
Ghazall Abdolahi vermisst die Zweisamkeit mit denen, deren Gesichter sie gezeichnet hat und die sie nicht ersetzen kann.
(Foto: privat)
Weltweit engagieren sich Künstlerinnen und Künstler gegen das iranische Mullah-Regime. Die Galerie Wentrup zeigt jetzt in Hamburg berührende Porträts von Ghazall Abdolahi: Zarte Zeichnungen von Inhaftierten und Protestierenden machen sich stark für die Probleme im Iran.
Lust auf einen gemeinsamen Kaffee mit Familie, Freundinnen oder Freunden? Sorglos in den Tag hineinleben? Im Iran ein unerfüllbarer Traum. Das Mullah-Regime stiehlt Millionen von Menschen diese simplen, selbstverständlichen Dinge. So sieht es jedenfalls Ghazall Abdolahi bei einem Treffen mit ntv.de in der Galerie Wentrup am Feenteich. Hier in Hamburg werden ihre Porträts von Iranerinnen gezeigt. Es sind Gesichter von mutigen Frauen, die für ihre Freiheit und Rechte aufgestanden sind. Dafür wurden sie eingesperrt, verschleppt, verstümmelt oder ermordet.
Es ist dieser kurze Moment, bei dem die Betrachterin das Gefühl hat, die abgebildete Frau spreche zu ihr. In dieser Verschränkung von Ästhetik und der Erkenntnis, dass es um mehr geht, liegt die Chance der Kunst. Nämlich die Möglichkeit, wachzurütteln und etwas zu bewegen. Die Zeichnungen von Ghazall Abdolahi sind klein, weil sie auf Kaffeefilter gemalt sind.

"Menschen wurden zu gezeichneten Bildern und verblichenen Vorstellungen in meinem Kopf", sagt die Künstlerin.
(Foto: privat)
Kaffeefilter? Ungewöhnlich, aber sie wollte die Kaffeefilter, die sie benutzt hatte, nicht wegwerfen. Daraus entstand ein persönliches Projekt mit Selbstporträts, von denen ihre Mutter ganz begeistert war. Abdolahis Mutter ist Fotojournalistin und politische Aktivistin. Seit zwei Jahren ist sie im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Sie bat ihre Tochter, ihr ein paar der bemalten Filter zu schicken, um sie an der Mauer neben ihrem Bett aufzuhängen. Daraufhin wollten ihre Mithäftlinge ebenfalls gemalt werden. Die Zeichnungen sind teilweise heimlich bei kurzen Besuchen im Gefängnis entstanden. War es nicht schwierig, die bemalten Filter wieder mit rauszunehmen? "Nein, das Wachpersonal interessierte sich nicht für die Zeichnungen auf alten Filtertüten", erzählt Abdolahi.
Vor zwei Monaten konnte Ghazall Abdolahi nach Deutschland fliehen. Seit sie hier ist, lernt sie frei zu reden: "Ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem die Regierung ständig überprüft, was man sagt und tut. Ich weiß, dass ich lange Zeit nicht in meine Heimat zurückkehren werde. Meinen Freunden sage ich, dass ich jede Minute in Freiheit weine." Die Entscheidung, zu gehen, traf sie, um ihre Eltern zu schützen. Ihre Mutter muss noch ein weiteres Jahr in Haft verbringen. Da sie selbst jetzt nicht mehr im Iran ist, kann sie vom Regime nicht als Druckmittel eingesetzt werden. "Meine Mutter kann sagen, dass sie keinen Einfluss auf das hat, was ich tue und sage", so Abdolahi. Als studierte Grafikdesignerin sah sie zudem keine Zukunft in einem Land, in dem es für Kreative kaum möglich ist, etwas an der Staatszensur vorbei zu produzieren.
Hat das nichts mit uns zu tun?
Warum zeigt nun also eine etablierte Hamburger Galerie die Kaffeefilter-Porträts einer unbekannten iranischen Künstlerin? Das Ehepaar Tina und Jan Wentrup will nicht nur Kunst verkaufen, sondern auch eine Plattform für Gespräche bieten. Sie engagieren sich politisch und sozial, aber nicht im aktivistischen Bereich, könnte man ihre Haltung beschreiben: "Wir glauben, dass man durch die Ästhetik und den sinnlichen Umgang auch auf bestimmte Themen aufmerksam machen kann."

"Weltweit werden Frauenrechte nicht beachtet: "Was da passiert, betrifft uns", findet Tina Wentrup.
(Foto: Patricia Parnejad)
Es ist nicht das erste Mal, dass die Wentrups ihre Galerieräume in Berlin oder Hamburg für junge Künstlerinnen und Künstler öffnen. "Letztlich geschieht das immer über persönliche Begegnungen", erläutert Tina Wentrup. "In Berlin traf ich beim International Women's Forum die Produzentin Minu Barati, die über die aktuelle Situation im Iran gesprochen hat. Für mich ein unfassbares Thema - ein Staat, der seine Jugend auslöscht." Über sie kam dann der Kontakt zu Ghazall Abdolahi zustande. Die 28-Jährige zeigte Tina Wentrup ihre zarten Zeichnungen: Die Kaffeefilter, das kleine Format, der Stil zu zeichnen - das ist etwas ganz Besonderes, fand die Galeristin. Die Stärke und Intensität dieser Frauen habe sie sehr berührt und sofort überzeugt. "Das, was im Iran passiert, geschieht auch in anderen Ländern, wie beispielsweise Afghanistan. Nur weil wir hier leben, können wir nicht sagen, das hat nichts mit uns zu tun."
"Sie sind frei und können gehen"
Mit dem Tod der Studentin Masha Amini in Teheraner Polizeigewahrsam rollte die Protestwelle am 16. September 2022 los. Proteste gab es in den vergangenen 40 Jahren, seit die Mullahs die Macht übernommen haben, immer wieder. Dieses Mal aber ist es anders: An "Women. Life. Freedom" beteiligen sich alle Geschlechter, Ethnien und Generationen. Im ganzen Land wird gegen das System und 40 Jahre Unterdrückung protestiert. Das macht den Zorn der Iraner für das Regime so gefährlich. Weltweit gibt es Demonstrationen - mal größer, mal kleiner. Dazu kommt das Internet, in dem Bilder, Videos und Botschaften gepostet und repostet werden. So entsteht Sichtbarkeit, die den Protestierenden die Kraft gibt, nicht aufzugeben. Iranische Künstlerinnen wie Shirin Neshat sorgen außerdem via Instagram und mit Kunstaktionen an der Berliner Nationalgalerie oder in anderen internationalen Kunstinstitutionen für anhaltende Aufmerksamkeit. Schon kleine Zeichen von außen helfen, um die Revolution der Frauen im Iran am Leben zu halten.
Als Ghazall Abdolahi am Flughafen in Teheran mit ihrem Visum für Deutschland kontrolliert wurde, gab der Grenzbeamte den Pass mit folgendem Satz zurück: "Jetzt sind sie frei und können gehen." Es sei angsteinflößend gewesen, so Abdolahi, denn Frauen im Iran sind nicht frei. Voller Wut saß die junge Künstlerin im Flugzeug, ihre emotionale Achterbahnfahrt dauert bis heute an. Sie weiß es zu schätzen, dass sie in Deutschland neue Freunde findet und Unterstützung bekommt. Die Sehnsucht nach dem Iran aber bleibt. Als sie das erste Mal hierzulande an die Öffentlichkeit ging, fragte sie ihre Eltern, was sie erzählen kann, was nicht. Sie meinten, sie solle einfach die Wahrheit sagen. Abdolahis Hoffnung ist unerschütterlich, denn sie glaubt, dass auch aus schlimmsten Zeiten etwas Schönes hervorgeht. Dann sagt Abdolahi traurig, aber bestimmt: "Wenn es zu Ende wäre, wer würde nicht in die eigene Heimat zurückgehen?"
Ghazall Abdolahi ist im Rahmen der Ausstellung "Papier. Salon. III" bis zum 25. Februar in der Galerie Wentrup in Hamburg zu sehen (Besichtigung nach Vereinbarung, mail@wentrupgallery.com). Der Erlös der Bilder geht zur Hälfte an die Künstlerin und an Hawar.help
Quelle: ntv.de