Kindesmisshandlung Was das Röntgenbild verrät
16.05.2007, 12:09 UhrDie Statistik ist bitter: Jährlich werden in Deutschland ca. 3.000 Fälle von Kindesmisshandlung angezeigt - die Dunkelziffer dürfte noch weit darüber liegen. Eine Schlüsselposition beim Aufdecken von Gewalt gegenüber Minderjährigen nimmt - neben dem Kinderarzt - der (Kinder-)Radiologe ein. Fehlen äußere Anzeichen, so liefert das Röntgenbild häufig den Beweis für eine Misshandlung. Zeigt die Aufnahme Frakturen verschiedenen Alters oder Brüche, die nicht zum beschriebenen Unfallhergang passen, so gilt es, Alarm zu schlagen. Nur so kann das Kind vor möglichen weiteren Verletzungen geschützt werden. Die Rolle des Radiologen bei der Aufklärung von Kindesmisshandlungen ist einer der Schwerpunkte auf dem diesjährigen Röntgenkongress in Berlin.
Oft führt eine Routineuntersuchung Radiologen auf die Spur einer Misshandlung. Prof. Markus Uhl, Leiter der Sektion Kinderradiologie an der Universitätsklinik Freiburg, erinnert sich an einen Fall, bei dem das Röntgenbild nicht nur eine verschleppte Lungenentzündung, sondern auch Rippenbrüche zeigte. "Da wird man hellhörig und nimmt die gesamte Krankengeschichte ganz genau unter die Lupe", so Uhl. Die Nachforschungen ergaben, dass der Junge bereits zuvor mit zahlreichen Verletzungen in verschiedene Krankenhäuser eingeliefert worden war. Der Radiologe verständigte das Jugendamt und ließ das Kind zu dessen Schutz in die Klinik einweisen.
"Beweis schwarz auf weiß"
Neben diesen "Zufallsbefunden" werden viele Kinder bereits mit dem Verdacht auf Misshandlung zum Radiologen überwiesen. Dessen Aufgabe ist es dann, die inneren Spuren der Gewaltanwendung so zu dokumentieren, dass sie auch vor Gericht Bestand haben. "Zeugenaussagen sind subjektiv und beeinflussbar, ein Röntgenbild dagegen liefert den Beweis für eine Misshandlung schwarz auf weiß", erläutert Prof. Uhl. Deutliche Anzeichen, die für eine Gewaltanwendung sprechen, sind Brüche und Organverletzungen, die kaum durch einen Sturz oder Unfall verursacht werden können. Hierzu gehören Rippenfrakturen in der Nähe der Wirbelsäule sowie Risse in der Bauchspeicheldrüse und besondere Blutungen im Hirn und unter den Hirnhäuten. Letztere sind vor allem Folge des so genannten Schütteltraumas (Shaken Baby Syndrome). Das heftige Schütteln eines Säuglings oder Kleinkindes ist die häufigste Ursache von Todesfällen und schweren Behinderungen bei misshandelten Kindern.
Bei der Aufdeckung von Gewalt gegenüber Kindern kommen alle bildgebenden Verfahren zum Einsatz - vom konventionellen Röntgen über die Computer- und Magnetresonanztomographie bis hin zum Ultraschall. Weitere Hinweise für das Vorliegen einer Misshandlung werden aus dem Verhalten des Kindes und seiner Eltern gezogen. Ein Verdacht wird deshalb stets in enger Zusammenarbeit mit dem behandelnden Kinderarzt und einem Psychologen abgeklärt. Eine angemessene Einschätzung der Situation ergibt sich erst durch das Zusammensetzen vieler Mosaiksteine - einen ganz entscheidenden davon liefert der Radiologe.
Silke Stark
Quelle: ntv.de