300 Jahre nach Porzellan-Erfindung Streit um Urheberschaft
21.02.2008, 09:58 UhrAuch 300 Jahre nach Erfindung des europäischen Hartporzellans wird um deren Urheberschaft eifrig gestritten. Wann immer der Lübecker Diamantgutachter Christof von Tschirnhaus in Publikationen den Alchemisten Johann Friedrich Böttger (1682-1719) als Vater des Porzellans genannt sieht, macht er mobil. "Ich kann es ja verstehen, dass im ehemaligen Arbeiter-und-Bauern-Staat ein von Tschirnhaus nicht zu Ehren kommen sollte. Aber sollte diese Einstellung nicht langsam vorbei sein", fragt er und legt noch einen Aphorismus nach: "Die Wahrheit bahnt sich oft nur langsam ihren Weg."
Christof von Tschirnhaus ist überzeugt, dass seinem indirekten Vorfahren Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708) die Ehre zusteht. Dafür sieht er viele Belege. So sei das Labor in der Dresdner Jungfernbastei eigens für Tschirnhaus eingerichtet worden, Böttger habe dort lediglich als Gefangener gewirkt. "Die technische Leitung des Unternehmens oblag Tschirnhaus." Für seine Argumentation führt der Nachfahre vor allem Zitate von Zeitzeugen und Archiveinträge an. Das alles lässt für ihn nur einen Schluss zu: "Der Erfinder des europäischen Porzellans heißt Tschirnhaus."
Viele Akteure
Seine Gegner hat der junge Tschirnhaus vor allem in der Porzellan- Manufaktur Meissen ausgemacht. Dort versteht man die Aufregung um den Autor der "Porzellan-Formel" nicht. "Wir gehen von einer Teamleistung aus. Nicht Böttger oder Tschirnhaus muss es heißen, sondern Böttger, Tschirnhaus und andere", sagt Geschäftsführer Hannes Walter. Den Forschern sei heute klar, dass einer allein diese Aufgabe gar nicht bewältigen konnte. "Aber auch bei einer Teamleistung steht oft einer im Mittelpunkt. Und der heißt für uns Böttger."
Der Forscher Bernd Ullrich von der Bergakademie Freiberg nennt weitere Akteure. Gottfried Pabst von Ohain und bis zu 15 Berg- und Hüttenleute aus Freiberg hätten entscheidend dazu beigetragen, die Grunderkenntnis von Tschirnhaus umzusetzen: Dass europäisches Porzellan nur durch Kombination verschiedener keramischer Rohstoffe entstehen kann. Mit seinem Brennlinsenapparat hatte Tschirnhaus aus einem Ton-Kreide-Gemisch bei Temperaturen von mehr als 1400 Grad Celsius einen dichten und weißen Schmelzkuchen erhalten, den er als Ausgangspunkt für einen Porzellanwerkstoff erkannte.
In China gefunden, in Europa erfunden
"Bis zum Herstellen nutzbarer Gefäße war es aber noch ein weiter Weg", erzählt Ullrich. Das sei Tschirnhaus nachweislich nicht gelungen. Dennoch: Ohne die theoretische Vorleistung des anerkannten Gelehrten hätten die keramischen Arbeiten von Böttger und seinem Team damals zu keinem Ergebnis geführt. Genauso wichtig wie die Idee vom Kombinieren diverser Rohstoffe sei jedoch die Formgebung der Gegenstände und die Beherrschung der Brennöfen gewesen. "Böttger und sein Team agierten zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Tragik bei Tschirnhaus war, dass er schon im Oktober 1708 starb."
Auch Jahre danach gelang es noch nicht, Meissener Porzellan in heute bekannter Qualität zu produzieren. Selbst mit Böttgers Tod war die technologische und künstlerische Entwicklung nicht beendet. Die Manufaktur Meissen vermag dem Streit Positives abzugewinnen. "Vom Marketing her kann uns nichts Besseres passieren", sagt Walter. 300 Jahre danach - eine Labornotiz vom 15. Januar 1708 markiert die Geburtsstunde des Porzellans in Europa - soll keiner der Protagonisten vergessen werden.
Unstrittig ist dagegen eins: Die Porzellanerfindung in Europa beendete die Vormachtstellung asiatischer Produzenten. In China gab es Porzellan bereits während einer Hochblüte der Kultur zwischen 1122 bis 770 vor Christus. Das Rohkaolin lag dort in der erforderlichen Mischung in der Erde. In Europa dagegen musste lange nach der richtigen Rezeptur geforscht werden. Nach Ansicht der Fachleute wurde das Porzellan in China deshalb nicht erfunden, sondern eher gefunden.
Von Jörg Schurig, dpa
Quelle: ntv.de