Von Solar über Auto zu Robotik Wie Chinas Billigkonkurrenz Europas Industrie zerstört
16.10.2024, 18:16 Uhr Artikel anhören
Ein humanoider Roboter auf der internationalen Messe für Dienstleistungshandel im September 2024 in Beijing. Im Jahr 2022 kamen nach Branchenangaben bereits mehr als die Hälfte aller Industrieroboter aus China.
(Foto: picture alliance / Sipa USA)
Bei den Spannungen im Handel zwischen der EU und China geht es derzeit hauptsächlich um Zölle auf E-Autos aus China. Tatsächlich leiden aber auch viele andere Branchen in Europa unter der schnell wachsenden chinesischen Konkurrenz. Zuletzt warnte der Robotik-Verband vor dem qualitativ immer hochwertigeren Wettbewerb aus China. "Die europäischen Regierungen sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren eigenen Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen", fordert Alexander Brown vom Berliner Thinktank Merics im Gespräch mit ntv.de. Ausgleichszölle schützten die heimische Wirtschaft und seien "kein Protektionismus". In seinen Augen sind Billigimporte aus China aber nicht per se schlecht. Für die Zukunft bleibt er zuversichtlich. Dafür brauche es allerdings eine "neue Geschäftsgrundlage" in der Zusammenarbeit zwischen China und EU.
ntv.de: Der globale Robotik-Verband IFR warnt vor chinesischen Herstellern, die im großen Stil nach Europa drängen. Ist das Panikmache?
Die Sorgen sind berechtigt. Chinas Know-how in der Roboterfertigung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der chinesische Markt ist der größte der Welt: Im Jahr 2022 kamen laut IFR bereits mehr als die Hälfte aller Industrieroboter aus China. ABB und alle anderen großen ausländischen Roboterhersteller eröffnen hochmoderne Produktionsstätten in China. Das dürfte für chinesische Hersteller einen hohen Wissensgewinn bedeuten. Ausländische Unternehmen – vor allem japanische Firmen – sind zwar nach wie vor weltweit führend bei Robotern und Robotik-Kernkomponenten. Aber immer mehr chinesische Firmen entwickeln günstige Produkte auf einem durchaus annehmbaren Qualitätsniveau. Die Strategie lautet, 80 Prozent der Qualität ausländischer Wettbewerber zu erreichen und zu 20 Prozent des Preises zu verkaufen. Das könnte sich als effektiv erweisen. Die Spannungen zwischen der EU und China werden also weiter zunehmen.
In welchen Branchen drohen die Chinesen die europäische Wirtschaft noch zu überholen?
Die EU-Kommission hat über das Antisubventionsverfahren zu E-Autos hinaus bereits Untersuchungen zu den Aktivitäten mehrerer chinesischer Unternehmen in Europa eingeleitet. Da geht es um chinesische Zulieferer von Zügen, Solarpaneelen, Windturbinen und Sicherheitsausrüstung für Häfen und Flughäfen. Chinesische Industrieunternehmen holen in europäischen und insbesondere deutschen Schlüsselsektoren schnell auf. Bei Chemikalien liegt China bei den weltweiten Exporten schon auf Augenhöhe mit Deutschland. Bei Spezial- und Industriemaschinen sowie elektrischen Ausrüstungen hat China Deutschland bereits übertroffen.
Die Aufholjagd ist kein neues Phänomen, trotzdem hat die europäische Wirtschaft bislang kein Mittel gegen die chinesische Konkurrenz gefunden. Wie erklären Sie das?
China ist mit seiner staatlich gelenkten Wirtschaft und seinem riesigen Markt im Vorteil. Peking unterstützt das Wachstum seiner lokalen Industrien. Bau-, Zement-, Stahl- und Eisenbahnsektor werden komplett von staatlichen Unternehmen dominiert. Diese Unternehmen müssen nicht dem Gesetz der Rentabilität folgen, sie profitieren vom geschützten Inlandsmarkt und billigen Krediten der Staatsbanken. Damit konnten sie massive Produktionskapazitäten aufbauen, egal ob sie sich lohnen. Hinzu kommt Chinas jahrelang astronomisches Wirtschaftswachstum, die hochqualifizierten und kostengünstigen Arbeitskräfte sowie eine hervorragende Infrastruktur. Selbst wenn Peking seine Firmen weniger geschützt hätte, wäre es zu einer gewissen Neuverteilung der globalen Industrie gekommen.
Europäischen Roboterherstellern bleibt also nichts anderes, als günstiger zu produzieren, um gegen die Konkurrenz aus China anzukommen?
Die Herstellung hochwertiger Produkte zu attraktiven Preisen ist immer ein Erfolgsrezept. Europäische Unternehmen genießen im Hinblick auf Qualität einen ausgezeichneten Ruf. Die Schwierigkeit besteht darin, die Kosten zu senken.
Wie soll das gelingen?
Europas Unternehmen brauchen zur Senkung der Arbeitskosten Unterstützung bei Investitionen in fortschrittliche Fertigungsprozesse. Sie brauchen günstige Energie und Unterstützung regulatorischer Hürden. In einigen Fällen kann die Regierung auch eine bereits robuste Nachfrage weiter ankurbeln, damit die Unternehmen wachsen und von Skaleneffekten profitieren können.
Was halten Sie von protektionistischen Maßnahmen, um die Chinesen vom europäischen Markt fernzuhalten?
Die europäischen Regierungen sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren eigenen Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen. In Sektoren, in denen die unfaire Subventionierung von Chinas Firmen offensichtlich ist, kann die EU Ausgleichszölle erheben. Solche Maßnahmen schützen europäische Unternehmen vor unlauterem chinesischem Wettbewerb, sind aber kein Protektionismus, weil sie externen Verzerrungen entgegenwirken, statt lokale zu schaffen.
Ist es realistisch, in allen Bereichen, wo die Konkurrenz aus China Probleme bereitet, Strafzölle zu erheben?
Das ist unrealistisch. Um Zölle zu verhängen, muss die EU-Kommission jeden Einzelfall untersuchen. Sie sollte selektiv vorgehen und sich auf die Sektoren konzentrieren, die für die europäische Industrie von größter Bedeutung sind und in denen die Gefahr eines unlauteren Wettbewerbs aus China am größten ist. In manchen Branchen sind Billigimporte aus China gar nicht so schlecht. Die europäische Solarindustrie zum Beispiel ist sehr klein. Sie zu stützen, würde wahrscheinlich unverhältnismäßige staatliche Unterstützung erfordern. Solarmodule aus China sind eine geringe Gefahr für bestehende Arbeitsplätze in Europa und werden dazu beitragen, dass Europa seine Klimaziele erreichen kann.
Angenommen, es würden in sehr vielen Bereichen Zölle verhängt. Würde das etwas an Chinas Industriepolitik verändern?
Chinas industriepolitischer Kurs wird sich nicht ändern. Peking wird weiterhin das Wachstum inländischer Unternehmen unterstützen, versuchen, ihren Marktanteil zu erhöhen und den Export ins Ausland zu fördern. Chinas Führung ist entschlossen, einheimische Unternehmen in allen strategischen Branchen zum Erfolg zu führen. Auch wenn dies die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Industrieländern, auch in Europa, beeinträchtigen könnte, sieht es nicht danach aus, dass Peking seinen Kurs ändern wird.
Was steht für Europa zu befürchten, wenn sich die Entwicklung ungebremst durch Sanktionen fortsetzt?
Auf China entfällt inzwischen etwa ein Drittel der weltweiten Produktion. Die wachsende Konkurrenz aus China, das Wiedererstarken der Industriepolitik in den USA sowie die steigenden Energiekosten in Europa haben die Attraktivität des Produktionsstandorts Europa für viele Unternehmen stark untergraben. Ein deutlicher Abschwung zeichnet sich zwar bisher nicht ab, aber große Automobilkonzerne wie Volkswagen, Mercedes-Benz und ZF Friedrichshafen haben angekündigt, Arbeitsplätze in Deutschland zu reduzieren. Insolvenzen und Jobverluste werden zunehmen, insbesondere bei kleineren Unternehmen.
Besteht eine Chance auf friedliche Handelsbeziehungen zwischen Europa und China?
Die Zusammenarbeit zwischen Europa und China braucht eine neue Geschäftsgrundlage. Sie sollte unter faireren Bedingungen erfolgen. Dort, wo stark subventionierte chinesische Unternehmen den Wettbewerb verzerren, sollten die europäischen Regierungen Maßnahmen ergreifen, um die Ungleichgewichte zu beseitigen. Davon unabhängig dürften Handel und Investitionen zwischen China und Europa in den meisten Bereichen fortgesetzt werden können. Vor allem in Branchen, in denen weniger direkter Wettbewerb herrscht, oder in nicht-strategischen Sektoren wie Konsumgütern. Europäische Firmen haben nach wie vor eine breite Palette attraktiver Produkte für den chinesischen Markt im Angebot, etwa fortschrittliche Maschinen, Medizintechnik, oder chemische Produkte. Und chinesische Firmen werden weiter wichtige Lieferanten von grünen Technologien für die Energiewende sein. Es gibt also noch viel Spielraum für eine Zusammenarbeit.
Mit Alexander Brown sprach Diana Dittmer
Quelle: ntv.de