Groß-Forschungsprogramm von Archäologen Boden der Nordsee soll sprechen
25.10.2011, 11:41 Uhr
Was verbirgt sich auf dem Boden der Nordsee?
(Foto: dpa)
Als Helgoland noch keine Insel war: Wo sich heute die Nordsee erstreckt, lag vor tausenden von Jahren noch von Menschen bewohntes Land. Erst als die Meeresspiegel mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren durch Abschmelzen riesiger Gletscher weltweit stiegen, überflutete die See die Region und bedeckte damit eine potenzielle archäologische Schatzkammer, über die bisher nur wenig bekannt ist. Deutsche Forscher wollen diese Lücke nun schließen helfen.
In der sogenannten deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee sollen potenziell interessante Stellen erkundet und für künftige Studien kartografisch erfasst werden. "Bedrohtes Bodenarchiv Nordsee" heißt das Pilot-Forschungsprogramm, das vom Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven entwickelt und vor Kurzem vom Bundesforschungsministerium bewilligt wurde. Mit den freigegebenen 670.000 Euro will das DSM nach Angaben seiner Direktorin Ursula Warnke in den kommenden drei Jahren Forschungsreisen in der AWZ unternehmen, bei denen der Meeresboden an archäologisch möglicherweise wertvolle Stellen mit Sonar- und Scangeräten abgetastet und gegebenenfalls zusätzlich auch von einem Taucher geprüft wird.
Ziel ist dabei zunächst nicht die Bergung von Funden. Das wäre teuer, zudem ist die Konservierung der Stücke an der Luft problematisch, erläutert Warnke. Erst einmal geht es darum, den Bestand von erhaltenswerten Objekten überhaupt zu erfassen, bevor sie durch Aktivitäten wie dem Bau von Offshore-Windparks oder dem Kiesabbau im Meer zerstört werden. Genauer untersucht oder geborgen würden sie erst, wenn sie konkret bedroht sein sollten. So gehen Archäologen auch an Land vor.
Siedlungen und Schiffswracks
Interessiert sind die Nordsee-Archäologen einerseits an Resten menschlicher Siedlungen aus der verschiedenen Epochen der Steinzeit - also einer Phase bis vor 3000 bis 4000 Jahren, als die Nordsee ungefähr ihre heutige Küstenlinien erreichte und während der sich die in der Region lebenden Menschen allmählich von Wildtierjägern zu Viehzüchtern und Ackerbauern entwickelten. Andererseits geht es auch um die Identifizierung historischer Schiffswracks. Das Meer ist voll gesunkener Schiffe. Wie viele davon historisch wertvoll sind, ist jedoch unklar. "Neuzeitliche Kutter interessieren uns natürlich nicht", sagt Warnke.
Viele von ihren Kollegen warten schon gespannt auf die Erkenntnisse, die die Erkundungen in der mehrere tausend Quadratkilometer großen AWZ zu Tage fördern werden. Dieses Gebiet war bislang Niemandsland für die Archäologen. Außerhalb der Zwölf-Meilenzone vor der Küste, wo die Bundesländer und ihre Archäologischen Landesämter zuständig sind, gab es bisher keine Forschung. Denn der Bund, der in der davorliegenden AWZ das Sagen hat, hat keine entsprechende Einrichtung.
Neue Einblicke in die Kulturgeschichte
Auch Ulf Ickeroth, Wissenschaftlicher Leiter des Archäologischen Landesamts in Schleswig-Holstein, hofft nun auf neue Einblicke in die Kulturgeschichte der Menschen. Denn die Zeit, als die Nordsee das Land überschwemmte, war auch eine Zeit dramatischen Wandels für die Betroffenen. In dem vom Meeresspiegelanstieg bedrohten Gebiet waren völlig neue Überlebensstrategien gefragt, erläutert der Experte. "Das ist für die Menschen dort eine unglaubliche Umstellung gewesen."
Wie diese Entwicklung genau ablief, liegt bislang noch weitgehend im Dunkel der Geschichte. Zwar zogen Fischer vor Großbritannien und vor den Niederlanden immer wieder Steinzeitwerkzeuge aus dem Meer, aber systematische Erkenntnisse gibt es kaum. Mit der Kartografierung der Siedlungsplätze, die sich auch nach Jahrtausenden anhand der ursprünglichen Bodenverhältnisse unter dem Schlick der Nordsee identifizieren lassen, könnte sich das aber ändern.
Quelle: ntv.de, Sebastian Bronst, AFP