Kampf dem Klebeband Erste Hilfe für antike Schriften
23.02.2010, 08:12 Uhr
Um die Fragmente vom Klebeband zu befreien und zu ordnen, braucht es eine ruhige Hand und viel Geduld.
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Sie gehören zu den wichtigsten archäologischen Funden der Welt. Es ist nur vier Frauen erlaubt, die antiken Schriftrollen vom Toten Meer zu berühren. Ihre Aufgabe ist langwierig.
Nur vier Frauen auf der Welt ist es erlaubt, die antiken Schriftrollen vom Toten Meer zu berühren. Mit Pinzetten, winzigen Bürsten und unendlicher Geduld kämpfen sie gegen einen störrischen Feind: altes Klebeband. "Ich betrachte das nicht als Arbeit, sondern als Segen", sagt Tanya Treiger und schabt mit einem Mini-Skalpell vorsichtig die Reste eines Klebestreifens von einem kleinen Stück Pergament. Sie ist eine der vier Konservatorinnen, die mit der Restauration der 2000 Jahre alten Dokumente beschäftigt sind.
Seit 18 Jahren arbeiten die vier Frauen bereits daran, die wertvollen Schriftrollen von den Resten des Klebebands zu säubern, mit dem die Fragmente vor 50 Jahren zusammengeklebt worden waren. "Klebeband war damals gerade erfunden worden, und zu der Zeit sah es nach einer guten Lösung aus", sagt Pnino Shor, die zuständige Abteilungsleiterin in der israelischen Altertumsbehörde. "Aber schon in den 1960er Jahren wurde klar, dass das ein Desaster war." Teile des Klebebands hätten das Pergament durchsetzt und zu seiner Auflösung beigetragen.
Weitere 18 Jahre zur Restauration nötig
Die Konservatorinnen, die in einem kleinen Labor im Jerusalemer Israel-Museum arbeiten, bräuchten mindestens weitere 18 Jahre, bis die Restauration der Fragmente abgeschlossen sei, sagt Shor. "Bislang geht es wirklich um eine Art erste Hilfe." Die Abteilungsleiterin zeigt auf eine der Frauen, die behutsam kleine Mengen eines organischen Lösungsmittels auf ein zerbrechliches Fragment tupft, um Reste von Klebstoff zu lösen. "Wenn wir Glück haben, erwacht das Pergament wieder zum Leben, und die Schrift wird deutlicher", sagt Shor.
Nach der Behandlung werden die Fragmente auf säurefreiem Karton angeordnet und in speziellen Schutzbehältern aufbewahrt. Jene Textstellen, die im Museum ausgestellt werden sollen, werden in Behältnissen aus Polyester zwischen Polycarbonat-Tafeln gelagert.
Schriftrollen erzählen von gemeinsamen Wurzeln
Im Höhlenkamm des Qumran-Plateaus am Toten Meer fand der jugendliche Beduinen-Schafhirte Muhammed edh-Dhib im Sommer 1947 die erste der berühmten Qumran-Rollen
(Foto: picture-alliance / dpa)
Die 900 Dokumente von großer religiöser und historischer Bedeutung gelten als einer der wichtigsten archäologischen Funde der Welt. Die Schriftrollen aus Pergament und Papyrus wurden zwischen 1947 und 1956 in den Felshöhlen bei Qumran im Westjordanland über dem Toten Meer entdeckt. Sie umfassen Texte in Hebräisch, Aramäisch und Griechisch, die aus der Zeit zwischen dem dritten vorchristlichen Jahrhundert bis etwa zum Jahr 70 nach Christi stammen, als römische Truppen den zweiten jüdischen Tempel in Jerusalem zerstörten. Dabei sind auch die ältesten Handschriften aus dem Alten Testament.
"Die Texte stammen aus einer entscheidenden Epoche der westlichen Geschichte, als das Judentum und das Christentum sich zu den Religionen entwickeln, die wir heute kennen", sagt Shor. "Die Schriftrollen erzählen etwas von unseren gemeinsamen Wurzeln." Auch Jordanien erhebt Ansprüche auf die antiken Texte, weil Israel die Schriftrollen erst 1967 im Sechs-Tage-Krieg unter seine Kontrolle gebracht habe - eine Forderung, die Israel entschieden zurückweist.
Rollen bald im Internet zu sehen
Nur bei schwachem Licht und in einer klimatisierter Glasvitrine werden die Psalmentexte ausgestellt.
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Heute lagern die Funde im israelischen Nationalmuseum, wo die größeren Fragmente abwechselnd unter schwachem Licht ausgestellt werden, um den Schaden so gering wie möglich zu halten. Die übrigen Fragmente liegen in einem dunklen Raum, der die klimatischen Bedingungen aus den Qumran-Höhlen nachempfindet, wo Feuchtigkeit, Temperatur und Dunkelheit die Schriftrollen über 2000 Jahre konservierten. "Wenn wir sie für weitere 2000 Jahre erhalten können, dann haben wir unseren Beitrag geleistet", sagt Shor.
Noch in diesem Jahr sollen die Schriftstücke leichter zugänglich gemacht werden: über das Internet. Mit Infrarot und hoch auflösender Fotografie sollen viele der bereits verblassten Inschriften wieder für das menschliche Auge sichtbar werden. Dann wollen die Experten auch feststellen, wie viele Fragmente es genau gibt - Shor schätzt ihre Zahl auf 50.000 bis 100.000. Wenn die ganze Sammlung binnen fünf Jahren online ist, können Altertumsforscher die kleinen Teile neu zusammensetzen, ohne die unbezahlbaren Fundstücke in Mitleidenschaft zu ziehen. "Dann beginnt das ultimative Puzzle", sagt Shor.
Quelle: ntv.de, Patrick Moser, AFP