europäischen Devisenhandels bei der US-Bank Citigroup, die den Betrug organisiert haben sollen. Oder einer der beiden globalen Chefs des UBS-Währungshandels. Und der Top-Trader, der bis Oktober den Handel mit G10-Währungen bei JP Morgan in London führte. Er soll einen Chatroom mit dem passenden Namen "Das Kartell" geleitet haben, in dem ein halbes Dutzend Top-Händler ihre Kursverschiebung verabredete. Andere sollen "Klub der Banditen", "Die Mafia" oder "One Team, One Dream" geheißen haben. Bezeichnenderweise sind die drei Männer laut der Klage allesamt gefeuert oder suspendiert worden.

Die Kassierer kontrollierten sich selbst

Noch beunruhigender ist, dass die Aufseher nichts gegen den globalen Schwindel unternahmen, obwohl es reichlich Hinweise gab. Ein Ausschuss der Bank von England, der den Devisenmarkt beobachtet, bemerkte schon im Juli 2006, dass es "Belege für Versuche gab, den Markt um den Zeitpunkt der Fixing-Termine herum zu bewegen". Die Momentaufnahme des Marktes sei "problematisch, da man sie manipulieren könne", stellte man zwei Jahre später fest. Die Protokolle der Sitzungen wurden erst im März veröffentlicht. Jahrelang bekannt war dagegen: Die Händler, die nun des Betrugs beschuldigt werden, saßen in dem Komitee, das den Währungshandel überwachen sollte. Die Kassierer kontrollierten sich selbst.

Zudem lud der Devisenhandel zum Betrug geradezu ein: 98 Prozent der Geschäfte werden im direkten Handel zwischen Banken statt über eine Börse abgewickelt. Eine Aufsichtsbehörde gibt es nicht. Nur zwölf Banken kontrollieren 85 Prozent des Marktes. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sie sich nicht abgesprochen hätten: Sie hatten ihre Finger an einer geheimen Goldader, die sich täglich eine Minute lang nur für sie öffnete. Während niemand hinschaute.

Verrat der Banken an den Kunden

Noch dazu ist es kinderleicht, die Wechselkurse zu manipulieren. Beim Fixing um 16 Uhr wird nicht nach Volumen gewichtet: Alle Trades fließen gleichwertig in die Berechnung ein, egal, wie groß das Geschäft ist. Ein Auftrag über einen Dollar zählt genauso viel wie einer über eine Milliarde Dollar. Den Durchschnitt kann man also nach oben treiben, indem man den Markt in der entscheidenden Minute mit möglichst vielen, möglichst kleinen, möglichst hohen Geboten bombardiert. Etwa durch einen großen Kundenauftrag, den man in viele winzige Tranchen aufstückelt.

"Banging the close" nennen die Profis das. Verstärken kann man die Wirkung noch mit Scheingeboten, die nur abgegeben werden, um während der Momentaufnahme die Kurse zu verzerren. Und die danach sofort mit vorher verabredeten Gegengeschäften wieder aufgelöst werden. "Painting the screen" heißt diese Strategie.

Damit die Manipulation gelingt, müssen die Trader sich absprechen. Genau das sollen sie getan haben: Sie tauschten offenbar vor der entscheidenden Minute die Aufträge aus, die ihre Kunden ihnen erteilt hatten. Der Währungs-Schwindel ist also nichts weiter als ein großangelegter Verrat der Banken an ihren Kunden.

Moderne Kommunikationsmittel machten den Betrug leicht. Statt sich in rauchgeschwängerten Hinterzimmern auf schweren Ledersesseln zuzuflüstern, mussten die Händler nur ein paar Tasten drücken, schon flossen Milliarden in ihre Taschen. Wie will man im Zeitalter von SMS, E-Mails und Computerchats solche Manipulation überhaupt verhindern? Die Ermittler setzen weiter auf die klassischen Methoden. Die Moral der Geschichte lautet daher: Die Kassierer werden mit Geldstrafen davonkommen. Oder sogar straffrei. Die UBS will sich den Ermittlern laut Medienberichten offenbar als Kronzeuge anbieten. So war sie schon im Libor-Skandal um eine Milliardenstrafe herumgekommen.

Quelle: ntv.de

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