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Klimawandel in Deutschland Wir müssen uns anpassen

"Wir müssen den Klimawandel auf jeden Fall dämpfen. Wenn wir das nicht tun, wird es in 100 Jahren wirklich ungemütlich", sagt Gerhard Müller-Westermeier vom Deutschen Wetterdienst. Zugleich müssen wir uns an den Klimawandel anpassen, sagt sein Kollege Paul Becker. "Der Klimawandel wirkt ins Gesundheitswesen, in die Landwirtschaft, in die Bauwirtschaft - praktisch überall."

n-tv.de: Sie haben gestern den Klimabericht 2007 vorgestellt. Wie stark hat sich der Klimawandel im vergangenen Jahr bemerkbar gemacht?

Gerhard Müller-Westermeier: Es war eines der wärmsten Jahre seit 1901. Das Jahr 2000 war das allerwärmste, 2007 lag um nur drei Hundertstel Grad dahinter. Das zeigt, dass es weiter aufwärts geht, insgesamt um 0,9 Grad seit 1901.

Weltweit oder in Deutschland?

Gerhard Müller-Westermeier: In Deutschland, weltweit sind es 0,7 Grad.

Warum liegt Deutschland über dem globalen Durchschnitt?

Gerhard Müller-Westermeier: Der Anstieg der Temperaturen ist nicht gleichmäßig über die Welt verteilt. In den Polargebieten wird es deutlich stärker wärmer als am Äquator. Der Anstieg um 0,9 Grad entspricht in etwa unserer Lage zwischen diesen beiden Regionen.

Erstaunlich sind die Unterschiede innerhalb Deutschlands. Die stärkste Zunahme mit 15 bis 27 zusätzlichen Sommertagen mit Temperaturen von 25 Grad und mehr erwarten Sie für Süddeutschland sowie für die Region Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

Gerhard Müller-Westermeier: Bislang war vor allem der Südwesten betroffen. Das Bundesland mit dem stärksten Anstieg ist das Saarland mit 1,3 Grad. In Mecklenburg-Vorpommern sind es dagegen nur 0,5 Grad. Dort haben im Frühjahr und im Frühsommer die Strömungen von der relativ kalten Ostsee zugenommen.

Es heißt immer, Brandenburg werde "versteppen".

Gerhard Müller-Westermeier: Brandenburg war immer ein relativ trockenes Gebiet. Wenn es in Bayern wärmer wird, kann die Natur das vielleicht noch verschmerzen. Brandenburg ist der Schmerzgrenze deutlich näher.

Wie macht sich der Klimawandel noch bemerkbar?

Gerhard Müller-Westermeier: Beim Niederschlag. Dort hatten wir allerdings so große Schwankungen, dass es relativ schwierig ist, das statistisch signifikant zu machen. Aber man sieht Trends, man sieht eine deutliche Zunahme beim Niederschlag insgesamt, und der konzentriert sich im Wesentlichen auf die Wintermonate. Im Sommer sehen wir fast nichts; wenn man ganz genau hinsieht, sieht man einen leichten Rückgang. Insgesamt also mehr Niederschlag, aber hauptsächlich im Winter, im Sommer weniger.

Gibt es in Ihren Klimaberichten einen Trend? Werden die von Jahr zu Jahr bedrohlicher?

Gerhard Müller-Westermeier: Bedrohlicher werden sie nicht, aber sie zeigen, dass der Klimawandel stattfindet, dass er weitergeht und nicht aufhört.

Paul Becker: Eine der Aufgaben des Deutschen Wetterdienstes ist es, das Klima zu überwachen. Wir haben jetzt die Szenarienrechnung, die bis zum Jahr 2100 geht, und verfolgen nun, wie weit diese Szenarien mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Das sieht man nicht in einem Jahr, auch nicht in zwei Jahren, aber wenn man fünf, sechs, sieben Jahre ununterbrochen beobachtet, dann erkennt man schon, in welche Richtung der Zug fährt.

Gerhard Müller-Westermeier: Früher war die Frage: Wie verläuft der Trend? Das ist erledigt. Der Trend ist klar.

Niemand bezweifelt mehr, dass es den Klimawandel gibt?

Gerhard Müller-Westermeier: Das ist vorbei. Jetzt wird eher gefragt: Wo kommt er her? Aber da ist auch ziemlich deutlich geworden, dass der weitaus überwiegende Teil von Menschen gemacht ist.

Ist der Klimawandel überhaupt noch aufzuhalten? Ist es sinnvoll, Energie in den Kampf gegen den Klimawandel zu investieren? Oder sollten wir uns allein auf die Anpassung an eine wärmer werdende Welt konzentrieren?

Gerhard Müller-Westermeier: Wir müssen den Klimawandel auf jeden Fall dämpfen. Wenn wir das nicht tun, wird es in 100 Jahren wirklich ungemütlich. Denn der Klimawandel geht ja immer weiter!

Paul Becker: Zugleich ist ganz wesentlich, dass wir auch Anpassungsmaßnahmen einleiten. Der Deutsche Wetterdienst kann den Klimawandel nicht aufhalten, aber bei der Anpassung können wir schon eine Rolle spielen. Der Klimawandel wirkt ins Gesundheitswesen, in die Landwirtschaft, in die Bauwirtschaft - praktisch überall. 2003 hatten wir diese Hitzewelle in Europa mit 35.000 Toten. Daraufhin haben praktisch alle europäischen Staaten Systeme für Hitzewarnungen installiert. In Deutschland ist der Deutsche Wetterdienst dabei federführend. 2006 hatten wir ähnlich hohe Temperaturen wie 2003 und es gab keine Hitzetoten. Wenn die Anpassung hart gefordert wird, ist es möglich, relativ schnell eine Anpassung herzustellen.

Wie ist das so schnell gelungen?

Paul Becker: Der Grund, warum es 2003 so viele Hitzetote gab, war schlicht ein Mangel an Informationen. Die meisten Toten gab es in Paris. Es war die Zeit der großen Ferien, die meisten Ärzte waren im Urlaub. Betroffen waren damals ganz überwiegend alte Menschen. Viele ältere Menschen trinken nicht genug, und in vielen Altenheimen waren die Pfleger einfach nicht darauf vorbereitet, darauf zu achten, dass die Bewohner ausreichend trinken. Die Lösung war relativ einfach: Man brauchte ein Informationssystem und Handlungsanweisungen für die Pflegekräfte. Der Deutsche Wetterdienst hat jetzt etwa 5000 Adressen - Medien, Krankenhäuser, Altenheime etc. -, die per Fax oder Mail informiert werden, wenn die Temperaturen dauerhaft eine gewisse Grenze übersteigen. Das System hat bei der Hitzewelle 2006 seine Bewährungsprobe schon bestanden. Die Medien spielten 2006 natürlich auch eine wichtige Rolle. Sie haben wesentlich auch dazu beigetragen, dass die Hitzewelle kaum gesundheitliche Auswirkungen in Deutschland hatte.

Für die Landwirtschaft oder den Städtebau wird die Anpassung nicht so einfach zu bewerkstelligen sein.

Paul Becker: Das ist nicht nur schwieriger; zum Teil ist auch der Handlungsdruck noch nicht ganz so groß. Es gibt aber schon eine ganze Reihe von Projekten, die untersuchen, welche Pflanzen unter den Bedingungen des Klimawandels in Deutschland angebaut werden können. Im Moment sind wir aber noch überwiegend im Forschungsstadium. Das gilt auch für den Bereich Stadtklima. Wir sind hier auch deshalb noch nicht so weit, weil man für diese Bereiche regionalisierte Klimamodelle braucht. Die Klimamodelle, auf denen auch die IPCC-Studien beruhen, haben zu große Maschenweiten. Da sieht man zu wenig Details. Dann kam die Generation der regionalen Klimamodelle mit Maschenweiten von zehn, 20 Kilometern - plötzlich kann man einzelne Regionen in Deutschland erkennen. Für die Landwirtschaft ist es ein Riesenunterschied, ob es in einem Gebiet 30 Hitzetage gibt oder nur 20.

Also Tage von 30 Grad und mehr.

Paul Becker: Das macht für viele Pflanzen einen großen Unterschied, insbesondere, wenn die Wasserversorgung unsicher ist. Bei den regionalen Klimamodellen gibt es noch gewisse Unsicherheiten, die wir noch ausräumen müssen. Im Moment machen wir das, indem wir mehrere Modelle vergleichen, mindestens zwei, besser vier. Dann sehen wir Unterschiede, aber auch Übereinstimmungen; bei den Temperaturen oft gute Übereinstimmungen, beim Niederschlag zum Teil deutliche Unterschiede. In zwei, drei Jahren wird es da in der Forschung einen deutlichen Fortschritt geben. Dann haben wir eine bessere Grundlage, um Anpassung zu betreiben.

Abgesehen von der Hitze: Welche Folgen hat der Klimawandel noch für die Gesundheit des Menschen?

Paul Becker: Die unmittelbare Hitzebelastung ist die stärkste Folge des Klimawandels, das ist gar keine Frage. Daraus können sich einige andere Belastungen ergeben: verunreinigtes Trinkwasser zum Beispiel, denn je höher die Temperaturen, umso problematischer ist es, Lebensmittel in einem hygienisch einwandfreien Zustand zu halten. Dann die Frage der Krankheitsüberträger. Derzeit wird viel über die Zecke gesprochen. Milde Winter und Feuchtigkeit im Frühjahr sind für Zecken ideal. Dann die Exoten, die zu uns kommen: die Sandmücke, die Leishmaniose übertragen kann, die Asiatische Tigermücke, die Dengue-Fieber überträgt. Für die Allergiker nehmen die Belastungen ebenfalls zu: Mittlerweile ist es so, dass die Pollensaison gar nicht mehr aufhört, früher hatten Allergiker wenigstens zwischen November und Januar Ruhe. Dazu kommen die neuen invasiven Pollenarten, etwa die sehr aggressive Ambrosia. Wir wissen zwar noch nicht genau, wie Klimawandel und Ambrosia zusammenhängen, aber wir können nicht ausschließen, dass die Bedingungen für Ambrosia besser werden. Eine Gefahr ist auch die Zunahme von Extremereignissen. Starkniederschläge können zu örtlich begrenzten, aber doch spürbaren Überflutungen führen, und dann ist nicht nur Hab und Gut, sondern auch das Leben bedroht. Schließlich die Walbrandgefahr. Das ist in etwa die Spannweite, in der wir diskutieren.

Was ist mit Malaria?

Paul Becker: Theoretisch schon, aber praktisch steht unser Gesundheitswesen davor. Die Rückkehr von Malaria halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Gerhard Müller-Westermeier: Wasser ist ein Problem: im Winter zuviel, im Sommer zuwenig. Wasserbevorratung wird ein großes Thema für die Landwirtschaft. Wenn die Pegel der Flüsse sinken, betrifft das auch die Schifffahrt. Und wenn das Wasser zu warm ist, kann es nicht als Kühlung in den Kraftwerken eingesetzt werden - auch hier wird man Vorräte sammeln müssen. Insgesamt wird es wohl nicht darauf hinauslaufen, dass uns das Wasser ausgeht. Aber die Frage der Verteilung und Bevorratung steht an.

Der Klimawandel sorgt für ein Ansteigen der Meeresspiegel; wird er auch den Verlauf der Küsten in Deutschland verändern?

Paul Becker: Die Prognosen für den Anstieg der Meeresspiegel sind nicht unser Metier, das macht zum Beispiel das IPCC. Da gibt es zum Teil noch unterschiedliche Ergebnisse. Wir in Deutschland können uns vermutlich noch anpassen, denn wir sind in der Lage, die Deiche hoch zu bauen. Den Hamburger Michel werden wir wohl nicht unter Wasser sehen. Problematisch wird es für arme Länder wie Bangladesch, die sich einen Küstenschutz nicht leisten können.

Gerhard Müller-Westermeier: Es gibt Prognosen, die sagen, das Wasser steigt bis zum Ende des Jahrhunderts um 60 Zentimeter, andere sagen, es wird vielleicht ein Meter sein. Davon geht Deutschland nicht unter. Wenn das Klima sich aber stärker erwärmt, fünf, sechs Grad oder sogar noch mehr, und dann die großen Eismassen abschmelzen, dann wird das auch hierzulande spürbar sein. Die Niederländer haben ausgerechnet, dass sie mit einem Anstieg von zwei, drei Metern zurechtkommen werden. Wenn es mehr wird, brauchen sie zu viel Platz für ihre Deiche.

Ihre Prognosen basieren auf einem "moderaten Modell", das davon ausgeht, dass der CO2-Ausstoß und das weltweite Bevölkerungswachstum zurückgehen. Ist das optimistisch oder realistisch?

Gerhard Müller-Westermeier: Hoffentlich beides!

Paul Becker: Wir haben ein Szenario gewählt, das davon ausgeht, dass die Menschheit dazulernt. Das Szenario geht unter anderem davon aus, dass das Bevölkerungswachstum ab 2050 nicht mehr weiter zunimmt, sondern eher zurückgeht. Das hängt auch mit dem erwarteten Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern zusammen: Wenn dort die Einkommen steigen, nimmt auch die Bildung zu. Dann besteht die Hoffnung, dass auch die Geburtenrate sinkt.

Sie gehen also davon aus, dass der Mensch lernfähig ist?

Paul Becker: Die Menschheit hat zum Teil schon dazugelernt. 2100 wird unsere Wirtschaft nicht mehr darauf basieren, nur noch fossile Energieträger zu verbrennen.

Weil kaum noch welche da sein werden.

Paul Becker: Weil vermutlich weniger vorhanden ist und weil man hoffentlich neue Technologien erschlossen hat.

Hat die Bundesregierung auch dazugelernt?

Paul Becker: Deutschland hat sehr ehrgeizige Ziele, die wir zum Teil auch schon erreicht haben. Wir bewegen uns, glaube ich, schon in die richtige Richtung. Besonders im Anpassungsbereich haben wir schon einiges erreicht. Es bleibt aber sicher noch einiges zu tun. Die Nutzung regenerativer Energien ist dabei natürlich wesentlich. Das mindert nicht nur unsere CO2- Produktion. Es schafft auch Exportchancen. So stehen schon jetzt deutsche Windkraftanlagen in China.

Mit Paul Becker und Gerhard Müller-Westermeier sprachen Gudula Hörr und Hubertus Volmer

Gerhard Müller-Westermeier ist Leiter des Bereichs Klimaanalyse des DWD, Dr. Paul Becker leitet die Abteilung Klima- und Umweltberatung.

Quelle: ntv.de

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