Keine Freude, keine Wut Was ist Alexithymie?
10.12.2010, 10:40 Uhr
Experten schätzen, dass zehn Prozent der deutschen Bevölkerung alexithym ist, allerdings in verschiedenen Ausprägungen.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Gefühlsblindheit ist keine Krankheit, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Trotzdem stehen viele alexithyme Menschen enorm unter Druck, weil sie nicht fähig sind, ihre Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Wird der Druck zu hoch, reagiert der Körper mit verschiedenen Krankheitssymptomen. Hilfe ist möglich.
Alexithymie ist die Unfähigkeit Gefühle ausreichend wahrnehmen und beschreiben zu können. Alexithymie ist keine Krankheit im eigentlichen Sinne, sondern eher ein Persönlichkeitsmerkmal. Experten gehen davon aus, dass etwa 10 Prozent der deutschen Bevölkerung als alexithym eingeordnet werden können. Alexithyme Menschen werden auch als gefühlsblind oder Gefühlsanalphabeten bezeichnet.
Ursache
Bisher konnte nicht eindeutig geklärt werden, warum Menschen gefühlsblind sind oder ob sie es erst im Laufe ihres Lebens werden. Es gibt dazu verschiedene Theorien. Eine geht davon aus, dass die Unfähigkeit Gefühle wahrnehmen zu können bereits im frühen Kindesalter entsteht. Andere halten traumatische Erlebnisse als Auslöser für denkbar. Aber auch eine genetische Disposition könnte in Frage kommen.
Geschichte
Das Phänomen der Gefühlsblindheit wird schon seit langer Zeit in der Psychologie beschrieben. Erst 1973 prägten der Psychotherapeut John C. Nemiah und der Psychiater Peter E. Sifneos das Phänomen und gaben ihm einen Namen - Alexithymie. Das Wort ist abgeleitet aus dem griechischen (a - Nicht, lexis - Lesen, thymos - Gefühl). Das bedeutet wörtlich übersetzt "Nicht-Lesen-Können von Gefühlen" Seit den 1970er Jahren scheint Alexithymie ein begehrtes Forschungsfeld zu sein. Vor allem mit der Entstehung der Emotionsforschung und der Weiterentwicklung der bildgebenden Verfahren in den 1980er Jahren bekam das Thema neuen Schwung.
Symptome
Die meisten Menschen mit Alexithymie sind im Alltag eher unauffällig. Viele von ihnen glänzen sogar durch besondere Fähigkeiten oder überdurchschnittliche Leistungen. Sie lieben klare Strukturen und können mit Veränderungen nur schwer umgehen. Viele alexithyme Menschen werden von ihrer Umgebung als introvertiert bezeichnet. Alexithymie wird in drei verschiedene Schweregrade unterteilt:

Alexithyme Menschen können keine Freude, wie hier der neue Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel, empfinden.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bei leichter Alexithymie können Betroffene nur schwer mit den eigenen und den Gefühlen von anderen umgehen. Ansonsten können sie ein weitgehend normales Leben führen. Diese Menschen werden oftmals als gefühlskalt von ihren Mitmenschen wahrgenommen.
Bei mittlerer Alexithymie sind die Betroffenen unfähig ihre eigenen Gefühle zu erkennen und zu benennen. Außerdem können diese Menschen nicht die Gemütslage in den Gesichtern anderer Menschen ablesen oder emotionales Verhalten ihrer Mitmenschen verstehen. Das führt zu zahlreichen Missverständnissen und Problemen. Beziehungen scheitern oftmals. Viele alexithyme Menschen stehen unter immensen Druck, wissen aber nicht warum. Sie bilden im Alter zwischen 40 und 45 Jahren diverse psychosomatische Erkrankungen wie Schmerzsymptome, Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Erkrankungen aus. Die meisten jedoch bleiben arbeitsfähig.
Die schwere Alexithymie baut auf den beschriebenen Symptomen auf, jedoch mit dem Unterschied, dass die Betroffenen durch die heftige Ausprägung der psychosomatischen Erkrankungen nicht mehr arbeitsfähig sind. Diese Menschen verstehen die Welt nicht und ziehen sich aus ihrer Umwelt zurück. Zwischenmenschliche Beziehungen sind nicht erstrebenswert, deshalb leben sie allein. Ihnen ist der Lebenssinn abhanden gekommen, das kann zu Depressionen und sogar zu Selbstmord führen.
Therapie
Die meisten Betroffenen suchen den Arzt nicht auf, weil sie keine Gefühle wahrnehmen und benennen können, sondern wegen körperlicher Beschwerden, die sie nicht einordnen können. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Therapeuten zuerst die Lage der Betroffenen erkennen, um dann den Zusammenhang der körperlichen Empfindungen mit der Unfähigkeit der Gefühlswahrnehmung zu erklären. Patienten, die offen sind, werden in einem nächsten Schritt zunächst stationär in einer psychosomatischen Klinik aufgenommen. Hier wird individuell festgelegt, welche Therapieform die geeignete ist. Die verbalen Therapiemöglichkeiten spielen für die meisten alexithymen Menschen eine eher untergeordnete Rolle. Kunst-, Gestaltungs- und Körpertherapie können dagegen helfen, die Signale des Körpers besser zu verstehen. Je nach Schweregrad, Bereitschaft und Alter des Betroffenen ist die Therapie unterschiedlich erfolgreich und verschieden lang.
Quelle: ntv.de