Ärzte fördern Tablettensucht Zigtausende Schwerstabhängige
19.04.2009, 14:52 UhrDie Zahl der Tablettensüchtigen, die abhängig von Schlaf- und Beruhigungsmitteln sind, ist nach einer Untersuchung von Suchtforschern wesentlich höher als bisher bekannt. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet in seiner neuesten Ausgabe über die neue Studie des Hamburger Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung. Danach erhalten mehr als 1,5 Millionen Patienten die süchtig machenden Präparate aus der Medikamentengruppe der Benzodiazepine länger als in den Leitlinien vorgesehen.
In der bisher umfänglichsten Untersuchung zur Tablettensucht in Deutschland hätten die Forscher insgesamt 3,5 Millionen Kassenrezepte analysiert, schreibt der "Spiegel". Bei knapp 800 000 Patienten pro Jahr sorgten demnach Ärzte dafür, dass sie zu Dauerkonsumenten der Mittel werden. In 130 000 Fällen hätten die Verschreibungen die Opfer zu Schwerstabhängigen gemacht, denen der Ausstieg aus der Sucht nur noch in seltenen Fällen aus eigener Kraft gelinge. "Wir waren völlig überrascht über den Umfang des Benzodiazepin-Missbrauchs in Deutschland", erklärt der Hamburger Studienleiter Peter Raschke.
Verschärft werde die Situation durch das Verhalten der Ärzte, die, offenbar aus Angst vor Kontrollen, bei der Verordnung vermehrt auf Privatrezepte ausweichen, die in keiner Statistik auftauchen. Im Jahr 1993, so stellten Pharmaexperten nach "Spiegel"-Angaben fest, wurden nur rund 15 Prozent der als Schlafmittel verwendeten Benzodiazepine privat verordnet. Inzwischen schätzten sie den Anteil bereits auf zwei Drittel aller Verschreibungen. Das wahre Ausmaß der Tablettensucht werde so verschleiert.
Suchtmediziner sähen den Trend mit Sorge, schreibt das Magazin. "Kollegen, die die Flucht in Privatrezepte einschlagen, haben schlicht und ergreifend Angst, dass ihnen Kassenärztliche Vereinigungen oder Krankenkassen hinter die Langzeitverschreibungen kommen könnten - das ist Beihilfe zur Sucht", kritisiert Rüdiger Holzbach, Psychiater an den LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt.
Quelle: ntv.de