Bodenschätze oder Kulturerbe? Felsmalereien in Gefahr
15.09.2008, 10:11 UhrIm äußersten Nordwesten Australiens, fernab der gut erschlossenen Ostküste, liegt ein Gebiet von doppelter Bedeutung: Dieses Land zwischen Wüste und Meer, rund 1300 Kilometer nördlich der einzigen Westküstengroßstadt Perth, beherbergt sowohl reiche Rohstoffvorkommen als auch die größte Ansammlung an Aborigine-Kunst überhaupt. Doch die einzigartigen Felsenzeichnungen, die die Ureinwohner dort vor tausenden Jahren in die roten Felsblöcke ritzten, drohen durch den Boom des Bergbaus zerstört zu werden.
Sue Smalldon beobachtet mit wachsender Verzweiflung, wie die Industrie immer stärker am kulturhistorischen Erbe nagt. "Wir hatten hier fast eine Million Zeichnungen", sagt die Archäologin und Anthropologin. "Das macht dieses Gebiet so wertvoll. Es ist kulturell bedeutend, ästhetisch bedeutend, und es ist die dichteste Konzentration von Felsenzeichnungen auf der ganzen Welt." Auf rund 88 Quadratkilometern verteilen sich die Felsblöcke, auf denen Kängurus, Eidechsen, Strauße zu sehen sind. Einige zeigen auch menschliche Gesichter, andere vermutlich mythische Figuren, wieder andere Tasmanische Tiger, die vor etwa 6000 Jahren auf dem Festland ausgestorben sind. Die Wissenschaft schätzt das Alter der Malereien auf bis zu 30.000 Jahre.
Die Zeichnungen wurden in den 60er Jahren entdeckt, ungefähr zur gleichen Zeit, als der Bergbau in der Gegend Einzug hielt. Die Region Pilbara auf Burrup ist reich an Eisenerz, Erdgas, Mangan - alles Stoffe, die die boomende Wirtschaft im benachbarten Asien dringend benötigt. Gerade in den vergangenen Jahren intensivierten Bergbauindustrie und Energiewirtschaft ihre Produktion: Erdgas wird in Flüssiggas umgewandelt; eine Düngemittelfabrik ist entstanden, und das wertvolle Eisenerz wird über Hafenanlagen direkt nach Asien verschifft.
Felsblöcke einfach verlegen
Als die Energiefirma Woodside Petroleum ihre Flüssiggasanlage bauen wollte, "da haben wir alle Nein gesagt", berichtet Smalldon. "Archäologen, Anthropologen, Aborigines." Die Anlage wurde trotzdem gebaut - laut einem Firmensprecher so schonend wie möglich. "Es ist keine Felsenzeichnung beschädigt oder zerstört worden", betont der Sprecher. Lediglich 170 Felsblöcke hätten verlegt werden müssen. Diese jedoch fügten sich jetzt "nahtlos in ihre Umgebung ein".
Argumente wie diese prallen an Smalldon ab. "Das ist so, als würde man sagen: Stonehenge ist eine kreisförmige Stätte, lass uns einfach zwei Steine rausnehmen." Die Archäologin vermisst ein Bewusstsein für die Bedeutung der Aborigine-Kunst. Die tausende Jahre alten Malereien würden mit Graffiti beschmiert, Bauarbeiter würden ihre Lager inmitten heiliger Stätten aufschlagen, und manchmal ließen Besucher sogar kleine, verzierte Steine mitgehen.
"Ungeheuerlicher Planungsfehler"
Immerhin nahm die Regierung die Felsmalereien in Murujuga, wie die Ureinwohner die Halbinsel nennen, vergangenes Jahr in ihre Liste des Nationalen Kulturerbes auf. Doch Experten wie Robert Bednarik bezeichnen den Umgang mit der prähistorischen Stätte immer noch als "einen ungeheuerlichen Planungsfehler". "Westaustralien ist eine der am wenigsten besiedelten Regionen der Welt", sagt der Philosoph, der sich seit den 60er Jahren für den Schutz der Felszeichnungen einsetzt. "Wir haben Unmengen Land, wir haben ellenlange Küstenstreifen, die völlig menschenleer sind, und was tun wir? Wir bauen den größten Industriekomplex des Landes auf dem gleichen Fleck Erde, auf dem sich das größte Kulturerbe des Landes befindet. Das ist doch unglaublich."
"Es ist so traurig", sagt Smalldon. "Überall auf der Welt, wo es ein Erbe von einer solchen Bedeutung gibt, würde man ein richtiges Management für die Stätte einsetzen." In Burrup dagegen seien auch wohlmeinende Besucher an manchen Stellen gezwungen, über die bemalten Felsblöcke zu klettern, weil es keine vernünftige Wegführung gebe. Das kleine Schild mit der Aufschrift "Bitte helfen Sie, diese Stätte zu erhalten", das die Behörden aufgestellt haben, liest sich da wie zum Hohn.
Quelle: ntv.de, Madeleine Coorey, AFP