Deutsche zahlen gerne bar "Geld hat auch emotionale Bedeutungen"
07.10.2017, 07:51 Uhr
(Foto: imago/photothek)
Warum hängen die Deutschen so sehr am Bargeld? Trägt die mangelnde Digitalisierung die Schuld? Nicht nur, sagt der Wirtschaftssoziologe Erik Hölzl von der Universität zu Köln.
n-tv.de: Haben Sie eine bevorzugte Zahlungsmethode?

Erik Hölzl lehrt Wirtschaftspsychologie an der Universität zu Köln.
(Foto: Lisa Beller/Universität zu Köln)
Erik Hölzl: Nein, ich passe das an die Situation und die Zahlungshöhe an. Üblicherweise habe ich pro Gelegenheit ein bevorzugtes Zahlungsmittel. Im Supermarkt verwende ich beispielsweise die EC-Karte, im Restaurant bezahle ich normalerweise bar. Das ist auch so ein bisschen das Muster, das ich aus den wenigen vorliegenden Studien herauslese: Konsumenten überlegen, was der Situation am besten angemessen ist. Es sind nicht nur Unterschiede zwischen Personen, sondern auch innerhalb der Person. Man entscheidet eben von Anlass zu Anlass, was gerade passend oder kostengünstiger oder auch Gewohnheit ist.
Bezahlen eher Ältere bar oder auch jüngere Menschen?
Die Deutsche Bundesbank hat dazu vor zwei Jahren eine größere Studie veröffentlicht. Da wird deutlich, dass es klare Zusammenhänge mit dem Alter gibt: Ältere Personen zahlen eher noch mehr mit Bargeld. Es ist aber eben nicht nur eine Sache der Gewohnheit oder eine Frage der Umstellung auf moderne Technik. In allen Altersgruppen gibt es große Streuung im Verhalten. Diese haben vermutlich mehr mit persönlichen Einstellungen zu tun. Eine Studie aus den Niederlanden zeigt, dass es auf die individuelle Wahrnehmung von Sicherheit ankommt. Das bedeutet: "Wie sicher fühle ich mich, wenn ich Bargeld in der Tasche habe oder mit Karte zahle?" Beides hat Vor- und Nachteile. Nun kommt es darauf an, wie man selbst diese Dinge wahrnimmt.
Sind Ängste vor mangelndem Datenschutz oder Privatsphäre beim bargeldlosen Bezahlen nachvollziehbar?
Ich denke, jeder hat sein Anrecht auf eigene Sorgen. So etwas ist ja immer etwas Subjektives, das man den Leuten schlecht absprechen kann. Aber diese Ängste beziehen sich nicht nur auf Privatsphäre. Wenn es um Kartenzahlung geht, sorgen sich viele um Betrugsmöglichkeiten. Umgekehrt gibt es bei Bargeld auch Ängste vor Diebstahl oder Überfällen. Da gibt es eine ganze Bandbreite an Dingen, die einem Sorgen machen können.
Gibt es noch andere Gründe, wieso Leute lieber bar bezahlen?
Eine Sache, die sich in den Studien als sehr wichtig herausgestellt hat, war die Übersichtlichkeit von Bargeld. Ein Blick in die Geldbörse genügt, um zu sehen, wie viel ich ausgegeben oder noch übrig habe. Man hat dann zumindest ansatzweise ein Gefühl dafür, ob man sich etwas leisten kann. Den Überblick und Kontrolle behalten ist ein wichtiger Grund, warum man Bargeld verwendet. Dazu gehört auch die Selbstkontrolle: Viele sagen, dass es ihnen leichter fällt, auf unnütze Käufe zu verzichten, wenn sie bar bezahlen. Man gibt Versuchungen nicht so leicht nach. Einige Studien belegen, dass man mit Karten leichter mehr bezahlt und auch eher vergisst, wie viel man bezahlt hat. Diesen Unterschied gibt es tatsächlich – und er ist manchen Konsumenten auch bewusst. Deswegen tendieren sie zum Bargeld, weil sie damit ein bisschen dagegen ankämpfen können, zu viel auszugeben.
In Schweden werden nur noch 27 Prozent aller Zahlungen bar getätigt, in Deutschland sind es fast 80 Prozent. Warum funktioniert bargeldloses Bezahlen dort so gut und hier weniger?
Ein Grund, der diese Unterschiede erklären kann, ist vor allem die Akzeptanz von Kartenzahlung oder Handyzahlung. Aus meiner Sicht ist es immer noch ein Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Man braucht auf der einen Seite eine vorhandene Infrastruktur, die von den Konsumenten auch leicht benutzt werden kann. Auf der anderen Seite ist die Frage, was die Konsumenten bereit sind, anzunehmen und zu verwenden.
Das bedeutet, die Konsumenten würden dieses Angebot eher annehmen, wenn in Deutschland die Infrastruktur stärker auf Online- oder Kartenzahlung ausgelegt werden würde.
Ich denke, das ist eine Frage der Zeit. Bei der Umstellung auf den Euro hat man auch gesehen, dass sich Menschen an eine neue Währung gewöhnen können. Natürlich wird man sich auch an neue Zahlungsformen gewöhnen. Das ist etwas, das vielleicht nicht von heute auf morgen funktioniert. Man darf nicht davon ausgehen, dass es für alle Personen gleichermaßen einfach ist. Wie gesagt zeigen die Studien starke Streuungen in den gleichen Alters- und Bildungsgruppen, die auch durch individuelle Einstellungen und Sorgen getrieben werden.
Hängt der große Hang zur Barbezahlung mit der allgemein vernachlässigten Digitalisierung in Deutschland zusammen?
Man kann das nicht nur der Infrastruktur zuschreiben. Wir haben in Deutschland an vielen Stellen und in vielen Geschäften die Möglichkeit, entweder mit Karte oder Bargeld zu zahlen. Selbst dort, wo die Infrastruktur eigentlich vorhanden ist, entscheiden sich Konsumenten sehr unterschiedlich. Viele Leute zahlen aus verschiedenen Gründen auch hier mit Bargeld.
Der Ökonom Peter Bofinger sagte vor ein paar Jahren, Geld sei ein Anachronismus. Können Sie dem zustimmen?
Vor dem Hintergrund, Steuerhinterziehung und Korruption zu bekämpfen, gibt es sicher viele gute Gründe, vom Bargeld wegzugehen. In Deutschland gibt es aber noch sehr viele Menschen, die mit Bargeld umgehen. Sie entscheiden sich bewusst gegen andere Zahlungsmittel, wenn sie die Wahl haben. Besonders für kleine Einkäufe ist es nach wie vor das Mittel der Wahl. Man darf in Zukunft nicht vergessen, dass viele Menschen Bargeld wichtig und wertvoll finden.
Wie genau ist "wertvoll" zu verstehen?
Im Zuge der Euro-Umstellung hat sich gezeigt, dass die Währung auch viele andere Bedeutungen hat. Es geht nicht nur um Geld als Zahlungsmittel. Damals ging es viel um Identität; die D-Mark war ein Symbol für das Land, für die Wirtschaftsleistung, für den Wiederaufbau. Aus diesen Gründen gab es auch Widerstand gegen den Euro und die Abschaffung der D-Mark. Geld ist kein reines Zahlungsmedium, sondern hat auch andere Bedeutungen. Diese Bedeutungen sind jetzt auch sehr stark am Bargeld festgemacht. Das ist die Frage, wenn man sich von Bargeld verabschiedet: Können diese Bedeutungen so leicht auf ein bargeldloses Zahlungsmittel übertragen werden? Können diese Zahlungsmittel die psychologischen Funktionen ebenso erfüllen wie jetzt das Bargeld?
Mit diesen Funktionen meinen Sie die schon angesprochene Kontrolle über sich und seine Finanzen?
Das wäre ein Aspekt: Kontrolle und den Überblick zu bewahren. Aber für viele Menschen hat Geld auch eine emotionale Bedeutung. Geld an sich bedeutet eben auch Sicherheit – wenn ich mehr Geld habe, fühle ich mich sicherer und unabhängiger. Derzeit ist das eben stark ans Bargeld geknüpft. Das sieht man auch dann, wenn man Leute Bargeld oder einfach nur Papier zählen lässt und ihnen danach Hilfe bei einem unlösbaren Rätsel anbietet. Die Personen, die Geld gezählt haben, warteten länger damit, um Hilfe zu bitten. Gedanken an Geld führen dazu, dass man sich stärker auf sich selbst verlässt und sich weniger helfen lässt. Man müsste klären, ob bargeldlose Zahlungsmethoden auch solche emotionalen Bedürfnisse erfüllen.
Mit Erik Hölzl sprach Philip Ziche.
Quelle: ntv.de