Leben

Aus der Schmoll-Ecke Blutsdiverser, lass uns Friedenspfeife rauchen

Gucken Sie sich die beiden nochmal ganz genau an - oft werden sie die nicht mehr zu sehen bekommen.

Gucken Sie sich die beiden nochmal ganz genau an - oft werden sie die nicht mehr zu sehen bekommen.

(Foto: IMAGO/Prod.DB)

Sind Indianerfilme schlecht für uns? Nein. Gibt es nun sogar wokes Gemüse? Nein. Aber dafür viel anderen Unsinn, über den sich unser Kolumnist mal wieder unsinnige Gedanken gemacht hat. Dass das jemand liest, ist ein Unding. Aber lesen Sie selbst.

Hilfe, schrie ich neulich in mich hinein, so laut, dass mir die Lunge schmerzte. Das Ende des Abendlandes naht, ganz und gar unwiderruflich, ratterte es mir durch den Kopf. Jetzt gibt es also auch schon Wokeness in deutschen Küchen. Ich saß mit meinen Freunden Moritz und Volker in einem Etablissement, das sich "Restaurantkneipe" nennt, und schickte mich zum Studium der Speisekarte an, um eine vortreffliche Wahl zu treffen. Dabei stolperte ich über ein Gericht namens "Wokegemüse".

Großer Gott, dachte ich, wie weit geht das noch mit dem Irrsinn? Und was ist überhaupt wokes Gemüse? Eine Speise ohne Kartoffel, Sie wissen, diese von spanischen Kolonialisten aus Südamerika nach Europa verschleppte, kulturelle Aneignung, oder Reis, ebenfalls eine kulturlandschaftliche Aneignung, dieses Mal aus China. Aber zum Glück fiel mir, einem hypersensiblen Sehr-Gutmenschen, rasch auf, dass ich ein E zu viel gelesen hatte und es sich um "Wokgemüse" handelte.

Ein Wok ist laut Wikipedia "eine hohe, durchgehend gewölbte Pfanne, die in der chinesischen sowie der süd- und südostasiatischen Küche zu den wichtigsten Kochutensilien gehört". Sie sehen, so schlimm ist es schon, auch Wikipedia verbreitet Klischees. Wenn man das liest, sieht man ihn gleich vor sich, den Menschen mit chinesischen Gesichtszügen, wie er da so "Wokgemüse mit Hundefleisch" vor sich hinbrutzelt, seine Schüssel schwenkt, ohne an den CO2-Ausstoß zu denken, und überlegt, ob es morgen Haifischflosse oder Fledermaus vom Wuhan-Markt gibt, scheiß auf Corona. So sind sie, die Chinesen. Oder etwa nicht?

Und wir Deutschen? Wir sind nicht besser. Wir machen aus dem Wok ein Sportgerät, mit dem wir Eisrinnen runterfahren. Das nenne ich einmal kulturelle Aneignung der übelsten Art, weshalb ich selbstverständlich meinen tollen Schlitten der Marke Audi benutze, erst recht jetzt, wo das 9-Euro-Ticket abgeschafft wird, was uns in Not geratene Wohlstandsmenschen schwer trifft. Mehr als 100 Millionen Euro haben die Berliner Verkehrsbetriebe Verlust gemacht. Wir ham’s ja (noch).

Nudeln nur noch für Italiener! Oder Chinesen?

Liebe kennt zum Glück keine Grenzen: Wenn Winnetous Schwester scharf ist auf Old Shatterhand, dann soll das so sein!! Winnetou hatte nichts dagegen. Sie hätten sicher süße Kinder bekommen.

Liebe kennt zum Glück keine Grenzen: Wenn Winnetous Schwester scharf ist auf Old Shatterhand, dann soll das so sein!! Winnetou hatte nichts dagegen. Sie hätten sicher süße Kinder bekommen.

(Foto: imago images/Prod.DB)

Übrigens wählte ich Spaghetti mit Zucchini und anderen Gemüsesorten, wobei auch das unter Gesichtspunkten der politischen Korrektheit diskutabel ist, weil es sich bei Zucchinis ebenfalls um eine kulturlandschaftliche Aneignung aus Mittelamerika handelt und Spaghetti-Esserei nun mal das Ding der Italiener ist. Ich liebe Pasta. Aber wer weiß, vielleicht erlebe ich es noch, dass eines Tages nur Italiener Nudeln essen dürfen, weil alles andere eine kulturelle Aneignung wäre. Oder Chinesen. 2005 haben Archäologen in China einen rund 4000 Jahre alten Topf mit Nudeln entdeckt. Sieg für die Volksrepublik!

Dürfen eigentlich weiße Archäologen in China oder Indianerland buddeln oder ist das kulturelle Übergriffigkeit und – im schlimmsten Fall, wenn was gefunden wird – auch Aneignung? Gut, man kann das Gefundene auch dort lassen oder wieder zurückgeben, dann ist die Welt in Ordnung. Ich möchte, dass alle glücklich sind. Manchmal denke ich allerdings, ob meine Selbsteinschätzung, ein Sehr-Gutmensch zu sein, nicht nur Tarnung ist, im besten Fall Selbsttäuschung, damit niemand merkt, was für ein Sehr-Schlechtmensch ich bin. Ich fand Winnetou klasse, habe ihn bewundert. Es gefiel mir, dass er und Old Shatterhand sich verbrüderten, verschwesterten oder verdiversten – null Ahnung, ob die zwei, dem Anschein nach Herren, ihr bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht akzeptierten oder daheim in Frauenkleidern rumliefen oder sich geschlechtsneutral fühlten.

Ich mochte natürlich auch Winnetous ostzonalen Konkurrenten mit dem weitaus komplizierteren Namen "Chingachgook, die große Schlange", ein von den Delawaren aufgezogener Mohikaner. Gedreht wurden die DEFA-Indianerfilme von der künstlerischen Arbeitsgruppe "Roter Kreis". Die Ostzone war bekanntlich voller Rotkreise, Rothäute und Rotgardisten. Und woke ohne Ende. In den DEFA-Indianerfilmen gewannen immer die Unterdrückten und Betroffenen, das waren die Indianer. Die zahlten es den jungen und alten weißen Männern so richtig heim, dass sie als Kolonialisten gekommen waren.

Das Moralwächtertum kinderloser Antirassisten auf Twitter

Ich habe als Kind den Indianern die Daumen gedrückt, damit sie die fiesen Weißen besiegen. Ich war schon immer Gerechtigkeitsfanatiker. Die Filme waren voller Klischees über das Gute und das Böse. Dadurch begriff ich sie leichter. Trotzdem bin ich kein Nazi geworden. Noch nicht mal Rassist. Das lag an meinen Eltern, die mir beibrachten, andere Menschen zu achten und ihnen im Hausflur einen guten Tag zu wünschen, egal wie sie aussahen. Ich glaube, dass Erziehung wichtiger ist als Moralwächtertum kinderloser Antirassisten auf Twitter.

Nein, Winnetou kommt nicht auf den ARD-Index. Das Erste hat die Lizenz für die Filme selbstverständlich nicht wegen "der Klischees" nicht erneut gekauft, sondern weil sie das Geld für Intendanten-Boni und für Kurse braucht, wie man Drehbücher für politisch korrekte Indianerfilme schreibt: "Blutsdiverser, lass uns die Friedenspfeife rauchen. Wir akzeptieren, dass du dein bei Geburt zugewiesenes Geschlecht abstreifen willst, genau wie Chingachgook, die große Schlange, einst seine Schlangenhaut. Und jetzt vertrag dich mit Bonusvater, das große Weichei, wie wir einst deinen Stiefvater nannten."

Bitte achten Sie auf die Klischees! Kein Franzose darf mehr Baguette essen, Italiener keine Spaghetti und Spanier nicht mehr "Olé" rufen, damit sich das nicht in den Köpfen unserer Kinder abspeichert. Wie Fortschritt in der Filmkunst geht, zeigte die Netflix-Verfilmung von Jane Austens "Persuasion" ("Überredung"), die aus dem Klassiker, der im Original in einer Ständegesellschaft voller Vorurteile spielt, einen Hort der Diversität und des Feminismus machte. Das ist nahe an der Geschichtsverfälschung – aber politisch super. Kunst dient nicht dem Nachdenken, sondern ist dazu da, Menschen zum Guten zu erziehen.

Bei mir hat das geklappt. Ich habe als Kind voll gerne Cowboy gespielt, nie Indianer, weil ich einen herrlichen Colt hatte, den mir meine Mutter in Polen gekauft hatte, wenn ich mich recht entsinne, für sogenanntes Westgeld. Der war der Hit, sah so echt aus, dass ich damit eine Bank hätte überfallen können. Logisch, ich war ein Überläufer, habe mich mit den Rothäuten gegen das Böse verbündet, an der Seite der Indianer gekämpft im Interesse des Guten – und immer gesiegt. Ich glaube, dass ich doch von mir behaupten kann, ein Sehr-Gutmensch zu sein – und das schon von Kindesbeinen an.

Quelle: ntv.de

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