Leben

Mit Kindern über Rassismus reden "Das ist ein Mensch wie du"

Kinder begegnen der Welt zunächst vorurteilsfrei und offen.

Kinder begegnen der Welt zunächst vorurteilsfrei und offen.

(Foto: imago images/McPHOTO)

Viele der heutigen Eltern sind selbst noch mit rassistischen Vorurteilen aufgewachsen - und möchten es anders machen. Doch wie spricht man mit Kindern über Rassismus? Autorin und Unternehmerin Olaolu Fajembola glaubt, dass es nicht ohne die Anerkennung unangenehmer Wahrheiten geht und dann doch viel einfacher ist, als man denkt.

Können Kinder schon rassistisch sein?

Olaolu Fajembola: Wenn wir von Rassismus sprechen, meinen wir den angelernten Wissensvorrat, eine gelernte Bewertung von Menschen. Studien zeigen, dass Kinder schon im Alter zwischen drei und fünf Jahren rassistische Bewertungen gelernt haben können und dann auch danach handeln. Aber ich würde immer zwischen einer rassistischen Handlung und einer rassistischen Haltung unterscheiden.

Was ist der Unterschied?

Wir unterscheiden zwischen einer rassistischen Handlung, wenn es sich beispielsweise um erlerntes, unterbewusstes Wissen und daraus abgeleitete Handlungen handelt, die jedoch nicht intensional darauf abzielen, Menschen abzuwerten oder zu verletzten. Eine rassistische Haltung bewerten wir als eine Haltung, die um dieses rassistische Wissen weiß und es bewusst einsetzt, um Menschen darauf basierend abzuwerten, zu verletzen und auszugrenzen.

Haben dann Eltern aktiv rassistische Vorurteile vermittelt?

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Vor allem bei kleinen Kindern kommt es natürlich von den Eltern oder aus dem Kindergarten, aus der direkten Umwelt eben. Das muss nicht heißen, dass es aktiv vermittelt worden ist. Aber wenn Kinder in ihren Familien, ihren Büchern und auch noch im Kindergarten nur Stereotype sehen und latente Bewertungen angelegt werden, dann werden sie das übernehmen. Das betrifft nicht nur Schwarze Menschen, sondern auch andere gesellschaftliche Gruppen. Das ist ja genauso, wenn tradierte Geschlechterrollen vorgelebt werden. Wer nie eine Schwarze Person gesehen hat, weiß erstmal nichts über sie und liest eine Rolle in sie hinein, die man sich vorstellen kann.

Die wenigsten Menschen halten sich selbst für rassistisch, haben aber trotzdem einige dieser Denkmuster. Woran könnte man das merken?

Es ist für alle Menschen unangenehm, herauszufinden, dass man bestimmte Wissenslücken hat, die für andere Allgemeinwissen sind. Deshalb könnte ich mich fragen, welches Wissen habe ich und woher kommt das? Man kann sicher sagen, dass die Werke von Johann Wolfgang von Goethe zum Bildungskanon gehören, aber kenne ich auch Schwarze oder Autor:innen of Color, die nicht nur über ihre vermeintliche Heimat, sondern auch über ihre deutsche Wirklichkeit geschrieben haben? Das ist ja deutsche Literatur, die in Deutschland entsteht mit bestimmten Stimmungen, Sprachen und Perspektiven. Welches Wissen habe ich zur Arbeitsmigration der 1960er-Jahre? Das ist viel zu wenig als relevantes Wissen in unseren Bildungskanon eingeflossen. Es ist aber wichtig, diversitätssensibles und rassismuskritisches Wissen zu erwerben. Das müsste noch viel mehr Teil des Bildungssystems werden. So wird ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass bestimmte Menschengruppen zur deutschen Gesellschaft dazugehören. Solange wir das als anders oder außerhalb bewerten, besteht immer auch die Gefahr, es rassistisch zu sehen.

Welche Rolle spielen bei kleinen Kindern in diesem Zusammenhang Spielzeug und auch Bücher?

Sie sind natürlich sehr wichtig. Bei Kindern, die noch nicht lesen können, geschieht ganz viel Lernen auf der visuellen Ebene. Wenn es also in einem Kinderbuch eine Zeichnung gibt, auf der Kinder mit Behinderungen oder Kinder of Color abgebildet sind, dann erfahren sie von deren Existenz und nehmen sie als normal wahr. Und wenn das nicht nur eine Bildfläche ist, sondern diese Kinder auch Namen erhalten, Protagonisten einer Geschichte und ihre Perspektiven abgebildet sind, dann werden das Identifikationsfiguren. Ich gewöhne mich auch an Namen, die nicht nur Sophie oder Paul sind. Das ist ein Einstieg, um ein Gefühl dafür zu bekommen, dass es unterschiedliche Menschen mit ganz verschiedenen Realitäten gibt.

Welchen Effekt hat das?

Wenn ein Kind mit dieser Vorerfahrung dann im Kindergarten oder in der Schule auf ein Schwarzes Kind trifft, denkt es beispielsweise nicht: Huch, du musst ja irgendwie angemalt oder aus Schokolade sein. Es muss auch nicht voyeuristisch die Haare dieses Kindes anfassen, weil es gar nicht glauben kann, dass es auch solche Haare gibt. Kinder of Color erleben ganz oft, dass sie zum Objekt gemacht werden. Stattdessen ist da das Wissen, das ist ein Mensch wie du und ich mit eigenen Grenzen. Die Kinder erleben sich und den anderen einfach als gleichwertig. Keiner muss sich als nicht richtig fühlen, das sind alles Kinder mit Eltern und Lieblingsspielzeugen, die erleben ihre Kitawelten, haben Freunde und spielen.

Welche Gespräche kann man zur Sensibilisierung führen?

Es ist immer ein Anfang über Hautfarben zu sprechen. Deshalb heißt unser Buch auch "Gib mir mal die Hautfarbe". Man kann sagen, da ist ein Schwarzes Kind, guck mal, wir sind weiß. Warum ist die Haut, wie sie ist? Da ist Melanin drin. Dann normalisiert sich Hautfarbe. Haut ist unterschiedlich, einer wird schnell braun, Papa hat Sommersprossen, die Oma wird immer krebsrot in der Sonne. Auch weiße Haut ist ganz unterschiedlich. Und dann ist das Kind ja auch nicht nur schwarz, es ist vielleicht ein Mädchen wie du, isst gern Pizza und hat diese Frisur. Es ist einfach ein Mensch, da gibt es keine Bewertung dazu.

Gibt es einen Unterschied zwischen Großstädten und dem ländlichen Raum?

Unsere Firma Tebalou ist ja ein Versand für Vielfalt im Spielzimmer. Bei Kunden aus dem ländlichen Raum begegnen uns schon noch mehr Menschen, die sagen, dass ihr Umfeld sehr homogen weiß ist. Aber wir sehen auch dort Diversitätsaspekte. Da gibt es vielleicht eine queere oder eine Alleinerziehendenfamilie oder ein Kind, das eine Behinderung hat. Das ist vielleicht nicht sofort sichtbar, ist aber genauso wichtig. Und kein Mensch bleibt ja vermutlich für immer in diesem Mikrokosmos. Eines Tages wird jeder Mensch auf eine Person treffen, die er oder sie nicht einordnen kann. Nur weil es jetzt nicht stattfindet, heißt es nicht, dass dieses Wissen für diese Welt im 21. Jahrhundert nicht relevant ist. Wenn es mich nicht betrifft und ich alles so mache wie immer, unterstütze ich bestehende Vorurteile und kann auch kein Verbündeter sein. Ich bin ja trotzdem nicht davon befreit, mich zu diesen Themen zu bilden.

Das hat ja schon bei Black Lives Matter eine große Rolle gespielt, dass People of Color es zunehmend ablehnen, diese Bildungsarbeit zu übernehmen.

Das war sicher ein Meilenstein, zu erkennen, dass es unterschiedliche Erlebniswelten gibt. Dass es auch in unserer Gesellschaft rassistische Strukturen gibt. Und das ist auch nicht erst seit 2020 so. Wir werden auch gefragt, wo man ansetzen kann. Und wir sagen auch, es ist nicht unsere Aufgabe, euch aufzuklären. Wenn ich jede Frage beantworte, ist das immer wieder eine Retraumatisierung. Ich soll in diese für mich schwierigen Momente hineingehen, damit eine andere Person eine emotionale Verbindung dazu herstellen kann. Es ist ganz egal, was ich erlebt habe, die individuelle Erfahrung sollte nicht der Ausgangspunkt sein, um über Rassismus zu sprechen. Ich sage immer: Erkenne an, dass es existiert und lass uns darüber sprechen, was die nächsten Schritte sind. Es gibt viele Materialien, Podcasts, Instagram, Bücher, Vereine und Initiativen zu antirassistischer Erziehung. Wenn Menschen Interesse daran haben, können sie sich dort informieren.

Aber auch ein Verbündeter zu sein, ist nicht immer einfach. Oft schleichen sich da so paternalistische Untertöne mit ein.

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Ja, man ist dann schon auch der Gute. Aber damit ist das Spotlight wieder auf dir und deiner Position. Es ist natürlich auch kontextabhängig, wie wir, wenn Rassismus passiert, damit umgehen. In bestimmten Momenten gehe ich in eine Kampfhaltung, in anderen habe ich keine Lust auf eine Grundsatzdebatte, um eine ignorante Person zu überzeugen oder auch bei Betroffenheit zu trösten. Mir ist es am liebsten, wenn ich sagen kann, das war jetzt gerade rassistisch und das war's. Und die andere Person hält es aus und lernt. Es gibt ja viele Bezeichnungen, die man bei jedem Menschen respektvoll erfragen kann. Eine möchte Schwarz genannt werden, ein anderer PoC, die nächste definiert sich als kenianisch-schweizerisch, wieder eine andere ist fein mit einem rassistischen Begriff. Man kann nicht eine Einzelperson benutzen, um eine so heterogene Gruppe zu beschreiben.

Mit Olaolu Fajembola sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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