Sauerstoff wird knapper Meere in Atemnot
16.02.2009, 14:38 UhrDer Klimawandel kann in vielen Meeresregionen zwischen 200 und 800 Metern Tiefe den Sauerstoff knapp werden lassen - mit potenziell bedrohlichen Folgen für die dort lebenden Organismen. Das geht aus einer Simulation von Matthias Hofmann und Hans-Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hervor. Die Wissenschaftler präsentieren ihre Resultate in den "Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften ("PNAS"). Ursache der Entwicklung ist die Versauerung der Meere, die das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre aufnehmen. In der Folge wachsen viele kalkbildende Algen schlechter.
Schon 118 Milliarden Tonnen Kohlenstoff
Seit 1800 haben die Ozeane rund 118 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aufgenommen, erklären die Forscher zunächst. Sie berufen sich dabei auf das World Ocean Circulation Experiment von 1990 bis 2002 (WOEC), das zahlreiche Daten zum Einfluss des Ozeans auf das Klima gesammelt hatte. Diese Menge ist fast die Hälfte all jenen Kohlenstoffs, den die Menschheit in Form von Kohlendioxid (CO2) zwischen den Jahren 1800 und 1994 in die Atmosphäre entlassen hat - durch das Verfeuern fossiler Brennstoffe.
Im Wasser reagiert CO2 chemisch zu Kohlensäure (H2CO3). Diese bleibt aber nicht stabil, sondern zerfällt in HCO3-(Bicarbonat) und ein Wasserstoff-Ion (H+). Letzteres treibt den Säuregehalt des Meeres nach oben, lässt das Wasser also "versauern". An der Oberfläche ist der pH-Wert - das Maß für den Säuregehalt - denn auch bereits gesunken: in den vergangenen 100 Jahren von 8,2 auf 8,1 (pH 7 ist neutral, alles darunter sauer, alles darüber basisch).
Herab auf pH 7,45
Hofmann und Schellnhuber haben nun simuliert, was passiert, wenn der Mensch weiterhin sehr viel CO2 ins Meer bringt und den pH-Wert weiter nach unten treibt. Sie gingen vom so genannten Business-as-usual-Szenario A1FI des Weltklimarates IPCC aus. Demnach steigen die Kohlendioxid- Emissionen bis zum Jahr 2100 stark. Für die Modellierung verlängerten sie das Szenario: Die Emissionen sinken bis zum Jahr 2200 auf Null und bleiben bis zum Ende des Jahrtausends bei Null. Insgesamt werden danach rund 15 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Die Konzentration des Treibhausgases in der Luft stiege von heute rund 380 ppm (parts per million, entspricht Kubikzentimeter pro Kubikmeter) auf 1750 ppm bis zum Jahr 2200. Danach würde die Konzentration bis zum Ende des Jahrtausends wieder auf 1400 ppm sinken. Der global durchschnittliche pH-Wert der Ozeane von heute 8,1 würde nach diesem Szenario bis zum Jahr 2200 auf 7,45 sinken und bis zum Jahr 3000 wieder auf 7,6 steigen.
Weniger Baumaterial
Im saureren Ozean sorgen chemische Reaktionen dafür, dass es im Wasser weniger Calzium-Carbonat (CaCO3) gibt, die Bausubstanz für das Kalkskelett von Korallen und vielen frei schwimmenden Kleinstlebewesen. Damit haben auch winzige Kalkalgen wie Emiliania huxleyi weniger Baumaterial. In der Folge gibt es weniger tote Kalkalgen, die mit dem mineralischen Ballast in die Tiefe sinken können, um ihren in Form von Calzium-Carbonat gespeicherten Kohlenstoff als Sediment abzulagern. Egal, wie winzig diese Einzeller auch sind: Die mächtigen Kreidefelsen auf Rügen sowie die weißen Klippen von Dover zeugen von ihrer Tätigkeit.
Alge des Jahres
Die Deutsche Botanische Gesellschaft erklärte Emiliania huxleyi ob ihrer Bedeutung fürs Weltklima denn auch zu ihrer Alge des Jahres 2009. Emiliania schwebt in den vom Licht durchfluteten Schichten aller Weltmeere. Sie gehört zu den mehr als 300 Kalkalgen, die sich mit kalkigen Plättchen (Coccolithen) umhüllen - jede Art hat ein unverwechselbares Aussehen, berichten die Algenforscher der Gesellschaft.
Auch das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven untersucht, wie das Phytoplankton auf die zukünftigen Veränderungen reagiert - sowohl auf zellulärer Ebene als auch im Ökosystem. "Hierzu müssen wir die Reaktionen der Arten in Experimenten nicht nur beschreiben, wir müssen verstehen warum Photosynthese, Kalkbildung, Stickstofffixierung und andere wichtige zelluläre Prozesse von Meeresalgen sich unter dem Einfluss des Klimawandels verändern", erklärte der Leiter des Projektes "PhytoChange", Björn Rost.
Schwächung der Kohlenstoff-Pumpe
Schellnhuber und Hofmann sehen die Probleme mit den Kalkalgen als Schwächung der "biologischen Kohlenstoff-Pumpe". Dies ist einer der Effekte, die in ihrer Simulation deutlich wurden. "Die Kalkbildung ist neben der Photosynthese wohl der wichtigste von der Erhöhung der CO2-Konzentration betroffene physiologische Prozess", heißt es in einer Untersuchung des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), dem auch Schellnhuber angehört. Titel der Publikation: "Die Zukunft der Meere - zu warm, zu hoch, zu sauer".
Die PIK-Forscher haben einen weiteren Zusammenhang untersucht: Wenn es im saureren Meer weniger Kalk für Algenpanzer gibt, werden sich eben andere pflanzliche Plankton-Arten stärker ausbreiten. Diese sind aber leichter als die Algen mit ihrem Kalk-Ballast - und sinken nach dem Tod viel langsamer herab. Damit haben Bakterien mehr Zeit, die toten Pflanzen in den höheren Wasserschichten abzubauen - was dort Sauerstoff verbraucht und gebundenes CO2 wieder freisetzt.
Höhere Sterblichkeit wahrscheinlich
Die entsprechende Simulation ergibt, dass sich insbesondere in Gewässern mit hohem Nährstoffanteil der Gehalt von Sauerstoff verringert, und zwar in Tiefen zwischen 200 bis 800 Metern. "Weil Sauerstoffmangel Stress auf Organismen ausübt, ist es wahrscheinlich, dass dieser Prozess eine Zunahme ihrer Sterblichkeit zur Folge hat", schreiben die Potsdamer Wissenschaftler. Diese Abnahme des Sauerstoffes hat die weitreichendsten Auswirkungen auf das Ökosystem der Meere.
Auch der Bericht des Wissenschaftlichen Beirats erläutert diese Verschiebung der Arten. Die jährliche Primärproduktion im Meer liegt bei rund 50 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, heißt es da. Etwa 10 Milliarden Tonnen werden über die biologische Pumpe in die Tiefsee exportiert. Dieser wichtige Prozess im globalen Kohlenstoffkreislauf trägt dazu bei, dass Ozeane CO2-Senken sind, also Kohlendioxid aufnehmen. Daher macht es einen großen Unterschied, ob die rasch absinkenden kalkbildenden Arten durch nicht kalkbildende Arten ersetzt werden.
Ein Kippelement?
Hofmann und Schellnhuber spekulieren, dass die kalkbildenden Meeresbewohner zu den sogenannten Kippelementen des Klimas gehören. Dieses Konzept besonders entscheidender Faktoren für die Entwicklung des Klimas wurde 2008 vorgestellt, ebenfalls in "PNAS" und ebenfalls unter Mitarbeit von Schellnhuber. In diesen Bereichen könnten schon kleine Veränderungen riesige Auswirkungen haben - die Systeme könnten leicht kippen. Sie sollten in der Klimapolitik daher besonders berücksichtigt werden.
Beim Grönländischen Eisschild trügen schmelzende Gletscher zunächst den Rand des Schildes ab, was zu weiterer Erwärmung und Eisverlust führe. Steige die Temperatur dort um mehr als drei Grad Celsius, könnte der Eisschild bereits innerhalb von 300 Jahren abschmelzen und der Meeresspiegel um sieben Meter steigen. Auch der Westantarktische Eisschild könnte in dieser Zeit abtauen, dessen "Kipppunkt" liege bei einer Erwärmung der Region von fünf bis acht Grad. Die Borealwälder im Norden der Erde werden nach Forscheransicht bei drei bis fünf Grad Erwärmung durch Trockenheit und Hitze im Sommer und Krankheiten innerhalb von 50 Jahren großenteils absterben. Der Amazonasregenwald werde durch Entwaldung und Erwärmung derart geschädigt, dass er nach Modellaussagen in dieser Zeitspanne ebenfalls großflächig zerstört sein könne. Für die Sahara, die Sahelzone und die Region südlich davon sei noch unklar, ob sie trockener oder feuchter werden als bislang. Weitere Kippelemente seien das Klimaphänomen El Nio, der indische Sommermonsun und der große Wasserkreislauf im Atlantik, die sogenannte Thermohaline Atlantikzirkulation.
"Prozesse ohne Beispiel"
"Die Menschheit ist dabei, Prozesse im Meer anzustoßen, die in den letzten Jahrmillionen ohne Beispiel sind, gleichzeitig aber wegen der erheblichen geophysikalischen Verzögerungseffekte den Zustand der Weltmeere für Jahrtausende bestimmen werden", heißt es in der Zusammenfassung des Berichtes "Die Zukunft der Meere". Und: "Der Umgang des Menschen mit den Meeren wird eine entscheidende Bewährungsprobe auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft sein." Die Autoren um Schellnhuber betonen, dass der pH-Wert der obersten Meeresschicht in keinem größeren Ozeangebiet um mehr als 0,2 Einheiten gegenüber dem vorindustriellen Wert sinken sollte.
Quelle: ntv.de, Thilo Resenhoeft, dpa