Schlimmes mit Schönem überlagern Negatives nicht mit ins Bett nehmen
04.12.2016, 19:46 Uhr
Gerade Kinder sollten vor Schrecklichem am Abend bewahrt werden.
(Foto: picture alliance / dpa)
"Da muss ich erst einmal eine Nacht drüber schlafen" ist der Satz, den man vor wichtigen Entscheidungen oftmals hört. Tatsächlich passiert im Schlaf so einiges. Wie sich negative Erfahrungen nach dem Schlaf auswirken, haben Forscher herausgefunden.
Aufwühlende negative Erinnerungen sind schwerer gezielt zu vergessen, wenn man schon eine Nacht darüber geschlafen hat. Diese Erkenntnis ergibt sich aus einer Studie, bei der die Probanden die Aufgabe hatten, die Erinnerung an abstoßende Bilder zu unterdrücken. Die Neurowissenschaftler um Yunzhe Liu von der Beijing Normal University in Peking (China) möchten mit ihrer Forschung dazu beitragen, die posttraumatische Belastungsstörung und ähnliche psychische Erkrankungen zu verstehen. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift "Nature Communications".
"Die Fähigkeit, unerwünschte emotionale Erinnerungen zu unterdrücken, ist entscheidend für die geistige Gesundheit des Menschen", schreiben die Forscher. Noch sei nicht genau bekannt, wie sich die Verfestigung von Gedächtnisinhalten durch Schlaf darauf auswirke. Liu und Kollegen führten deshalb Untersuchungen mit insgesamt 73 männlichen Studenten durch.
Den Probanden wurden dabei 26 neutrale Gesichter gezeigt, zu denen sie sich jeweils ein abstoßendes Bild merken sollten. 24 Stunden später lernten sie weitere 26 Gesichter-Schreckensbild-Paare. Nach einer halben Stunde erhielten sie die Aufgabe, bei einem Teil der Gesichter nicht an das damit verknüpfte negative Bild zu denken. Bei dieser Aufgabe wurde die Hirntätigkeit der Teilnehmer mittels Magnetresonanztomografie aufgezeichnet. Außerdem maßen die Forscher sonstige körperliche Regungen über die Hautleitfähigkeit - sie erhöht sich, wenn mehr Schweiß ausgeschieden wird. Anschließend überprüften die Wissenschaftler, woran sich die Probanden noch erinnerten.
Erinnerungen werden im Schlaf verfestigt
Im Ergebnis zeigte sich, dass die Studenten sich an mehr abstoßende Bilder erinnerten, die sie 24 Stunden zuvor gesehen hatten, als an die kurz zuvor gelernten Bilder. Anhand der Hirnscans erklären die Forscher den Vorgang so: Zunächst sind die Erinnerungen noch stark an ein Netzwerk mit dem Hippocampus im Zentrum gebunden - der Hippocampus gilt als "Erinnerungsgenerator". Nach der Verfestigung oder Konsolidierung im Schlaf liegen die Erinnerungen eher in einem weit verteilten Netzwerk im Neocortex (in der Großhirnrinde) vor. Dort seien die Erinnerungen schwerer zu unterdrücken, schreiben die Forscher.
Die methodisch gut gemachte Studie passe zu anderen Erkenntnissen jüngerer Zeit, sagt Jan Born, Professor am Universitätsklinikum Tübingen. Bisher sei vielfach angenommen worden, dass bei der Gedächtniskonsolidierung die Fakten von den damit verbundenen Emotionen getrennt würden. "Hier erbringt die Studie Hinweise darauf, dass dies nicht der Fall ist", hebt Born hervor. Allerdings könne mit einem Laborexperiment kaum untersucht werden, wie das Gehirn mit traumatischen Erlebnissen umgehe. In dieser Versuchsanordnung gehe es eher darum, nicht an das zuvor Gelernte zu denken und damit die Erinnerung verblassen zu lassen.
Was aber kann man tun, wenn man abends Schreckensbilder oder schlechte Gedanken im Kopf hat? Die wirksamste Methode sei tatsächlich, nicht zu schlafen, meint Born. Aus klinischer Sicht würde auch die Einnahme des Stresshormons Cortisol helfen. Aber die richtige Behandlung von Menschen mit traumatischen Erlebnissen sei weiterhin Gegenstand der Diskussion und Forschung. Nach einem Streit mit dem Partner oder der Partnerin helfe es jedenfalls nicht, Alkohol zu trinken, warnt der Mediziner - das verhindere nicht die Gedächtniskonsolidierung. Besser sei es, sich abzulenken und andere Informationen aufzunehmen, um die negativen Gedächtnisinhalte zu überlagern.
Quelle: ntv.de, Stefan Parsch, dpa