Wirtschaft

Derivate für kalifornische Dürre Die Börse wettet jetzt auf Wasser

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(Foto: picture alliance/dpa)

Wasser ist die wichtigste Ressource der Welt. Aber vielerorts wird es knapp, die Preise steigen. In Kalifornien können sich Landwirtschaftsbetriebe dagegen neuerdings an der Börse absichern. Ihr Gegenpart bei den Finanzwetten sind professionelle Spekulanten. Eine Katastrophe mit Ansage?

In James Bond - Ein Quantum Trost hat der Bösewicht nur ein Ziel: Er will die wertvollste Ressource der Welt kontrollieren. Sehr zur Überraschung von 007 geht es aber nicht etwa um Öl oder Gold, sondern um Wasser. Durch Staudämme hat der Bösewicht in Bolivien eine verheerende Dürre herbeigeführt. Nun will er seine geheimen unterirdischen Wasservorräte teuer an die Regierung in La Paz verkaufen. Ende 2008 war der Film in den Kinos. Jetzt, gut zwölf Jahre später scheint die Realität die Fiktion einzuholen: An der Chicagoer Terminbörse können seit Anfang Dezember Finanzwetten auf Wasser abgeschlossen werden.

Terminkontrakte, im Englischen Futures genannt, sind an der Wall Street nichts Ungewöhnliches. Die gibt es auch für Rohstoffe wie Öl und Gold oder auch für Agrarprodukte wie Soja und Weizen. An sich sei das eine sinnvolle Sache, sagt ntv-Börsenexperte Raimund Brichta im Podcast "Wieder was gelernt". Mit Wasser-Futures könnten sich Wasserverbraucher gegen steigende Wasserpreise absichern.

"Nehmen wir einen großen landwirtschaftlichen Betrieb, der im Sommer regelmäßig viel Wasser verbraucht", erklärt er. "Wenn es eine Dürre gibt oder er eine befürchtet, können die Wasserpreise stark steigen. Dagegen kann er sich am Terminmarkt absichern, indem er auf steigende Preise wettet und solche Futures kauft. Steigen die Preise tatsächlich, leidet er zwar als Wasserverbraucher, kann aber seine Gewinne am Terminmarkt gegenrechnen und seine Verluste begrenzen."

Kalifornien, landwirtschaftliches Powerhouse

Steigende Wasserpreise fürchten vor allem Bauern in Kalifornien, wo es für Dürren keine James-Bond-Bösewichte braucht. Der sonnige Bundesstaat an der US-Pazifikküste ist in Summe die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und nicht nur technisch, sondern auch landwirtschaftlich ein Powerhouse. Ein Drittel allen amerikanischen Gemüses wird im "Golden State" angebaut, dazu kommen zwei Drittel aller amerikanischen Früchte und Nüsse. Aber die lebenswichtige Ernte ist in Gefahr: Kalifornien leidet seit Jahren unter extremer Trockenheit. Erst 2017 endete eine historische Fünf-Jahres-Dürre. Das Wasser wird seit Jahren knapper und teurer. Zuletzt verdoppelte sich der Preis innerhalb eines Jahres.

Die Terminkontrakte, die jetzt gehandelt werden, sind deshalb an die Preisentwicklung auf dem kalifornischen Wassermarkt gekoppelt. Sie sollen vor allem örtlichen Landwirtschaftsbetrieben und Gemeinden als eine Art Versicherung dienen, für die man eine Gebühr bezahlt, die schlimmstenfalls in einem verregneten Sommer verloren geht. Anders als bei James Bond kauft niemand Wasserquellen auf, man wettet lediglich auf die Preisentwicklung.

Aber ohne Gegenüber nützt das größte Wissen über die Wasserpreisentwicklung nichts. Niemand kann gegen sich selbst wetten. Bei Terminkontrakten braucht es jemanden, der die Gegenposition einnimmt. Im Fall von Wasserpreisen könnten das Besitzer von Wasserquellen sein, die sich gegen fallende Preise absichern wollen. Falls es überraschend mehr Regen gibt als gedacht und die Trinkwasserreservoirs in Kalifornien anders als sonst überlaufen, weil sie so voll sind. Aber das ist unrealistisch, Stichwort: Klimawandel. Auch eine Wette zwischen zwei Landwirtschaftsbetrieben ist deshalb unwahrscheinlich. Kleinbauern dürfte ohnehin das nötige Knowhow für diese komplizierten Finanzgeschäfte fehlen.

Klaus Gabriel hat an der Universität Wien zum Thema Nachhaltigkeit am Finanzmarkt promoviert.

Klaus Gabriel hat an der Universität Wien zum Thema Nachhaltigkeit am Finanzmarkt promoviert.

(Foto: Cric)

Als Gegenposition für die Terminkontrakte kommen am ehesten professionelle Spekulanten infrage, sagt Klaus Gabriel. Er ist Sozial- und Wirtschaftsethiker und Co-Geschäftsführer des Corporate Responsibility Interface Center (Cric), ein Verein für ethische und nachhaltige Geldanlagen. Er vermutet, dass sich Hedgefonds oder andere große institutionelle Anleger für die Kontrakte interessieren, um ihr Portfolio zu diversifizieren und trotz Niedrigzinsen neue Gewinne zu erschließen.

Bittere Lehren aus der Finanzkrise

Das Ansinnen ist verständlich. Bauern können sich absichern, Finanzspekulanten eine neue Einnahmequelle erschließen. Aber gerade beim Thema Geld neigt der Menschen zu Übermut. Was, wenn Landwirtschaftsbetriebe mit ihren Wetten wiederholt richtig liegen und die Terminkontrakte plötzlich nicht mehr zur Absicherung nutzen wollen, sondern die Lust am Zocken entdecken? Oder mit Geld wetten, das sie vielleicht gar nicht haben?

"Meine Erfahrung ist, dass überall, wo Missbrauch möglich ist, auch Missbrauch betrieben wird", sagt Gabriel. "Gerade am Finanzmarkt, das ist leider nicht zu vermeiden. Das nennt man Restrisiko. Auch das Leben ist so gestaltet, dass immer eines besteht. Wir können nicht verhindern, dass kein Schaden entsteht."

Aber gerade, wenn viel Geld im Spiel ist, kann sehr großer Schaden entstehen. Das hat man im Fall von Derivaten bei der Finanzkrise 2008 gesehen, als der spekulative Markt die Immobilienpreise in den USA immer höher trieb, ein Hypothekenkredit nach dem anderen aufgenommen wurde und sich niemand mehr fragte, welche Immobilien eigentlich von welchen Menschen gekauft werden. Die Spekulation hat das Grundgeschäft abgehängt.

Verzerrtes Bild von Angebot und Nachfrage

Das kann unabsichtlich auch mit Wasserpreisen passieren. Wenn viele Menschen viel Geld darauf wetten, dass sie steigen, wird der Eindruck vermittelt, auch der Verbrauch sei gestiegen. Ist er aber nicht, sondern nur die Wettlust. Es entsteht ein verzerrtes Bild von Angebot und Nachfrage.

Bildet sich am überhitzten Markt für Terminkontrakte eine Wasser-Blase, werden Außenstehende in Mitleidenschaft gezogen. Davor warnen die Vereinten Nationen, und davor warnt auch Cric-Chef Gabriel: "In Entwicklungs- und Schwellenländern wäre die Existenz vieler Menschen bedroht, wenn Lebensmittel 20 oder 30 Prozent teurer werden. Das sind Risiken, die nicht Spekulanten tragen, sondern die auf die Gesellschaft ausgelagert werden."

Noch decken die Terminkontrakte nur den kalifornischen Wassermarkt ab, das Interesse hält sich in Grenzen. Aber schon in fünf Jahren könnten zwei Drittel der Welt unter Wasserknappheit leiden. Wahrscheinlich ist, dass sich dann mehr Betriebe und Gemeinden gegen bedrohliche Preisschwankungen absichern wollen als weniger. Wahrscheinlich ist auch, dass Menschen mit spekulieren, denen die Wasserversorgung egal ist. Die Tür für Wasserwetten ist geöffnet.

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"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum bricht Afrika langsam auseinander? Verpasst Deutschland den weltweiten Cannabis-Boom? Weshalb müssen manche Berufspiloten Geld für ihren Job zahlen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Quelle: ntv.de

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