Leben

Aus der Schmoll-Ecke Begrabt mein Herz an der Biegung der Parthe

So will unser Kolumnist nicht enden.

So will unser Kolumnist nicht enden.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Unser Kolumnist kam "zwischen den Jahren" zur Ruhe und überlegte, was aus ihm (noch) werden soll und wie er vom Schreibtisch aus die Welt retten kann. Mal schauen. Sicher ist nur: Kriegsbemalung und Fellmütze mit Büffelhörnern kommen für ihn nicht infrage.

Auch von mir ein herzliches Willkommen im neuen Jahr, verehrte Leser innen und außen, und auch die, die sich gerade im Niemandsland zwischen (dr)innen und (dr)außen befinden, zum Beispiel in einer Raumstation oder auf der Türschwelle ihres Wohnhauses und dort verharren, keinen einzigen Schritt mehr vorankommen, weil sie mit ihrem Kind schimpfen, via Whatsapp von ihrer unerwarteten Millionenerbschaft erfahren haben oder einfach nur gebannt auf diese Kolumne starren und denken, das ist ja wieder mal kongenial/total bekloppt, was der Schmoll da schreibt, oder sich vielleicht fragen: Geht es denn nicht ein bisschen kürzer, gerade im ersten Satz, warum muss der Kerl uns gleich zu Beginn des Jahres überfordern, reichen nicht Trump und das fiese Virus? Ich kann nur sagen: eine völlig berechtigte Frage.

Die Antwort lautet: Ich setze 2021 meine mehr oder weniger gekonnte Scharlatanerie in der Schmoll-Ecke fort und tue weiter so, als könnte ich richtig gut wortdrechseln und sinnhaft Buchstaben aneinanderreihen in der Hoffnung, eines Tages ein Schriftsteller zu sein, damit die ARD aus meinen Werken einen "Film-Event" nach dem anderen drehen lässt. So wie das Ferdinand von Schirach gelingt, den ich aufrichtig beneide. Es liefe dann "Thomas Schmoll - Oh, mein Gott!" Darin ginge es darum, wie ein atheistischer Senior, der sterben will, zum Christentum findet, nun 100 Jahre alt wird, gegen den radikalen Islam kämpft und eine Flugzeugentführung vereitelt, indem er den Terroristen erwürgt. Muss er dafür ins Gefängnis?

Vier Wochen später käme: "Thomas Schmoll - Freunde, das Geständnis", ein Werk über einen Kommissar, der sich mit einem Kriminellen anfreundet, damit dieser verrät, wo er sein Entführungsopfer versteckt hat. Im Anschluss würde "Freunde - Geht mit der Zeit" folgen - ein Drama um ein geläutertes Clan-Mitglied in Berlin-Neukölln, das beschließt, ganz auf kriminelle Machenschaften zu verzichten und lieber für Mindestlohn Büros putzt, statt sächsische Schatzkammern zu plündern. Am Vorabend der Ausstrahlung würde mich Pinar Atalay in den "Tagesthemen" fragen: "Herr Schmoll, warum ist es Ihnen wichtig, gleich zwei Varianten der gestohlenen Goldmünze zu zeigen?" Ich erkläre dann: "In einer Zeit, wo es keine einfachen Antworten mehr gibt, biete ich gleich zwei." Das klingt klug - und ist es natürlich auch. Begeisterung im Volk, das sofort meine Bücher erwirbt.

Viel Wein, bitte

So ging mein Traum in jenen Tagen, die man merkwürdigerweise "zwischen den Jahren" nennt, in denen ich viel nachgedacht habe, was ich im Leben noch tun will. Mein Entschluss: viel Wein trinken, möglichst Große Gewächse - und dann mal gucken. Ich arbeite schon jetzt viel zu viel. Also überlasse ich vorerst das Feld und die Bühne Herrn von Schirach, (dessen erste kurze Erzählbände im Gegensatz zu seinen hochgeföhnten Theaterstücken übrigens echt stark sind). Ich warte auf eine ARD-Event-Serie "Ferdinand von Schirach: Rodeln und Jodeln - Gesetzesbrecher in der Pandemie", deren 280 Folgen hoffentlich schon im Februar kommen und täglich ab 10 Uhr ausgestrahlt werden, damit die Leute nicht draußen herumtollen.

Indem die ARD Menschen an den Fernseher fesselt, kann sie einen Beitrag leisten, Millionen vor dem fiesen Virus, dem Tod und anderen Unsinn, Langeweile und Melancholie zu schützen. Wenn dann auch noch die Hauptrollen mit Nachwuchsschauspielern wie Klaus Maria Brandauer und Bjarne Mädel besetzt werden, damit wenigstens deren Einkommen in diesen schweren Zeiten gesichert sind, steigt sicher die Akzeptanz in der Bevölkerung, höhere Rundfunkgebühren zu zahlen. Die Darsteller sitzen später bei Anne Will und diskutieren mit Markus Söder und Bodo Ramelow, ob Jodeln das fiese Virus verbreitet und man Rodelbahnen, die mehr als 15 Kilometer lang sind, selbst für Anwohner sperren sollte, die auf dem Dorf wohnen und mit dem Schlitten zur Kita oder Arbeit fahren.

Ich schaue extrem selten Fernsehen, aber "zwischen den Jahren" habe ich es getan und endlich mal wieder ausgiebig und wild gezappt. Bernd, das Brot ist wirklich saukomisch. Märchenfiguren bewegten sich ohne Mundschutz in der Sächsischen Schweiz und besiegten böse Zwerge. Neid. "Wann wirst du die Küche kaufen? Wann ist die Energie gut?", fragte eine Frau in Astro TV, die Kontakt zu Engeln und so hat und deshalb die Zukunft voraussagen kann, aber nicht mitbekommen hat, dass in der Gegenwart die Läden zu sind. Vielleicht war es eine Wiederholung, eine Art "Best of Astro TV 2020". Irgendwie klasse, was die Frau gesagt hat, obwohl ich schon wieder alles vergessen habe. Vielleicht rufe ich sie mal an und frage, ob ich das Zeug für ARD-Film-Events habe.

Vielleicht ein Brusttattoo

Sie sehen, die Pause tat mir gut, ich war am Ende des Jahres 2020 ganz schön erschöpft und zu einem Leerdenker mutiert. Aber nun ist mein Kopf wieder voller exzellenter Ideen, wie man die Welt vom Schreibtisch aus retten kann. Die Erde braucht Sehr-Gutmenschen wie mich. Denn bisher spricht nichts dafür, dass 2021 besser wird, der Irrsinn gestoppt werden kann. Exponentiell ist weiterhin der Anstieg der Anspruchshaltung, der Mäkelei und des Verdrusses in der deutschen Bevölkerung, die nun mitbekommen hat, dass aus dem Impfwunder ein Impfdesaster geworden ist und weiterhin erwartet, dass die Politik alles richtig macht. Sonst gibt es Schelte.

Auch einige Leser machen da weiter, wo sie 2020 nicht aufgehört haben. Nach meiner jüngsten, schriftlich verfassten Beschwerde über den Zustand Amerikas und das Trumpel-Tier in Washington ließ mich einer meiner Fans wissen: "Was sind sie wohl für ein geistig minderbemittelter Vollidiot." Ist geistig minderbemittelt und Vollidiot nicht redundant? Ein anderer bedauerte, dass mich meine Mutter nicht abgetrieben hat. Ich könnte ihm antworten, dass sie zwei Totgeburten hatte und glücklich war, mich auf die Welt befördert zu haben, fürchte aber, dass ihn das weder interessieren noch, dass ich ihn damit erreichen würde, weshalb ich Verzicht übe.

Ich könnte mir auch meine Brust tätowieren und mir von meiner kleinen Großnichte - sie hätte sicher viel Spaß daran - Kriegsbemalung ins Gesicht zaubern lassen, eine Fellmütze mit Büffelhörnern aufsetzen, zum Bundestag gehen und sagen: Begrabt mein Herz an der Biegung der Spree. Oder lieber der Parthe in meiner Heimatstadt Leipzig, an deren Ufer ich als Kind gespielt habe, als sie noch versifft war von Chemieabfällen, dass mir noch heute die Galle hochkommt, denke ich daran. Die Ostzone war wirklich übel. Aber so leid mir das für meine liebe Großnichte tut, werde ich auch darauf verzichten, weil ich versuchen will, in Wahnsinnszeiten nicht durchzudrehen.

Quelle: ntv.de

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