
Seit Februar kaum Babymilchpulver im Angebot: Leere Regale in einem Supermarkt in Gainesville im US-Bundesstaat Virginia.
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Die USA leiden an der größten Babynahrungs-Krise der vergangenen Jahrzehnte. Seit Monaten ist Milchpulver für Babys knapp. Eine Fabrik stoppte nach dem Tod von zwei Säuglingen die Produktion. Für amerikanische Eltern ist nun Babynahrung aus dem Ausland lebensnotwendig.
Eltern in den USA sind verzweifelt. In den US-amerikanischen Supermärkten sind die Regale, wo normalerweise das Babymilchpulver steht, seit Monaten zum Teil leer. Sie wissen nicht, wie sie ihre Babys füttern sollen, bestellen das Pulver im Ausland oder rühren es sogar selbst an - auf das Risiko hin, dass die Kleinen falsch ernährt werden.
Ein Mangel, der entstanden ist, weil eine Fabrik des Unternehmens Abbott wegen Hygieneproblemen schließen musste. Vier Babys waren krank geworden und zwei gestorben, nachdem sie mit Milchpulver des größten Herstellers von Säuglingsmilchnahrung in den USA gefüttert wurden. Im Februar musste Abbott seine Produkte zurückrufen und die Produktion in dem Werk im US-Bundesstaat Michigan stoppen, weil der Verdacht bestand, dass das Milchpulver mit Bakterien verunreinigt gewesen sein könnte.
Eine Versorgungskrise mit Ansage, denn in den USA teilen sich nur wenige Hersteller den Babynahrungs-Markt, sagt Hans Foldenauer. "80 Prozent der Babymilchpulver-Produktion sind in den Händen von zwei Firmen. Und wenn es da in einer Firma kracht, ist quasi Chaos da", erklärt der Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter im Podcast "Wieder was gelernt".
Inzwischen hat die US-Lebensmittelbehörde FDA das Babypulver von Abbott geprüft. Das Ergebnis: Die Babymilch war nicht daran schuld, dass die Babys gestorben sind, das Pulver war in Ordnung. Die Produktion darf jetzt wieder anlaufen, wahrscheinlich in der ersten Juniwoche.
Ausländische Hersteller müssen hohe Zölle zahlen
Zwar hat sich der Verdacht bei Abbott nicht bestätigt, die Kontrolle der FDA hat aber über 480 Unregelmäßigkeiten in dem Werk in Michigan aufgedeckt. Für Hans Foldenauer ist das ein Beispiel dafür, dass vielen Herstellern häufig der Profit wichtiger ist als die Qualität. "Immer billiger, immer schneller, immer weniger Kontrolle. Auch eine schlechte Bezahlung der Mitarbeiter spielt oft eine Rolle, die dann nicht so genau arbeiten."
Einen weiteren Grund für die Milchpulverkrise in den USA sieht der Experte in der Importpolitik der USA. "America first. Man hat für Hersteller aus Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden die Hürden, die Bürokratie, die Zollformalitäten so hoch gesetzt, dass es sich nicht mehr gerechnet hat, Vertriebswege in die USA aufrechtzuerhalten."
In den USA wird fast der komplette Bedarf an Milchpulver von einheimischen Firmen abgedeckt, 98 Prozent. Aus dem Ausland wird kaum etwas geliefert. Nur geringe Mengen kommen hauptsächlich aus Mexiko, Irland und den Niederlanden. Hohe Zölle und strenge Vorschriften der US-Lebensmittelbehörde FDA machen es ausländischen Firmen schwer.
Erste Lieferung aus Deutschland in die USA
Das soll sich jetzt ändern. Denn Babynahrung aus dem Ausland soll die Lücke in den USA stopfen. Die US-Regierung lässt mehr Importe zu und will die Regeln für die Einfuhr flexibler gestalten.

Am 22. Mai landete auf dem Flughafen in Indianapolis die erste Militärmaschine mit 30 Tonnen Babynahrung aus Europa an Bord.
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Außerdem hat Präsident Joe Biden eine Luftbrücke nach Europa eingerichtet - die "Operation Fly Formula". Die erste Lieferung hat ein Militärflugzeug Ende Mai vom rheinland-pfälzischen US-Stützpunkt Ramstein in die USA geflogen, insgesamt rund 30 Tonnen. 22 Tonnen davon kommen von Nestlé, teilt der Nahrungsmittelkonzern ntv.de auf Anfrage mit. Das füllt mindestens 1,5 Millionen Babyfläschchen in den USA, reicht aber bei Weitem nicht aus. "Man kann so einen Ausfall nicht von dieser zu nächster Woche kompensieren. Da ist niemand darauf eingestellt. Wenn europäische Babynahrungsmittelhersteller in die Bresche springen, fehlt es ja bei uns", erläutert Milchexperte Foldenauer.
Um die heimische Produktion anzukurbeln, hat US-Präsident Biden zudem ein Kriegsgesetz aus der Schublade geholt, den "Defense Production Act". Damit darf die Politik Industrieunternehmen zwingen, bestimmte Dinge zu produzieren. Das Gesetz wurde auch schon in der Corona-Pandemie genutzt. Unternehmen mussten medizinische Geräte und Masken herstellen. Jetzt müssen Lieferanten die Babynahrungshersteller vor allen anderen Kunden mit den nötigen Zutaten versorgen.
Auch andere europäische Hersteller springen ein: der britische Konzern Reckitt Benckiser und Danone aus Frankreich haben ihre Lieferungen in die USA aufgestockt. Bis wieder amerikanisches Milchpulver in den Supermarktregalen steht, kann es noch sechs bis acht Wochen dauern.
Nahrungsmittel für Babys werden teurer
Droht deshalb ein Engpass hier in Deutschland? "Ich sehe für Deutschland oder die EU keine Versorgungsknappheit", betont Hans Foldenauer. Er vergleicht die Situation mit der Babypulverkrise in China. "Es gab bei uns leere Regale, weil viel weggegangen ist, aber es musste kein Baby hungern." In China hatte es 2008 einen Verunreinigungs-Skandal gegeben. Milchpulver aus Deutschland war auch damals sehr gefragt. Es gab sogar kriminelle Banden, die die Packungen aus deutschen Drogerien gestohlen und sie auf dem chinesischen Schwarzmarkt verkauft haben.
Allerdings müssen sich Eltern darauf einstellen, dass sie in Zukunft mehr für Milchpulver und andere Babynahrung ausgeben müssen. "Wir haben eine Situation, wo wir deutlich gestiegene Preise für die gesamten Agrarprodukte haben. Und das heißt natürlich auch, dass Nahrungsmittel für Babys teurer werden", erklärt Hans Foldenauer im Podcast.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs steigen nicht nur die Energie- und Rohstoffpreise, auch Nahrungsmittel wie Butter werden immer teurer - ein Ende ist nicht absehbar. Unter anderem der Lebensmittelhersteller Nestlé, der auch Babymilch produziert, will die Preise weiter anheben.
Wir würden nur elf Prozent unseres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, betont Foldenauer. "Wenn Nahrung mehr kostet, auch Babynahrung, dann wird bewusster damit umgegangen", schätzt der Experte. Zudem lande 30 Prozent der Nahrungsmittel im Müll. Auch hier müssten wir umdenken. "Da steht sicherlich in vielen Haushalten Babynahrung, wo das Ablaufdatum zum Wegwerfen führt."
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
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Quelle: ntv.de