VW setzt neue Ziele Erdgasauto wird Kaskade rückwärts
02.06.2017, 08:52 Uhr
Der Erdgasantrieb hat sich nie ganz durchgesetzt, jetzt startet VW den zweiten Versuch.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Kaskade ist nicht nur ein künstlicher Wasserfall, sondern auch der wagemutige Sprung eines Artisten, der seinen Absturz vortäuscht. Ähnlich muten die Pläne von VW an, wenn man hört, dass die Wolfburger in Zukunft zehnmal mehr Erdgasautos bauen wollen.
"125 Jahre Diesel sind genug" krähte vor einigen Wochen der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und seitdem reißen die Diskussionen um die Zukunft des Selbstzünders beim Pkw-Antrieb nicht ab. Kommunen streiten um Fahrverbote; das Ziel der Bundesregierung, eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen, ist kassiert. Womöglich weist jetzt der Volkswagen-Konzern, selbst mitverantwortlich für die Krise des Dieselmotors, einen Weg aus dem Dilemma.
Neu ist die Erfindung nicht, eher die Wiederbelebung einer Antriebs-Idee, die jahrelang im Schatten immer effizienter werdender Ölbrenner stand: Erdgas. Zwar handelt es sich dabei auch um einen fossilen Brennstoff, jedoch hat das Umweltbundesamt bereits 2016 unter dem Schlagwort "Power to Gas" ein Konzept für eine vollständig regenerative und CO-neutrale Energieversorgung vorgestellt. Jüngst überraschte VW auf dem Motorensymposium in Wien die Fachwelt mit einem serienreifen Dreizylinder-Erdgasmotor.
Die Autohersteller sagen, der Dieselmotor werde zur Einhaltung der Kohlendioxid-Grenzwerte gebraucht. Seit bekannt ist, dass viele Fahrzeuge im Praxisbetrieb deutlich mehr schädliche Substanzen freisetzen, als in den offiziellen Datenblättern steht, scheint das Selbstzünder-Prinzip zum Abschuss freigegeben. In den ersten Empörungswellen um den Diesel-Skandal ging fast unter, was der Automobil-Zulieferer Mahle getestet hatte: Im September 2015 veröffentlichte das Stuttgarter Unternehmen, dass sich in einem auf Erdgas optimierten Ottomotor die CO-Emissionen um fast ein Viertel reduzieren ließen. Weitere Versuche mit einem 1,2-Liter-Dreizylinder, in dem Kolben, Pleuel, Ventile und Lager den erhöhten Druckanforderungen angepasst wurden, ergaben sogar ein Einsparpotenzial von 31 Prozent.
Viel versprechende Daten
Der ein Liter große Dreizylinder, den VW jetzt präsentierte, funktioniert genauso wie jene Gasmotoren, die von den Wolfsburgern bereits in Modellen wie Golf oder Caddy verwirklicht sind. Auch andere Hersteller, zum Beispiel Ford oder Opel, haben sogenannte CNG-Modelle im Angebot. Das Kürzel steht für "Compressed Natural Gas" und es besteht zum überwiegenden Teil aus Methan. Sein Energiegehalt entspricht dem von fast 1,5 Litern Superbenzin. Die Leistung seines neuen Dreizylinder-Turbos gibt VW mit 90 PS an. Er arbeitet nach dem sogenannten bivalenten Konzept, kann also außer mit Erdgas auch mit Benzin betrieben werden.
Für Kleinwagen wie den Up! oder den Polo scheint er eine passende Kraftquelle zu sein. Über seinen Verbrauch ist noch nichts zu erfahren, doch ein Blick in die technischen Daten eines aktuellen Golfs gibt eine Ahnung davon, was seine Vorteile sein könnten. Dessen 1.0 Liter großer und 85 PS starker Einstiegsmotor gibt laut NEFZ-Messung 108 bis 111 Gramm Kohlendioxid je Kilometer ab, der 1,4 Liter große Erdgas-Vierzylinder im günstigsten Fall nur 95 g/km. Werte unter 90 Gramm für den neuen Gas-Dreitöpfer scheinen also realistisch.
Trotz der guten Voraussetzungen kam die Verbreitung von Erdgas als Pkw-Treibstoff nicht so recht in Gang. Auf ein kurzes Nachfrage-Hoch Mitte der 2000er-Jahre geriet der Ausbau des Erdgas-Tankstellennetzes in Deutschland ins Stocken. Die Hochdruck-Anlagen erfordern Investitionen von 200.000 bis 250.000 Euro, was einer der Gründe sein könnte. Reichweiten-Angst wie bei Elektrofahrzeugen brauchen die Verbraucher jedoch nicht zu haben, denn alternativ können sie immer noch Benzin tanken. Außerdem dauert das Tanken von Erdgas drei bis vier Minuten und keine Stunden wie bei Elektromobilen.
Die vergleichsweise saubere Verbrennung im Erdgas-Motor ist die eine Seite der Medaille, die Tatsache, dass es sich um einen fossilen – also endlichen – Treibstoff handelt, die andere. Doch auch in dieses Thema ist Bewegung geraten. Seit mehreren Jahren testet beispielsweise das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in zwei Versuchsanlagen, wie die Technologie der Umwandlung von Elektroenergie in Gas in den Verkehr eingebunden werden kann. Durch Windkraft erzeugter Strom wird dabei zunächst zur Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff eingesetzt. In einem zweiten Schritt wird dem Wasserstoff Kohlendioxid zugeführt und es entsteht Methan, das die Techniker synthetisches Erdgas oder e-Gas nennen. Dies kann dann als Treibstoff für Erdgas-Motoren verwandt werden.
Lösung für das Kohlendioxid-Problem
Die neue Erdgas-Begeisterung von VW erzeugte umgehend Widerspruch. "Gute Argumente für CNG waren schon früher auf dem Tisch", sagte der Bosch-Geschäftsführer für den Kfz-Bereich, Markus Heyn, kürzlich in einem Interview. Ob eine Wende gelinge, "wo parallel elektrische Antriebe aufkommen, wage ich eher zu bezweifeln". Diese Meinung überrascht nicht. Es darf getrost unterstellt werden, dass Bosch als weltgrößter Hersteller von Injektoren für Dieselmotoren kein Interesse an einem Nachfrage-Rückgang für seine Produkte hat.
Volkswagen jedenfalls scheint es ernst zu meinen. Der Konzern will sich auch für den Ausbau der Erdgas-Infrastruktur stark machen. In Zusammenarbeit mit Energieversorgern, der Gasindustrie, weiteren Originalausrüstungsherstellern sowie Bundesministerien werden Aktivitäten forciert, die CNG als Kraftstoff weiter bekannt und attraktiv machen, heißt es in einer Mitteilung aus Wolfsburg. Auf einem Fach-Symposium im Juni in Hamburg sollen die Chancen beraten werden. "Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2025 die Zahl der CNG-betriebenen Fahrzeuge in unserer Flotte um das Zehnfache zu erhöhen."
"Aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung senkt der Kraftstoff Erdgas den CO-Ausstoß schon dann, wenn er aus fossilen Quellen kommt", erklärte der Leiter der Ottomotoren-Entwicklung von Volkswagen, Dr. Wolfgang Demmelbauer-Ebner, in Wien. "E-Gas, das aus Überschussstrom der regenerativen Stromerzeugung in speziellen Anlagen aus Wasser und CO hergestellt wird, ist hervorragend geeignet, regenerative Energie für den Verkehrssektor nutzbar zu machen und auch zu speichern."
Quelle: ntv.de