Forscher finden neue Tierarten "Vieles noch zu entdecken"
22.04.2010, 08:00 Uhr
Diese gestreifte Barbe gehört zu den Neuentdeckungen auf Borneo.
(Foto: picture alliance / dpa)
Auf Initiative der Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature, kurz WWF, unterzeichneten Indonesien, Malaysia und Brunei 2007 eine Deklaration zum "Herzen Borneos": Im Inneren der drittgrößten Insel der Welt soll ein rund 220.000 Quadratkilometer großes Netzwerk aus Schutzzonen und nachhaltig genutzten Wäldern entstehen. 123 neue Arten, 66 Pflanzen und 57 Tiere, wurden dort in den vergangenen drei Jahren entdeckt. Wie es zu solchen Entdeckungen kommt, erklärt Markus Radday, Naturschützer und Borneo-Experte beim WWF, im Gespräch mit n-tv.de.
n-tv.de: Herr Radday, wie muss man sich eine solche Expedition vorstellen, bei der neue Tiere entdeckt werden? Wie stößt man auf bisher unbekannte Arten?
Markus Radday: Verschiedene Wissenschaftler-Teams widmen sich vor Ort auf Borneo unterschiedlichen Forschungsaufgaben. Die Suche nach neuen Arten ist dabei nie das Ziel an sich; diese Suche steht nie besonders im Vordergrund. Die Entdeckung neuer Tierarten ist eher ein Zufalls- bzw. Nebenprodukt. Die eigentliche Fragestellung könnte zum Beispiel sein: "Warum gibt es weltweit immer weniger Frösche und Lurche? Gibt es Regionen, in denen die Lebensräume der Amphibien relativ ungestört sind? Wie sind die beschaffen? Unter welchen Umständen also sind Froscharten nicht gefährdet?"
Um diese Fragen zu klären, untersuchen Wissenschaftler dann bei Geländeexplorationen bestimmte Regionen, schauen, wie dort der Wald beschaffen ist, welche klimatischen oder meteorologischen Daten es gibt und welche Tier- und Pflanzenarten dort vorkommen. Einzelexemplare werden gefangen und in einem lokalen Forschungscamp von Experten und Spezialisten bestimmt. Dabei geht es aber vordergründig nicht um eine Art oder Gattung, sondern um Zusammenhänge. Es lässt sich nämlich zum Beispiel durch das Vorhandensein bestimmter Arten auf das Vorhandensein anderer Arten schließen. Oder man weiß schon aus vorangegangenen Untersuchungen, dass eine bestimmte Käferart ein guter Zeiger ist für ein intaktes Ökosystem.
Und bei diesen Untersuchungen stößt man dann zufällig auf Tiere, die bisher noch niemand gesehen hat?

Diese Nacktschnecke kennt die einheimische Urbevölkerung vielleicht schon länger. Wissenschaftlern jedoch kroch sie erst jetzt über den Weg.
(Foto: picture alliance / dpa)
Niemand, das wäre zu viel gesagt. Denn viele Einheimische, die zur Urbevölkerung gehören und die bestimmte Waldgebiete regelmäßig durchstreifen, weil sie dort jagen, kennen die Arten. Aber wissenschaftlich sind sie vorher noch nicht beschrieben worden. Dafür gibt es bestimmte Bestimmungsschlüssel. Wenn eine Froschart in mehreren Merkmalen von den bekannten Arten der Gattung abweicht, dann lässt sich zu dem Moment schon sagen, dass es sich zumindest um eine neue Unterart handeln muss. Und wenn die Abweichungen stark genug sind, können die Forscher meist schon vor Ort feststellen, dass es eine neue Art ist.
Das bedeutet noch nicht, dass das Tier sofort einen umgangssprachlichen Namen bekommt. Teilweise geschieht das nie. Aber die Art bekommt auf jeden Fall einen wissenschaftlichen Namen. Er stellt die Gattung voran und lässt dann den Artnamen folgen.
Und dann erfolgt eine Verzeichnung in den wissenschaftlichen Publikationen?

Für die Entdeckung von Pflanzen gilt das gleiche wie für neue Tierarten. Diese auf Borneo entdeckte Orchidee hat bereits einen Namen: Sie heißt Thrixspermum erythrolomum.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ja. Zunächst muss allerdings ein Exemplar der neuen Art konserviert werden. Dann folgen die Veröffentlichungen. Und am Ende wird der konkrete Name durch Taxonomen entschieden. Die Art muss erst noch einmal von anderen Experten und Spezialisten untersucht werden, und schließlich wird sie als neu entdeckt bezeichnet. Das ist ein langer Prozess.
Beschäftigt man sich auch mit der Verbreitung der neuen Art? Schaut man, wo sie noch vorkommt?
Nein, eine solche Nachverfolgung ist einfach zu teuer. In den Tropen werden regelmäßig neue Arten entdeckt. Das zeigt, wie viel es noch zu entdecken gilt. Nur bei Säugetieren ist das anders mit der Nachverfolgung, denn deren Entdeckung ist eine Sensation. Säugetiere ab Schäferhundgröße werden nur etwa alle 15 Jahre neu entdeckt. Auch die Entdeckung von Vögeln ist selten. Fische, Amphibien und Reptilien dagegen – um bei den Wirbeltieren zu bleiben – entdeckt man häufiger. Da wird es immer dann besonders interessant, wenn die Arten ganz spezielle Eigenschaften aufweisen: So hat zum Beispiel der Borneo Barbourfrosch, den man seit acht Jahren kennt, keine Lungen. Und der Mulu-Flugfrosch kann sowohl die Farbe seiner Haut als auch die seiner Augen verändern.
Sind denn neu entdeckte Tiere, Insekten zum Beispiel, neu entstanden oder hat die bisher einfach kein Wissenschaftler gesehen?
Nein, neu entstanden sind sie nicht. Die hat bisher bloß kein Forscher genau gesehen. 90 Prozent der neuen Arten existieren schon seit Jahrtausenden.
Mit Markus Radday sprach Andrea Schorsch
Quelle: ntv.de