Fundsache

Fundsache, Nr. 978 Reste von Kriegsgefangenen

Ein Stiefel wird säuberlich freigelegt.

Ein Stiefel wird säuberlich freigelegt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Archäologen graben bei Schwerin ein riesiges Kriegsgefangenenlager aus. Es existierte im Mai 1945 drei Wochen lang. Die Funde erzählen vom Überleben in den Erdlöchern, die sich tausende Wehrmachtssoldaten in den Acker gruben.

Eine Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg rostet im Sand, Soldatenstiefel ragen aus dem Erdreich. "Hoffentlich stecken keine Knochen drin", sagt Elmar Christmann. Der Archäologe leitet eine ungewöhnliche Grabung in Mecklenburg-Vorpommern. Nahe Sülstorf südlich von Schwerin sind die Wissenschaftler auf Überreste eines riesigen Kriegsgefangenenlagers aus dem Jahr 1945 gestoßen. Sie graben Gasmasken aus und Gabeln, Bajonette und Füllfederhalter, Munition - und immer wieder Flaschen. Sichtbar wird eine Zeit, in der es ums nackte Überleben ging, obwohl für die Insassen die Kämpfe vorbei waren.

Walter Marten war acht Jahre alt, als im Mai 1945 die Amerikaner anrückten und den Krieg in der Gegend beendeten. "Das ganze Feld hier, vom Wald dort hinten bis zum Dorf, machten sie zum Kriegsgefangenenlager", erinnert sich der Rentner. Die Entfernung beträgt bestimmt einen Kilometer, in der Breite ist es nicht viel weniger. Einen Zaun zogen sie nicht. Nur mit Posten, Panzern und etwas Stacheldraht sei der Acker bewacht worden, erinnert sich Marten. Die Amerikaner internierten dort Wehrmachtsangehörige. Es sollen 15.000 gewesen sein, man spricht auch von bis 30.000. Hinzu kamen tausende Flüchtlinge.

Kriegsaltlasten aus dem Sand geholt

Pistolen und Munition - wie sie ins Lager gelangten, bleibt ungewiss.

Pistolen und Munition - wie sie ins Lager gelangten, bleibt ungewiss.

(Foto: picture alliance / dpa)

Grabungsassistent Frank Mewis pinselt die Pistole sauber und hebt sie vorsichtig aus ihrem Sandbett, in dem sie 66 Jahre lang lag. Mulmig sei den Kollegen durchaus, wenn sie mit den Kriegsaltlasten hantieren, sagt Andreas Selent vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommerns. Er leitet die Ausgrabungen, die in diesen Monaten entlang der Trasse einer künftigen Erdgasleitung stattfinden.

Die Grabungen sind nicht ungefährlich. So mussten sie gestoppt werden, als der Bagger, der die obersten 30 Zentimeter Erdschicht für die Archäologen abnimmt, eine Gewehrpanzergranate freilegte. "Der Munitionsbergungsdienst kam und entschied, die Granate wegen ihrer Gefährlichkeit an Ort und Stelle zu sprengen", sagt Selent. Kurz darauf werden Handgranaten entdeckt, unweit davon in einer Grube 1600 Schuss Munition. Wie sie seinerzeit ins Lager kam, ist unklar.

Offenbar hatte nicht jeder der Internierten die Hoffnung auf den "Endsieg" aufgegeben. In einem schon seit längerem bekannten Tagebuch schrieb ein Soldat: "Ein deutscher Offizier in voller Montur mit Orden reitet auf einem Schimmel durch das Lager und verkündet, dass nun wieder Ordnung und Disziplin durchgesetzt werden, der Krieg ist nicht zu Ende! Aufmerksamkeit kann er bei den hungrigen und abgerissenen Kameraden wenig erwecken. Am nächsten Tag ist der arme Schimmel ebenfalls dem Nahrungsmangel zum Opfer gefallen."

Erdlöcher mit Alltagsmüll der Internierten

Die vielen Flaschen sind Beweisstück für die Art der Versorgung im Lager.

Die vielen Flaschen sind Beweisstück für die Art der Versorgung im Lager.

(Foto: picture alliance / dpa)

In der Tat finden die Archäologen immer wieder Pferdeknochen, manche mit Brandspuren. Hunger war allgegenwärtig. Erst Tage nach Eröffnung des Lagers soll es etwas Corned Beef und Kekse für die Internierten gegeben haben. Und täglich einen Liter Wasser pro Mann - deshalb die Flaschen überall. Die Soldaten gruben Erdlöcher zum Schlafen. Mit Zeltplanen darüber, als Schutz vor Regen und Kälte. Diese Gruben wurden nach Auflösung des Lagers Ende Mai mit Abfällen verfüllt - die Archäologen finden sie leicht, das Erdreich ist deutlich dunkler.

"Wir betreten mit dieser Grabung Neuland", sagt Selent. Es gebe zwar Weltkriegsarchäologie, diese befasse sich aber vorrangig mit Befestigungs- und Bunkerbauten, wie dem Westwall. "Es macht aber auch Sinn, den Alltag zu dokumentieren, wie er sich in diesem zeitlich nur sehr kurzlebigem Gefangenenlager zeigt."

Quelle: ntv.de, Iris Leithold, dpa

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