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Störche fliegen zum spanischen Müll Zugvögel-Strecken werden kürzer

Störche auf ihrem Weg in den Süden.

Störche auf ihrem Weg in den Süden.

(Foto: picture alliance / dpa)

In jedem Jahr kann man das Naturspektakel am Himmel beobachten. Weltweit ziehen schätzungsweise 50 Milliarden Vögel von ihren Brutplätzen in ihre Winterquartiere oder umgekehrt. Die Tiere legen auf ihrem Zug mehrere tausend Kilometer zurück und setzen sich unheimlichen Strapazen aus. Forscher erleben unter den Tieren auch einen Trend zum Bleiben.

In Deutschland gehören lediglich acht Prozent aller Vögel zu den sesshaften Tieren. Der Rest der Vögel zieht, um den Winter zu überstehen, in wärmere Gefilde. Der Grund für den Wegzug der Vögel sind nicht die fallenden Temperaturen, sondern das sinkende Nahrungsangebot. "Der Zug ist eine mögliche Überlebensstrategie für die Mehrzahl aller Vögel", betont Professor Franz Bairlein vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven. Vögel, die sich hauptsächlich von Insekten und Wirbellosen ernähren, müssen sich im Winter auf den Weg in andere Regionen machen. Körner- und beerenfressende Tiere dagegen können an ihrem Brutplatz bleiben. Vögel, die ihren Brutplatz nicht verlassen, werden als Standvögel bezeichnet. In unseren Breiten gehören beispielsweise Haussperlinge, Kohl- und Blaumeisen dazu.

Stare sammeln sich vor dem Zug. Bestimmte Populationen von Staren ziehen heute gar nicht mehr in den Süden.

Stare sammeln sich vor dem Zug. Bestimmte Populationen von Staren ziehen heute gar nicht mehr in den Süden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Strecken, die Vögel zurücklegen, unterscheiden sich erheblich. Manche Tiere fliegen nur einige hundert Kilometer in wärmere Gefilde, andere wiederum legen bis zu 20.000 Kilometer zurück und wieder andere suchen lediglich einen anderen Landstrich auf, um mehr Nahrung und angenehmere Lebensbedingungen zu finden. Manche Vögel machen auf ihrem Weg mehrmals Rast, andere wiederum fliegen ganz ohne Pause. Die "Kurzstreckenflieger" werden auch als Strichvögel bezeichnet. Enten und Meisen gehören dazu. Es gibt außerdem die Variante, dass nur einige Exemplare einer Art den Flug in den Süden antreten. Diese Arten werden als Teilzieher bezeichnet. Zu ihnen gehören beispielsweise Finken, Goldammern, Rotkehlchen und Stare.

Obwohl der Zug der Tiere körperliche Meisterleistungen abverlangt und zahlreiche Gefahren in sich birgt, haben die Zugvögel in ihrem ersten Lebensjahr keine geringere Lebenserwartung als die Standvögel. "Nur 30 bis 40 Prozent aller Jungvögel überstehen überhaupt ihr erstes Lebensjahr", erklärt Vogelexperte Bairlein. "Bisher können wir jedoch noch nicht sagen, wie groß der Anteil ist, der durch oder während des Vogelzugs direkt stirbt. Das wird aber mit Hilfe moderner Technik in ein paar Jahren möglich sein."

Trend geht zu kürzeren Wegen

Durch die Auswirkungen der Klimaänderungen der letzten Jahre und künstliche Nahrungsangebote werden immer häufiger Zugvogelarten zu Teilziehern und Teilzieher zu Standvögeln. Vor allem bei Staren und Amseln ist der Wandel zu beobachten.

Auch Weißstörche sind vor Jahrzehnten zum Überwintern noch bis weit in den Süden Afrikas geflogen. Nun kommen viele Exemplare nur noch bis Spanien und halten sich dort auf den futterreichen Müllkippen auf. Experten aus der Schweiz gehen von rund 50.000 Müllkippen-Tieren aus.

Störchin Julia stapft mit einem Futter-Küken im Schnabel gemeinsam mit ihrem Partner Romeo über eine schneebedeckten Wiese am Stadtrand von Isny. Bei geschlossener Schneedecke wird dem Storchenpaar, welches im Allgäu überwintert, zugefüttert.

Störchin Julia stapft mit einem Futter-Küken im Schnabel gemeinsam mit ihrem Partner Romeo über eine schneebedeckten Wiese am Stadtrand von Isny. Bei geschlossener Schneedecke wird dem Storchenpaar, welches im Allgäu überwintert, zugefüttert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein Storchenpaar, das seit 2000 im Allgäu lebt, hat im vergangenen Winter sein Brutgebiet nicht verlassen. Es blieb auch im Winter in einem mit einer Webcam überwachten Nest, das sich auf dem Schornstein des Rathauses von Isny befindet. Die Tiere wurden bereits während der Aufzucht ihrer Jungen im Mai und Juni von Mitarbeitern des Storchennest-Teams Isny gefüttert. Bisher war das Storchenweibchen "Julia" in jedem Winter in den Süden gezogen. Ihr "Romeo" dagegen hat regelmäßig auf den Zug verzichtet.

Es wird angenommen, dass vor allem Tiere wie "Romeo", die aus Storchen-Aufzuchtstationen stammen, auf die Fürsorge der Menschen vertrauen und ihre Partner zum Bleiben "überreden". Die insgesamt zwölf Jungvögel der beiden jedoch haben sich in jedem Jahr auf den Weg in den Süden gemacht. Ob sie tatsächlich bis Afrika gekommen sind oder sich schon auf spanischen Müllhalden satt fressen, ist ungeklärt.

Woher kennen die Jungvögel ihren Weg?

Beobachter sind immer wieder verwundert, woher die Vögel eigentlich wissen, welchen Weg sie nehmen und wann genau sie losfliegen müssen. In den Genen der Tiere sind die Grunddaten für den Zug festgelegt. "Ein junger Kuckuck zum Beispiel, der auch noch von einem anderen Elternpaar groß gezogen wird, weiß nur durch seine Gene, wann und in welche Richtung er fliegen muss. Er wird einfach eines Tages im August allein in der Nacht losfliegen und zwischen 8.000 und 12.000 Kilometer zurücklegen. "Die genetischen Informationen bilden den Rahmen für den Zug der Vögel", erklärt Bairlein. Es kann natürlich dazu kommen, dass ein Zug wegen schlechten Wetters oder starken Winden verzögert oder abgebrochen werden muss.

Gänse fliegen in kräftesparender Keilform. Die Elterntiere ziehen zusammen mit ihren Jungen.

Gänse fliegen in kräftesparender Keilform. Die Elterntiere ziehen zusammen mit ihren Jungen.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Die Vögel, die ich in meinem Käfigen halte, zeigen durch ihr nächtliches Umherhüpfen im Käfig an, dass sie jetzt ziehen würden. Das machen sie ohne jegliche Außeninformation. Wir können sogar über die Menge der sogenannten Zugunruhe Aussagen über die Strecke machen, die bestimmte Vögel auch innerhalb der gleichen Art überwinden müssen. Ein Vogel beispielsweise, der lediglich innerhalb Europas ziehen würde, hüpft nur ein Drittel so oft während der Zugzeit, wie ein Zugvogel, der bis nach Westafrika ziehen würde."

Die Zugrichtung, in die sie fliegen müssen, ist Zugvögeln angeboren. Um sich zu orientieren, nutzen sie äußere Informationen wie zum Beispiel das Erdmagnetfeld, die Gestirne oder auch bestimmte Winde. Vögel haben "Magnetsensoren" im Sehzentrum und im Schnabel, die sich beide beim Navigieren ergänzen. "Zudem haben die Vögel die angeborene Fähigkeit, vor ihrem Flug so richtig aufzutanken", ergänzt Bairlein. Die Vögel setzen von Natur aus vor ihrem Flug reichlich Fett an, um genug Energie für den Zug zu haben. Dieser Aufbau von Fettreserven ist sogar bei den in Gefangenschaft lebenden Zugvögeln zu beobachten.

Keine Strategie ist besser

Zugvögel sind auf ihren Reisen vielen Gefahren ausgesetzt. Sie überstehen die Reise beispielsweise nicht, wenn sie sich vor dem Flug wegen Futtermangels nicht genügend Fettreserven zulegen konnten. Auch Stürme oder Hagelschauer können den Tieren gefährlich werden. Von den zwei Milliarden Tieren, die die Sahara überqueren, sterben etwa 80 Millionen, bevor sie ihr Ziel erreichen. Für einige Exemplare bedeutet auch die Jagd durch den Menschen das Todesurteil.

Das Sammeln der Kraniche und der Zug der Vögel fasziniert jedes Jahr die Beobachter.

Das Sammeln der Kraniche und der Zug der Vögel fasziniert jedes Jahr die Beobachter.

(Foto: picture alliance / dpa)

Aber auch die Standvögel müssen sich zahlreichen Widrigkeiten stellen. Extrem niedrige Temperaturen und unzureichendes Nahrungsangebot kann für sie das Aus bedeuten. Aber auch Katzen und andere Räuber können vielerorts das Überleben schwermachen.

Pauschal kann nicht gesagt werden, welche Überlebensstrategie von Vögeln die bessere ist. Die Betrachtung des Bruterfolges zeigt, dass Zugvögel meist nur einmal im Jahr Eier legen müssen, um ihren Bestand zu erhalten. Standvögel dagegen müssen oft mehrmals im Jahr brüten, um die Art zu erhalten. "Stand- und Zugvögel sind einfach zwei verschiedene Überlebenstypen, die sich ihren jeweiligen Strategien so optimal wie möglich angepasst haben. Sowohl bei Stand- als auch bei Zugvögeln gibt es eine Balance zwischen Risiken und Vorteilen" ergänzt Bairlein.

Quelle: ntv.de

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