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Fundsache, Nr. 47 Neue Diabetes-Therapie

Auf den ersten Blick sehen der Kugelschreiber und das Insulin-Tagebuch ganz normal aus. Doch sie sind intelligenter als gewöhnlich: In dem Stift ist neben der Schreibmine eine Kamera eingebaut, auf dem Papier versteckt sich ein Koordinatensystem.

Mit Hilfe einer speziellen Software können die unscheinbaren Instrumente Blutzucker-und Insulinwerte von Diabetikern direkt zu den Ärzten in der Universitätsklinik Münster übertragen. Dadurch ist eine Betreuung von Zuckerkranken aus der Ferne möglich, per Telemedizin.

An der Zuckerkrankheit leiden laut Deutscher Diabetes Gesellschaft (DGG) in Deutschland sechs Millionen Menschen. "Weitere zwei Millionen Erkrankungen sind unbekannt", sagt DGG-Präsident Wolfgang Kerner. Die Krankheit ist auf dem Vormarsch: "Jedes Jahr nimmt sie um 0,5 Prozent zu." Die Gründe sind simpel: Die Menschen bewegen sich immer weniger und essen zu ungesund. Diese Probleme stehen im Mittelpunkt des Weltdiabetestages am 14. November.

"Der Vorteil an unserem System ist, dass Patienten nichts Neues lernen müssen, denn ein Insulin-Tagebuch müssen sie sowieso führen", sagt der Diabetologe Reinhold Gellner, der das Telemedizin-Projekt mit seinem Team entwickelt hat. Komplizierte technische Übertragungsmethoden, bei denen Patienten ihre Werte selbst per Handy oder Internet versenden müssen, hätten sich in der Diabetes-Therapie nicht bewährt. "Die Masse an Patienten ist älter. Da kann man nicht einfach erwarten, dass jeder Internet hat oder mit Handys umgehen kann." 95 Prozent der Zuckerkranken in Deutschland litten an Altersdiabetes, sagt Gellner.

Auf technische Hürden verzichtet das System daher: Mit dem Kugelschreiber schreiben Diabetiker wie gewohnt ihre Werte auf den speziellen Papierbogen -morgens, mittags und abends. Die Kamera im Stift verfolgt die Bewegungen und lokalisiert sie in dem Koordinatensystem aus winzigen Punkten, die kaum sichtbar hinter den aufgedruckten Tabellen verborgen sind. Die Angaben werden gespeichert, und am Ende jedes Tages haken die Patienten ein spezielles Feld ab. Dies erkennt der Kugelschreiber als Sendebefehl -und schickt die Daten automatisch an ein Mobiltelefon, das die Patienten mitgeliefert bekommen.

Das Mobiltelefon sendet die Daten an die Klinik weiter. Auf dem Weg dorthin wandelt eine Software die Koordinatenwerte in Zahlenreihen um. Ein zweites Computerprogramm erstellt daraus schließlich lesbare Tabellen und Grafiken. "Damit können wir jederzeit auf den ersten Blick erkennen, wie die letzten Werte eines Patienten sind", sagt Gellner.

Normalerweise kommen Diabetes-Patienten mit ihren Aufzeichnungen nur alle drei Monate in eine Sprechstunde, um ihre Behandlung abzustimmen, sagt Gellner. Das Computerprogramm sei wesentlich schneller. Mit ihm können die Mediziner für jeden Patienten individuelle Ziele festlegen. Liegen die übermittelten Werte außerhalb dieses Bereiches, meldet das Programm die Abweichung - und die Ärzte haken telefonisch nach. "Wir nutzen das System aber nicht als Notüberwachung", sagt Gellner. "Bei Nullwerten zum Beispiel schlägt das Programm keinen Alarm." Vielmehr solle das System Patienten langfristig helfen, ihre Insulindosen zu Beginn einer neuen Therapie richtig einzustellen.

Ob das mit dem neuen System besser funktioniert als ohne, soll nun eine Studie zeigen. Seit etwa einem Jahr beobachten die Münsteraner Mediziner die Behandlung von 46 Zuckerkranken: Die eine Hälfte ist mit dem neuen System ausgestattet, die andere nicht. Die Zwischenergebnisse seien erfreulich, sagt Gellner. Bei vielen Patienten aus der Telemedizin-Gruppe hätten sich die Werte in kurzer Zeit beachtlich verbessert.

Ob das System anschließend großflächig angewendet werde, hänge auch vom Geld ab, sagt Gellner. Wegen der kleinen Stückzahlen in der Testphase seien die Kosten noch nicht zu kalkulieren. "Ich denke, das System wird ein Spezialwerkzeug bleiben", sagt der Diabetologe. "Aber ein sehr nützliches -für die Patienten und für uns Ärzte."

Quelle: ntv.de

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