Mehr Tierschutz-Forschung Tiere fühlen Schmerzen
20.09.2007, 17:05 UhrDass Tiere Schmerzen empfinden und leiden können, gilt als unbestritten. Das Leiden der Kreatur sei zwar nicht direkt messbar, aber mit wissenschaftlichen Methoden indirekt zu erschließen, sagte Prof. Hanno Würbel, der an der Gießener Universität Tierschutz und Ethologie (Verhaltensforschung) lehrt, bei einer Fachtagung. Dennoch gebe es Forschungsbedarf, um die Erfassungs- und Messmethoden zu verbessern. Rund 150 Fachleute aus der Veterinärmedizin diskutierten bei der Tagung mit dem Thema "Leiden und Wohlbefinden bei Tieren" über den Beitrag von Biologie und Veterinärmedizin zum Tierschutz.
Es sei eine der schwierigsten Fragen in der Biologie, ob Tiere Wohlbefinden oder Leiden überhaupt bewusst empfinden können, sagte Würbel. "Wir können Leidensäußerungen messen." Abwehrreaktionen oder Schreie könnten Hinweise auf Schmerzen geben. Ferkel beispielsweise, die ohne Betäubung kastriert werden, schreien und zappeln. Manche halten solche Reaktionen lediglich für automatische Reflexe des Körpers. Unbewusste Angst- oder Schmerzreaktionen seien auch durchaus möglich, aber in diesem Fall äußerst unwahrscheinlich, meint Würbel.
Leiden können nach seiner Überzeugung auch äußerlich gesunde Tiere, die normal fressen, trinken und sich vermehren. Die Verhaltensforschung zeige, dass es vielen Tieren schon schlecht gehe, lange, bevor sie krank werden, sagte Würbel. Als Beispiel nannte er stereotype Bewegungen, die manche in Gefangenschaft gehaltenen Tiere zeigen - etwa das ständige Hin- und Herlaufen im Käfig oder monotone Kopfbewegungen. Nach längerer Zeit eines solchen Verhaltens seien Funktionsstörungen im Gehirn messbar.
Das im deutschen Tierschutzgesetz verankerte Verbot, keinem Tier Schmerzen zuzufügen und kein Tier ohne vernünftigen Grund zu töten, ist aus Sicht von Würbel als Rahmen akzeptabel. Natürlich sei auslegungsfähig, was denn genau ein "vernünftiger Grund" sei, Tiere zu verletzen oder zu töten.
Bei den Massentötungen in der Landwirtschaft, etwa aus Furcht vor der Vogelgrippe, werde diese Frage allerdings gar nicht gestellt, kritisierte Würbel. Niemand könne garantieren, dass die Keulung Zehntausender Vögel ohne Leiden für die Tiere möglich sei, selbst wenn alle Vorschriften eingehalten würden. Dies sei aber anders als die Haltung von Tieren in der Tierschutz-Diskussion bisher kein Thema. Christoph Maisack, Richter am Amtsgericht Bad Säckingen, wies darauf hin, dass die EU die Tötung ganzer Bestände im Fall bestimmter Gefahren sogar vorschreibe.
Die Wissenschaftler tun sich vor allem deshalb so schwer, tierisches Leiden zu definieren, weil ihr Maßstab letztlich menschliche Empfindungen sind. "Leiden und Wohlbefinden sind subjektive Empfindungen und damit einzig vom empfindenden Subjekt direkt feststellbar", schreiben Würbel und Prof. Andreas Steiger von der Internationalen Gesellschaft für Nutztierhaltung in ihrem Grußwort zum Kongress. Die Wissenschaftler sind allerdings überzeugt, dass sich die Ergebnisse übertragen lassen, denn spätestens seit Darwin sei klar, dass der Mensch in einer Entwicklungsreihe der Wirbeltiere stehe.
Würbel fordert mehr Forschung, um die Erwartungen der Bevölkerung für einen besseren Tierschutz auch einlösen zu können. Im Vergleich zur Forschung für den Menschen sei der Aufwand für Tiere marginal. Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung könnten auch helfen, die Haltungsbedingungen für Nutztiere zu verbessern. Dabei sei nicht unbedingt die Zahl der an einem Ort gehaltenen Tiere entscheidend, sondern ihre Ansprüche an die Umwelt. Schweine bräuchten für ihr Wohlbefinden die Möglichkeit, im Boden zu wühlen, und Hennen einen geschützten Platz zur Eiablage. Innovative Haltungssysteme, die solche Bedürfnisse berücksichtigten, könnten das Leben der Tiere erheblich verbessern, sagte Würbel.
Sabine Ränsch, dpa
Quelle: ntv.de