Studie an Senioren Gedächtnis verbessert sich nach Hirnstimulation
24.08.2022, 10:41 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
Das Gedächtnis der stimulierten Patienten verbesserte sich messbar.
(Foto: Robert Reinhart)
Lässt sich ein nachlassendes Gedächtnis wieder verbessern? Der Antwort auf diese Frage sind viele Forschungsgruppen auf der Spur. Elektrische Hirnstimulation zeigt nun in einer Studie ermutigende Ergebnisse.
Bei älteren Menschen kann elektrische Hirnstimulation für eine Verbesserung des Kurzzeit- und des Langzeitgedächtnisses sorgen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Grundlagenarbeit, für die Versuche an Frauen und Männern im Rentenalter durchgeführt wurden. Senioren mit 20-minütigen Hirnstimulationen an vier aufeinander folgenden Tagen konnten sich an erheblich mehr Wörter einer Liste erinnern als Personen in einer Kontrollgruppe. Die Verbesserung war auch nach einem Monat noch deutlich messbar. Die Studie einer Gruppe um Robert Reinhart und Shrey Grover von der Boston University in Boston (Massachusetts, USA) ist im Fachmagazin "Nature Neuroscience" erschienen.
"Ein kritischer Faktor, der zu altersbedingten Kosten beiträgt, ist die Beeinträchtigung grundlegender Gedächtnissysteme, die für Aktivitäten des täglichen Lebens, wie das Treffen finanzieller Entscheidungen oder das Verstehen von Sprache, unerlässlich sind", schreiben die Forschenden. Sie untersuchten, ob mit Hilfe von transkranieller Wechselstromstimulation (tACS) Gedächtnisleistungen verbessert werden können. Bei der tACS werden spezielle elektrische Wechselströme verwendet, um Veränderungen anzuregen.
Bei den Versuchen wurden 60 Senioren im Alter von 65 bis 88 Jahren Kopfhauben mit Elektroden aufgesetzt, die schwache elektrische Ströme auf die Kopfhaut der Probanden leiten können. Die Forscher teilten die Studienteilnehmer in drei Gruppen auf: In der ersten Gruppe wurde der untere Scheitellappen (inferiorer Parietallappen), der eine wichtige Funktion für das Kurzzeitgedächtnis hat, stimuliert. In der zweiten Gruppe galten die Ströme dem oberen seitlichen Stirnlappen (dorsolateraler präfrontaler Cortex), der bedeutsam ist für das Langzeitgedächtnis. Die dritte Gruppe erhielt keine Stimulation und diente als Kontrollgruppe.
Deutlich verbesserte Ergebnisse
Im Versuch hörten die Probanden 20 Wörter, die sie anschließend wiederholen sollten. Von dieser Aufgabe gab es fünf Durchläufe, insgesamt dauerte die Prozedur etwa 20 Minuten. Die Wissenschaftler führten den Versuch an vier aufeinanderfolgenden Tagen durch. Bereits am zweiten Tag zeigte die Gruppe, deren Langzeitgedächtnis stimuliert worden war, eine bessere Leistung beim Erinnern an die ersten Wörter auf der Liste; diese Leistung steigerte sich in den folgenden Tagen noch.
Die Gruppe mit der Stimulation des Kurzzeitgedächtnisses erreichte ab dem dritten Tag eine klar bessere Leistung beim Erinnern an die letzten Wörter auf der Liste. Diese Ergebnisse ergaben sich jedoch nur, wenn die Hirnregion für das Kurzzeitgedächtnis mit einer Frequenz von 4 Hertz stimuliert wurde und die Region des Langzeitgedächtnisses mit einer Frequenz von 60 Hertz.
Außerdem zeigte sich der Verbesserungseffekt noch bei erneuten Versuchen nach einem Monat. Dabei war die Verbesserung umso größer, je schlechter die Versuchsperson bei Gedächtnistests vor Beginn der Versuche abgeschnitten hatte. Reinhart, Grover und Kollegen regen Untersuchungen an, ob solche nicht invasiven Stimulationen bei Patienten mit bestimmten Gedächtnisdefiziten und mit einem Demenzrisiko hilfreich sein könnten.
Symptomlinderung statt Ursachenbekämpfung?
Johannes Levin vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München sieht in der Studie zwar einen interessanten Ansatz. Allerdings führe er nur zu einer Symptomlinderung, nicht zu einer Bekämpfung der Ursache von Gedächtnisdefiziten. Eine mögliche Anwendung bei Demenzpatienten sieht er kritisch: "Wir dürfen hier nicht vergessen, dass die Gehirne von Demenzkranken pathologisch betrachtet anders sind als jene von gesunden Menschen."
Walter Paulus, Emeritus-Professor für klinische Neurophysiologie an der Universitätsmedizin Göttingen, hält die Nacheffekte nach einem Monat für "beachtlich". Allerdings wären die Stimulationen wegen des Personalaufwands vermutlich ungleich teurer als Medikamente mit vergleichbaren Wirkungen.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 22. August 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, Stefan Parsch, dpa