Müssen deutsche Marken zittern? SUV Polestar 3 im Fahrbericht - wirklich Premium


Das typische Thorshammer-Design der Scheinwerfer ist nicht mehr bloß ein Volvo-Alleinstellungsmerkmal.
(Foto: Polestar)
Mit der Nummer drei kommt Polestar dem Volvo EX90 zuvor und installiert als erstes das große SUV auf der Scalable Product Architecture. ntv.de war mit dem sportiven Alleskönner unterwegs, der im Revier des deutschen Premiumwettbewerbs wildert.
Die Premiere des Polestar 3 lässt aufhorchen. Denn endlich kommt mal frischer Wind in die Modellpalette. Nach rund vier Jahren startet die junge Marke endlich mit einem neuen Modell, von dem sich die Schweden ein ansehnliches Volumen erhoffen.

Durchgehende Leuchtbänder im Heckbereich sind schwer in Mode. Daher bekommt der Polestar 3 auch eins.
(Foto: Polestar)
Vielleicht ein kurzer Exkurs zu den Baureihenbezeichnungen: Polestar kommuniziert ausdrücklich, dass diese rein gar nichts mit dem Segment zu tun hätten. Es gehe einfach der Reihe nach. Und das dritte Modell ist eben ein großes Crossover-SUV. Nun, wie viel Volumen sich mit einer solchen Offerte in Deutschland generieren lässt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hängt die preisliche Hürde hoch, da selbst die Basisversion über zwei permanenterregte Synchronmaschinen verfügt. Und für den sogenannten Long Range Dual Motor ruft Polestar demnach stramme 85.590 Euro auf. Allerdings ist ja mittlerweile bekannt, dass Listenpreise weniger relevant sind als individuelle Leasingangebote. Und hier kann man beizeiten vielleicht das eine oder andere Schnäppchen erwischen.
Aber klar, das neue Polestar-SUV spielt schon in einer luxuriösen Liga. Angesichts 4,90 Metern Länge wird deutlich: Hier steht eine veritable Businessklasse auf Rädern. Allerdings ist der Allradler mit einer für das Segment eher moderaten Höhe von bloß 1,61 Metern eher kein klassisches SUV, sondern eher ein Crossover. Aber was für ein geräumiges! Der wahre Luxus, im Polestar 3 zu reisen, besteht darin, in der zweiten Reihe zu verweilen. Okay, wird ausprobiert. Beine übereinanderschlagen? Echt kein Problem. Was hier geboten wird, vermag eine Oberklasse-Limousine mit langem Radstand kaum zu übertreffen. Und da reden wir über ganz andere Summen. Die Marketingkollegen des globalen Polestar-Teams haben sich natürlich so ihre Gedanken gemacht, welchen Herstellern sie Kunden abluchsen möchten und welche Modelle die bisher so fahren. Interessenten von teuren Limousinen freilich passen da kaum ins Bild, wohl aber Menschen, die mit einem BMW iX oder - wenn auch Verbrenner zählen - Porsche Cayenne liebäugeln.
Schwache Antriebe gibt es beim Polestar 3 nicht

Ein Display direkt vor den Augen des Fahrers bringt die wichtigsten Informationen ablenkungsfrei näher.
(Foto: Polestar)
Wer zum Polestar 3 greift, für den ist ein schwacher Antrieb keine Option. Und Polestar kommuniziert das nicht bloß im Datenblatt, sondern auch mit dem Fahrzeug selbst. Unter 490 PS machen es die Schweden nicht, und das steht auch auf den vorderen Türen aufgedruckt - 360 kW Leistung samt der Batteriegröße von 111 (107 netto) kWh bei der Basis. Und damit deutet sich zumindest ein Punkt an, der Vielfahrer interessieren könnte: Der Polestar 3 müsste ganz schön weit fahren laut Datenlage. Der Hersteller wirft 631 Kilometer WLTP-Reichweite in den Ring, was einen Verbrauch von unter 22 kWh pro 100 km voraussetzen würde.
Und da der Polestar 3 ein richtiger Brocken ist, holen die Ingenieure raus, was geht. So wird in der Teillast beispielsweise eine Antriebsachse abgekoppelt - merkt man übrigens nichts von. Gut, der Verbrauchswert wird sich später in der Praxis noch bewähren müssen. Das gilt auch für den Part mit der Ladeperformance. Nominal wird der Polestar 3 mit 250 kW Peakladeleistung beziffert und der Ladehub von 10 auf 80 Prozent soll binnen einer halben Stunde abgehandelt sein. Doch jetzt gibt es zunächst einen ersten Fahreindruck.
Zu Testfahrten steht nicht nur die Grundvariante zur Verfügung, sondern auch die mit 517 PS noch einmal stärkere Performance-Ausgabe. Hier gibt es dann 910 statt 840 Newtonmeter Drehmoment. In beiden Fällen darf der Passagier mit unerbittlichem Schub rechnen. Und ja, unter voller Last klebt der Rücken tatsächlich in der mit feinem Nappaleder bezogenen Lehne angesichts 4,7 beziehungsweise 5,0 Sekunden für den Standardsprint von 0 auf 100 km/h (210 km/h Topspeed). Polestar betont übrigens, dass Tierwohl dabei hohe Priorität genieße. Alternativ stehen Materialien aus Recycling-Werkstoffen zur Verfügung, auch der Dachhimmel wird stets aus den Überbleibseln von PET-Flaschen geformt. Dass die Fauteuils ganz schöne Hightech-Geräte sind und Polestar sich hier nicht lumpen lassen würde, war klar. Entspannen bei fünf verschiedenen Massagetypen ist das Motto - kann man machen.
Das große Crossover-SUV ist leichtfüßig
Sogar hier im Hinterland von Madrid auf den Gebirgsstraßen ist das Entspannungsprogramm ein nettes Gimmick. Aber noch faszinierender ist, wie leichtfüßig sich der 2,7-Tonner durch die Kehren zirkeln lässt und dabei ein gewisses Maß an Restkomfort wahrt. Der Punkt geht an die adaptive Zweikammer-Luftfederung, die verdammt viel Arbeit zu bewältigen hat mit den 22-Zöllern. Der dynamischen Art ist der niedrige Schwerpunkt zuträglich durch die Batterien im Fahrzeugboden. Und dank kräftiger Brembo-Bremse kommt der Schwede auch gut wieder zum Stehen, falls die Schubrekuperation einmal nicht ausreichen sollte.
Viel zu wenig Zeit auf der Veranstaltung blieb leider, um das Infotainment genauestens zu inspizieren. Auf den ersten Blick fallen allerdings zwei Dinge auf: Polestar hat optisch ganz eingängige Icons kreiert und betont große Schaltflächen (grundsätzlich basiert das System auf Android Auto). Und es gibt verdammt viel Menü auf dem riesigen Hochformat-Display von mächtigen 14,5 Zoll. Das dauert, bis man den Durchblick hat. Auf Wunsch zieht noch ein Head-up-Display in den Tourer ein. Klar, ist State of the Art.
Apropos Durchblick. Ein großes Panorama-Glasdach ist beim Polestar 3 ebenso gesetzt wie äußerst viel Sensorik. Dazu zählen neun Außenkameras (drei weitere optional) sowie zwölf Ultraschallsensoren plus Radar. Hinzu kommt auf Wunsch noch eine Lidar-Einheit. Weitere optionale Features sind 1,3-Megapixel-LED-Scheinwerfer sowie ein 1610-Watt-Soundsystem mit 25 Lautsprecherboxen. Und wie ist das mit der Praxistauglichkeit? Immerhin schluckt das SUV Gepäck im Äquivalent von 1411 Litern - das ist schon eher ein Lifestyle-Wert. Und 2,2 Tonnen Anhängelast sind auch nur so semiprickelnd. Aber hier befindet sich die Elektromobilität eben noch in der Entwicklung. Auch die Ladeperformance wäre bei einem Auto in dieser Preisklasse ehrlich gesagt noch ausbaufähig. Immerhin hat der Konzern ja schon 800 Volt angekündigt. Der Polestar 3 kann übrigens schon fleißig konfiguriert werden, bevor die Auslieferung der Fahrzeuge in den nächsten Wochen beginnt.
Quelle: ntv.de