Akademie debattiert Zustand der Sprache
25.10.2007, 13:02 UhrVeranstaltungen sind neuerdings "Events", der Fahrbahnschalter heißt "Counter", Informationen gibt es am "Service Point" und Familienautos heißen "Family Van". Keine Frage: In Werbung, Wirtschaft, Wissenschaft und zunehmend auch im Alltag hat es die deutsche Sprache schwer, sich gegen die Übermacht des Englischen zu behaupten. Doch das Idiom im Land der Dichter und Denker leidet auch aus anderen Gründen, sagt Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: "Allenthalben sind Klagen zu hören, dass die deutsche Sprache verarmt. Kinder können keine vollständigen Sätze mehr bilden, in den Medien und in der Politik ist die Sprache heruntergekommen."
Wie schlimm es um das Deutsche tatsächlich bestellt ist, will die Akademie auf ihrer Herbsttagung untersuchen, die am Donnerstagabend unter dem Motto "Zur Sprache kommen" in Darmstadt beginnen sollte. Neben Sprachwissenschaftlern, Historikern und Pädagogen melden sich auch Schriftsteller wie Wilhelm Genazino ("Mittelmäßiges Heimweh") und Martin Mosebach ("Der Mond und das Mädchen") zu Wort. Letzterem wird am Samstag in Darmstadt der Georg-Büchner-Preis verliehen. Der mit 40.000 Euro dotierte Preis ist die renommierteste deutsche Literaturauszeichnung.
Wie Reichert betont, will die Akademie der öffentlichen Meinung entgegenwirken, unser Idiom werde durch englische Einflüsse bedroht. So werde Linguist Uwe Pörksen zeigen, dass sich das Deutsche schon immer im Austausch etwa mit dem Lateinischen, Französischen oder Jiddischen entwickelt habe. Auch Sprachwissenschaftler Jürgen Schiewe sieht Grammatik und Sprachsystem durch Anglizismen im Alltagsgebrauch nicht gefährdet. "In der Öffentlichkeit wird die Gefahr der Überfremdung ganz stark beklagt. Es wird befürchtet, das Deutsche sei in seinem Bestand gefährdet. Deshalb muss die Akademie Aufklärungsarbeit leisten", sagt Schiewe.
Er ist überzeugt, dass viele fremde Vokabeln nur Eintagsfliegen sind und wieder verschwinden werden. "Andererseits ist ein gewisses Maß an Entlehnungen aus dem Englischen aber offenbar nötig, um die deutsche Sprache im Zeitalter neuer, weltweiter Kommunikationstechnologien und der wirtschaftlichen und politischen Zusammenschlüsse auch zukunftsfähig zu machen."
Nach Ansicht des Sprachwissenschaftlers und Vorsitzenden der Sprachkommission der Akademie, Peter Eisenberg, wird in den Medien zwar sehr breit, aber "nicht immer vernünftig" über den Zustand des Deutschen diskutiert. "Ich bin zornig, wenn unsere Sprache schlechtgeredet wird und so getan wird, als sei sie schon am Zerfallen", sagt Eisenberg. Die deutsche Sprache sei noch nie so gut in Form und so vielfältig gewesen wie heute. "Sie gehört zu den am besten ausgebauten der Erde." Einflüsse aus dem Englischen wertet er als Gewinn: "Die Welt ist komplizierter geworden, deshalb brauchen wir einen größeren Wortschatz."
Schiewe sieht die Zukunft allerdings nicht nur rosig. Er beklagt vor allem das Verschwinden des Deutschen im Fachjargon der Hochschulen. "Es ist zur Norm geworden, dass die Spitzenforschung Englisch spricht. Das wird Auswirkungen auf die gesamte deutsche Sprache haben." Denn wenn Fachausdrücke erst gar nicht mehr übersetzt würden, verliere unser Idiom einen "ganzen Kommunikationsbereich". "Deutsch würde so zu einem Dialekt degradiert."
Für Reichert sitzen die Probleme tiefer. In politischen Debatten und Nachrichtensendungen wundere er sich immer wieder über die "Eingeschränktheit des Vokabulars" und den "Mangel an grammatischem Verstand". Zudem höre die Akademie Klagen, dass Grundschüler nicht mehr des Deutschen mächtig seien. "Und das betrifft auch die deutschen Kinder", sagt der Anglist, Übersetzer und Lyriker. Zu den vielfältigen Gründen gehöre, dass die Kinder sehr viel Zeit vor Fernseher und Computer verbringen würden, sich die Eltern aber durchschnittlich nur sieben Minuten am Tag mit ihnen unterhielten. Deshalb müsse Deutsch schon im Kindergarten unterrichtet werden. Hingegen lehnt Reichert den Englischunterricht im Vorschulalter ab: "In dieser Situation, wo Kinder keine vollständigen Sätze bilden können, noch eine fremde Sprache dazuzusetzen, halte ich für Unfug."
Harald Schmidt, dpa
Quelle: ntv.de