Weg zu besserer Marktwirtschaft "Wie schnell sind Probleme gelöst, wenn man Kapital klug entfesselt?"
12.12.2024, 18:49 Uhr
"Es ist nachweislich so, dass wir haben, was wir benötigen, um anzufangen. Man muss es nur in der Breite einsetzen."
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Selbstständige bangen um ihre Existenz, Unternehmen blicken skeptisch in ihre Zukunft, Verbraucher halten aus Angst ihr Geld zusammen ... die Stimmung in Deutschland ist miserabel. Dennoch blickt Achim Kampker optimistisch in die Zukunft. Der Ingenieur und Autor des Buches "Zukunftslust" ist überzeugt, das Werkzeug zur Lösung aller Probleme ist bereits vorhanden, man müsste nur anfangen. "Das ist typisch Deutsch: Anstatt loszulaufen, suchen wir erst 100 Gründe, warum wir scheitern könnten", sagt er im "Klima-Labor" von ntv. Auch das liebe Geld hält der Ingenieur nicht für ein Problem. "Auf den deutschen Konten liegt ein vierstelliger Milliardenbetrag. Das ist viel Geld, das man investieren kann." Was fehlt? Die richtigen Anreize, meint Kampker. Und ein globales Update der sozialen Marktwirtschaft.
ntv.de: Ihr Buch heißt "Zukunftslust". Was macht Ihnen Lust auf die Zukunft, wenn Sie an das bisherige Jahr denken?
Achim Kampker: Das ist eine Frage der Perspektive. Wenn man die aktuellen Geschehnisse historisch einordnet, bin ich nach wie vor glücklich, in der jetzigen Zeit zu leben. Ich durfte die Frau heiraten, die ich liebe. Das ist nicht selbstverständlich. Ich darf wohnen, wo ich möchte. Ich darf den Beruf ausüben, für den ich begeistert bin. Ich lebe in einer Demokratie und habe Freiheitsrechte.

Prof. Dr.-Ing. Achim Kampker leitet den Lehrstuhl für Production Engineering of E-Mobility Components an der RWTH Aachen. 2010 entwickelte er einen vollelektrischen Kleintransporter. Vier Jahre später wurde die Streetscooter GmbH von der Deutschen Post DHL gekauft. Kampker ist Autor des 2024 erschienenen Buches "Zukunftslust".
(Foto: privat)
Die schlechten Nachrichten blenden Sie aus?
Mein Credo ist, sich an die eigene Nase zu fassen und sich weder von anderen euphorisieren noch herunterziehen zu lassen. Was kann ich bewegen? Was kann ich machen? Das ist deutlich mehr, als viele von uns glauben. Das macht mich hoffnungsfroh. Erst recht, weil wir technologisch bereits alles haben, was wir benötigen, um unsere Probleme zu lösen. Es sind keine weiteren 20 Jahre Forschung notwendig. Das Werkzeug steht bereit.
Und Sie haben den Eindruck, dass Ihre Mitmenschen Ihr Credo teilen?
Deshalb habe ich mit anderen den Verein "Ingenieure retten die Erde" gegründet. Nicht, weil das andere nicht können, sondern weil wir überzeugt waren: Die Ingenieurszunft tut bisher zu wenig. Wir fangen bei uns an, anstatt Forderungen an die Politik zu stellen, und schauen, wie weit wir kommen. Das Buch ist ein Versuch, die öffentliche Diskussion anzustoßen und Dinge zu verändern. Denn es mangelt nicht an Ideen, sondern an Umsetzung und Geschwindigkeit.
Glauben Sie wirklich, dass Technologie die Lösung für unsere Probleme ist? Wir müssen nicht bis zur Atombombe zurückgehen, aber nehmen Sie das Internet und Künstliche Intelligenz: Damit kann man Leben verbessern, aber auch zerstören.
Wenn wir ein paar Hundert Jahre zurückgehen könnten, würde es sicherlich andere Lösungen geben, um das Verhältnis vom Menschen zur Umwelt auszutarieren. Mittlerweile sind wir aber so viele Menschen auf der Erde, dass wir ohne Technologie nicht weiterkommen. Mit einem Hammer kann ich etwas aufbauen, aber auch zerstören. Das liegt in der Natur der Sache. Ich bin auch kein hoffnungsloser Optimist, der mit einer rosaroten Brille durch die Welt läuft und glaubt, alles wird gut. Es gibt kritische Entwicklungen, aber wir haben es in der Hand und müssen dagegenhalten.
Wo würden Sie denn bei Erderwärmung und Klimawandel anfangen? Das ist ein großes Problem …
Es ist nachweislich so, dass wir haben, was wir benötigen, um anzufangen. Man muss es nur in der Breite einsetzen. Das heißt nicht, dass man nicht an anderen Technologien forschen sollte. Aber es darf keine Entschuldigung sein, nichts zu tun, nur weil bisher nicht jedes Problem gelöst ist. Das ist typisch Deutsch: Anstatt loszulaufen, suchen wir erst 100 Gründe, warum wir scheitern könnten.
Das klingt ehrbar, aber trotzdem nach der rosaroten Brille. Welche Probleme gehen Sie denn mit Ihrem Verein konkret an?
40 Prozent der Lebensmittel, die auf unseren Feldern reifen, landen nicht in unseren Mägen. Das ist aus unterschiedlichen Gründen weltweit so. In Deutschland schmeißen wir viele Lebensmittel weg, in anderen Ländern verrotten sie, weil es keinen Kühlkreislauf gibt. Diese Abfälle kann man an die Larve der Soldatenfliege verfüttern. Das ist ein kleines Tierchen, das Reststoffe in wertvolle Proteine umwandelt, ohne dabei CO2 zu produzieren. Ein Mitstreiter hat ein Unternehmen gegründet, in dem er die Larven züchtet und sie zum Beispiel anstelle von Soja als Tierfutter anbietet. Ein weiteres Riesenthema ist die Bodenaufbereitung. Alle wissen, dass Luft und Wasser sauber sein sollen, aber unseren Boden treten wir mit Füßen. Wir möchten ihm über die richtige Kompostierung wieder Leben einimpfen.
Und Sie glauben, das funktioniert? Kollektiv? Die Menschheit beschäftigt sich ja bevorzugt mit sich selbst.
Ich bin Vater von fünf Kindern, deshalb bin ich intrinsisch motiviert, dass sie ein gutes Leben haben. Aber ja, der Mensch denkt oft an sich selbst. Wir können versuchen, ihn umzuerziehen, das hat in den vergangenen 2000 Jahren nicht so gut funktioniert. Aber wenn wir statt von Nachteilen und Einschränkungen über Vorteile reden, gelingt uns Veränderung vielleicht besser. Auf den deutschen Konten liegt ein vierstelliger Milliardenbetrag. Das ist viel Geld, das man in nachhaltige Projekte der eigenen Region investieren kann. Das gibt es schon im Bereich der Windkraft, wo Dörfer ohne große Investoren eigene Windräder bauen. Plötzlich findet ein großer Teil der Anwohner die Windräder super, weil’s in der Kasse klingelt, wenn sie sich drehen.
Und trotzdem haben viele Menschen das Gefühl, ihr Leben wird schlechter, auch in Deutschland.
Weil ich den Menschen nicht sagen kann: "Pass auf, du kriegst ab jetzt nichts mehr zu essen, aber dafür retten wir die Umwelt". Ich denke seit 20 Jahren darüber nach, welches Wirtschaftssystem das Sinnvollste für die Menschheit ist. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir kein neues System benötigen, sondern das Vorhandene weiterentwickeln sollten: Aus der Marktwirtschaft ist über 100 Jahre die soziale Marktwirtschaft geworden, um die Arbeitnehmerschaft vor Ausbeutung zu schützen. Jetzt sollte aus der sozialen Marktwirtschaft eine soziale Marktkreislaufwirtschaft werden.
Eine soziale Marktkreislaufwirtschaft?
Das ist die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Die Menschen benötigen Arbeit, mit der sie sich wohlfühlen und die ihnen das Auskommen ermöglicht. Dieses Ziel dürfen wir aber nicht länger gegen unser Fundament ausspielen, nämlich die Welt, auf der wir leben. Diese Weiterentwicklung ist der Schlüssel. Der Staat muss Leitplanken vorgeben, um mögliche Konflikte auszutarieren.
Zum Beispiel?
In den USA werden Pkw-Hersteller nicht bestraft, wenn sie CO2-Grenzwerte überschreiten, sondern belohnt, wenn sie Grenzwerte unterschreiten. Das ist einer der Gründe, warum Tesla schon vor Jahren an der Börse so viel wert war: Die Leute haben erkannt, dass man damit Geld verdienen kann. Wir machen es andersherum und verfehlen damit die Lenkung. Ich kann meine Kinder nicht nur über Strafen und Verbote erziehen, das verursacht nur Stress. Ich muss sie motivieren und richtiges Verhalten belohnen. Dann machen sie automatisch, was ich möchte. In diese Richtung müssen wir als Gesellschaft gehen.
Und das Modell der sozialen Marktkreislaufwirtschaft lässt sich auch auf maximal kapitalistische Länder wie die USA oder Autokratien wie China übertragen?
Ja, weil es ein überlegenes Modell ist und nicht nur die Umwelt rettet, sondern Effizienzen steigert und Geld spart. Und Effizienz ist der Urgedanke von Kapitalismus. Nehmen wir die Soldatenfliege: Ich verdiene Geld durch den Verkauf, verursache keinen CO2-Ausstoß und muss zusätzlich weniger Palmöl importieren. Denn das wird zur Herstellung von Schmierstoffen benötigt. Die kann man aber auch aus der Larve der Soldatenfliege herstellen. Was glauben Sie, wie schnell unsere Probleme gelöst sind, wenn man das Kapital so entfesselt, dass es in die richtige Richtung arbeitet? Das ist wie mit Bonuspunkten: Beim Sammeln sind alle sofort dabei.
Welche Maßnahme schwebt Ihnen für Deutschland vor?
Ich wünsche mir eine Innovationszone, in der man bestimmte Technologien einführen und ohne große Diskussionen testen darf. Dort müssen nur die hinziehen oder leben, die das auch möchten. Ich wäre sofort dabei. Dort könnten wir zeigen, was wirklich machbar ist. Alle anderen könnten im Urlaub oder am Wochenende vorbeikommen und sich die Ideen anschauen. Das würde Deutschland im Bereich der Innovation weit nach vorn bringen.
Ein großer Abenteuerspielplatz für Ingenieure? Wo soll der entstehen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aber eine Option wäre rund um die Braunkohlelöcher, wo ohnehin gerade viel neu strukturiert wird.
Mit Achim Kampker sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.
Quelle: ntv.de