Fundsache

Fundsache, Nr. 872 Altar in Jerusalem wiederentdeckt

Die Kirche auf dem Schneller-Gelände in Jerusalem.

Die Kirche auf dem Schneller-Gelände in Jerusalem.

(Foto: Ulrich W. Sahm)

Während der deutsche Propst Uwe Gräbe an einer Führung durch den Schneller-Komplex in Westjerusalem teilnimmt, entdeckt er einen hundert Jahre alten deutschen Altar.

In Westjerusalem ist in einem ehemaligen Militärlager ein hundert Jahre alter deutscher Altar wiederentdeckt worden. Der mit einer Holzkiste verdeckte Altar wurde in der Kirche des zwischen 1854 und 1910 in Phasen vom deutsch-schweizerischen Missionar Johann Ludwig Schneller errichteten Jerusalemer "Syrischen Waisenhaus" gefunden. Wie bekannt wurde, sind die Marmorplatten des Altars in einer geheimen Operation zerlegt und zur Auguste Victoria Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg gebracht worden.

Der Johann Ludwig Schneller-Komplex war einst Teil einer blühenden deutsch-protestantischen Gemeinde westlich des sich inzwischen schnell ausbreitenden jüdisch-orthodoxen Viertels Mea Schearim. Das Schneller-Gelände, in dem es Anfang des vorigen Jahrhunderts neben dem Waisenhaus auch ein Krankenhaus und eine Ziegelei gab, wurde während des Zweiten Weltkriegs von den in Palästina herrschenden Briten konfisziert. Gleichzeitig wurden fast alle Deutsche, viele von ihnen württembergische Templer, von den Briten des Landes verwiesen und nach Australien deportiert. In Jaffo, Jerusalem und Haifa hatten sich viele dieser Deutschen der NSDAP angeschlossen und mit Hakenkreuzflaggen demonstriert.

Historische Gebäude verrotten

Der Eingang zum Militärlager.

Der Eingang zum Militärlager.

(Foto: Ulrich W. Sahm)

Nach 1948 erbte das israelische Militär das Gelände und richtete in der Kirche den Stadtoffizier ein. Tausende jüdische Soldaten passierten das altertümliche Tor mit Zwiebeltürmchen und der deutschen Aufschrift "Herr Jesu, lieber Heiland, erbarm Dich unser" über dem Eingang des Hauptgebäudes, um sich beim Militär anzumelden oder Krankenscheine abzuholen. Die historischen Gebäude verrotteten. Der riesige Kirchraum wurde zunächst in eine Handballhalle verwandelt, bis die Verkleidung des Daches abstürzte.

Die Israelis erlaubten 1951 dem Lutherischen Weltbund, innerhalb von 48 Stunden alle noch verbliebenen christlichen Objekte aus dem inzwischen zu einem Militärlager umfunktionierten Gelände zu entfernen. So gelangten nach Angaben von Gräbe die Bänke, Kirchenfenster, Glocken und sogar die Orgel zur Kapelle der Schneller-Schule in der jordanischen Hauptstadt Amman. Nur der Altar konnte wohl nicht bewegt werden, oder aber er wurde übersehen, weil er schon in einem Holzkasten verpackt worden war.

Deutscher Propst findet Altar

Die zerfallene Kirche mit dem in der Holzkiste versteckten Altar im Jahr 2000.

Die zerfallene Kirche mit dem in der Holzkiste versteckten Altar im Jahr 2000.

(Foto: Ulrich W. Sahm)

Im vergangenen Oktober erhielt der deutsche Propst Uwe Gräbe an der lutherischen Erlöserkirche in der Altstadt Jerusalems vom Architekten Gil Gordon eine Führung durch das Gelände und entdeckte zwischen Bergen von Müll und Taubendreck in dem ehemaligen Kirchensaal an der Stelle des Altars eine Holzkiste.

Gräbe vermutete zu Recht, dass sich in dem Holzkasten der Altar versteckte. Mit Einwilligung der Jerusalemer Stadtverwaltung wurde die Holzkiste abgebaut. Darunter kam der Altar aus weißem Marmor zum Vorschein. Der Altar war mit geometrischen Mosaiken aus blauen und vergoldeten Steinchen geschmückt. In der Mitte war ein rundes Mosaik mit Kreuz eingelassen, wie man noch auf historischen Fotos erkennen kann. Dieses Mosaik ist allerdings völlig zerstört.

Die fertigen Mosaikleisten wurden vor hundert Jahren in Berlin angefertigt und nach Jerusalem geschickt, erzählt Gordon. "Israelische Soldaten haben mutwillig viele Mosaiksteine rausgepult, denn was übrig blieb, ist bombenfest mit dem Marmor verklebt", sagte Gräbe. Der Architekt Gil Gordon vermutet jedoch, dass schon die Briten den Altar mit Holzplanken schützend eingehüllt haben, als die Kirche in einen Speisesaal umfunktioniert worden war, also vor der Übernahme der Kirche durch israelisches Militär.

Altar verweilt jetzt auf dem Ölberg

Die Auguste Victoria Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg.

Die Auguste Victoria Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg.

(Foto: Ulrich W. Sahm)

Jüngst wurde der Altar zu der Auguste Victoria Kirche auf dem Ölberg gebracht und im linken Kirchenschiff aufgestellt, unter einer Statue des Moses mit den Gesetzestafeln und neben einem Kirchenfenster mit dem Wappen des "Frh. v. Gayl". Wilhelm Moritz Egon Freiherr von Gayl nahm 1919 für Ostpreußen an den Friedensverhandlungen zum Versailler Vertrag teil. 1932 amtierte er als Reichsinnenminister in der von Reichskanzler Franz von Papen geführten Regierung.

Entsprechend einer Bedingung der Jerusalemer Stadtverwaltung wurde neben dem wiedererrichteten Altar ein Schild angebracht: "Der Altar des Syrischen Waisenhauses, Schnellersche Anstalten, Jerusalem 1910".

Acht Schneller-Gebäude stehen unter Denkmalschutz

Im Rahmen der Luxemburger Abkommen, in denen die Bundesrepublik und Israel die Wiedergutmachungszahlungen ausgehandelt hatten, wurde der deutsche Besitz in Israel dem jüdischen Staat übertragen, darunter auch das Schneller-Gelände mitsamt seinen historischen Gebäuden. Israel zahlte dafür Wiedergutmachung an Deutschland.

Inzwischen sind acht Gebäude auf dem Schneller-Gelände unter Denkmalschutz gestellt worden, während einige irreparabel verfallen sind, darunter die Dampfziegelei. Das Militär ist ausgezogen. Es ist geplant, auf dem Gelände Wohnhäuser und Synagogen für die ultraorthodoxe Bevölkerung in der Gegend zu errichten. Versuche, Investoren für das Hauptgebäude zu finden, um es zu renovieren und einem öffentlichen Zweck zuzuführen, sind bisher fehlgeschlagen, "weil niemand Geld investieren will in ein Gebiet, das auf vier Seiten von ultraorthodoxen Juden umgeben ist", sagte Gräbe.

Er meinte auch, dass er die Presse von der Aktion nicht informiert habe. Ein Reporter der Zeitung Haaretz, die in großer Aufmachung mit vielen Fotos von dem Umzug des Altars berichtete, sei wohl von anderen Stellen informiert worden. Der Fund des Altars wurde geheim gehalten, während die Lutheraner und die Stadtverwaltung dessen Verlegung aushandelten, berichtete Haaretz. Im November soll der Altar nach Angaben der israelischen Zeitung neu geweiht werden.

Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 70er Jahre aus der Region immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.

Quelle: ntv.de

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