Erziehung und Diversität Was Eltern gegen Rassismus tun können
21.06.2020, 16:45 Uhr
Jeder Mensch wird ohne Vorurteile geboren.
(Foto: imago images/Greatstock)
Für Schwarze Eltern sind Erfahrungen mit Diskriminierung oft Teil des Alltags. Viele weiße Eltern nehmen die Problematik bisher kaum wahr. Doch auf Spielplätzen und in Kindergruppen ist die Erkenntnis angekommen, dass etwas passieren muss.
Der gewaltsame Tod von George Floyd hat auch in Deutschland den Rassismus gegen Schwarze Menschen erneut in den Fokus gerückt. Viele Eltern fragen sich, wie sie mit ihren Kindern über Rassismus sprechen können. Das Thema ist auch in der deutschen Elternblog-Welt angekommen. Auf dem Online-Magazin Ohhhmhhh.de schildert beispielsweise die Mutter Aileen Puhlmann, wie ihre Tochter in einer Hamburger Kita von anderen Kindern hörte, sie "sähe aus wie Schokolade und hätte einen komischen Körper". Sie beschreibt, wie dieses Verhalten von der Erzieherin heruntergespielt wurde, als sie es ansprach, mit der Begründung, Kinder könnten nicht rassistisch sein.

Kinder haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden - bis es ihnen aberzogen wird.
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Dass das nicht stimmt, ist für viele Schwarze Eltern in Deutschland eine alltägliche Erfahrung. Dass dies erst jetzt richtig wahrgenommen wird, können viele kaum glauben. Wie omnipräsent Rassismus in Kitas und Schulen ist, zeigt auch die Nachfrage nach den Seminaren von Autorin Tupoka Ogette. Sie bietet unter anderem den Workshop "Schwarze Kids stärken - Ein Forum für Eltern Schwarzer Kinder" an. Dieser sei fast immer ausgebucht, schreibt die Diversitäts-Trainerin in ihrer Kolumne "Perspektivwechsel" im MiGazin. Darin schildert sie viele Beispiele von Rassismus in der Schule - ihre Erfahrung zeige, dass es sich dabei eben nicht um ein individuelles, sondern strukturelles Problem handele.
Mit Kindern über Rassismus reden
Auch weiße Eltern treibt das Thema um, in den sozialen Netzwerken fragen viele nach Büchern, die Rassismus behandeln oder deren Protagonisten nicht nur weiß sind. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Josephine Apraku, die mit Jule Bönkost das Institut für diskriminierungsfreie Bildung in Berlin leitet. Sie plädiert dafür, Kindern Diversität vorzuleben und eigene Vorurteile immer wieder zu reflektieren. Damit könne man eigentlich nicht zeitig genug beginnen, so Apraku. "Kinder begreifen schon sehr früh, wo sie in der Hierarchie der Gesellschaft stehen - und Rassismus wird meist unbewusst weitergegeben, durch die Normvorstellungen und Haltungen von Bezugspersonen. Oft geschieht das ohne böse Absicht, aber das macht es nicht weniger problematisch. Auch Medien - divers besetzte Filme, in denen der Bösewicht von einem Schwarzen Menschen gespielt wird - haben einen Einfluss", sagt die Bildungsexpertin.
Weiße Eltern sollten sich vor Augen zu führen, dass sie niemals neutral sind, sondern ihre Position mit Privilegien einhergeht. "Es wäre hilfreich, wenn auch diese Eltern Rassismus in Kitas und Schulen thematisieren und dies nicht den Betroffenen überlassen", so Apraku. Mitunter gehöre auch die eigene Kindheitslektüre, so geliebt sie auch sein mag, auf den Prüfstand. Apraku rät dazu, Kindern Bücher, die rassistische Normen reproduzieren, nicht unkommentiert vorzulesen. "Sondern sich zum Beispiel zu fragen, was eine Erzählung wie die von Pippi Langstrumpf, in der eine weiße Person in die Südsee fährt und dort Schwarze Menschen beherrscht, impliziert." Man könnte dann zum Beispiel erzählen, dass Pippis Vater war ursprünglich der "Negerkönig", der dann in "Südseekönig" umbenannt wurde. Pippi allerdings wird in der Frauenbewegung sowieso als Vorbild für Mädchen herangezogen, die bitte jeden Spaß der Welt haben dürfen. Sie gilt als Erfinderin des Anarchismus und des Punk. "Und dann kann man natürlich auch offen für neue Bücher zu sein, die Vielfalt abbilden und dem Kind eine andere Normalität vermitteln", so Apraku. Kinderbücher mit diversen Figuren könnten Vielfalt auch dann vermitteln, wenn das Kind in einem mehrheitlich weißen Umfeld lebt.
Offener Blick auf die Welt
Bücher mit Schwarzen Superhelden, Memory-Spiele mit unterschiedlichen Familienkonstellationen und Stifte mit Hautfarben in allen Schattierungen gibt es im Online-Shop Tebalou. Diesen haben zwei Mütter gegründet: Olaolu Fajembola und Tebogo Niminde-Dundadengar. Die Kulturwissenschaftlerin und die Psychologin sind beide Schwarze, die im Deutschland der achtziger Jahre aufgewachsen sind, ohne Kinderbücher, in denen Mädchen vorkamen, die wie sie aussahen.
Mit ihrem Shop wollten sie Eltern die Möglichkeit bieten, solche Produkte ohne lange Recherche und gebündelt zu finden, denn das ist auch heute noch mühsam. "Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass repräsentiert zu werden - in Büchern, Filmen, in der Spielzeugwelt - einen Einfluss auf das Selbstverständnis von Menschen hat. Es ist das existenzielle Bedürfnis jedes Menschen, sich in einer Gesellschaft gesehen und mitgemeint zu fühlen. In Deutschland gibt es auf dem Kinderbuch-Markt noch riesigen Handlungsbedarf. Nicht nur Schwarze Menschen, auch Moslems oder asiatische Kinder kommen noch viel zu selten in Büchern vor", sagt Fajembola.
Die Mutter einer fünfjährigen Tochter beschreibt Rassismus als ein durchgehendes Thema in der Erziehung. "Für uns Schwarze Menschen ist die Frage, wann wir anfangen, mit unseren Kindern über Rassismus zu sprechen, geradezu naiv. Wir haben ja nicht die Wahl - oft erleben wir als Eltern schon im Babyalter, dass das Kind mit verniedlichen, aber rassistischen Begriffen angesprochen wird. Das ist eine brutale Erfahrung. Wir reagieren auf den Rassismus, den wir erleben - wann das ist, können wir uns nicht aussuchen", sagt Fajembola.
So gebe es für sie als Schwarze immer noch Gegenden in Deutschland, die sie nicht oder nur mit Bauchschmerzen aufsucht. "Ich kann nicht einfach unkritisch von den Seen in Brandenburg schwärmen, denn wenn wir einen Ausflug dahin machen, dann überlegen wir uns das immer noch gut. Wir leben mit No-Go-Areas, die weiße Menschen gar nicht als solche wahrnehmen. Und nach Anschlägen wie dem in Hanau stellt meine Tochter mir Fragen, die mir im Herzen weh tun, weil ich weiß, dass ich ihr den kindlichen Glauben daran, dass alle Menschen gut sind, nehmen muss, um sie auf die Realität vorzubereiten", sagt die Kulturwissenschaftlerin.
Nicht reflexhaft abwehren
Wenn weiße Eltern diese Realität anerkennen würden, anstatt sie zu bestreiten, sei schon viel gewonnen, sagt sie. "Ich würde mir wünschen, dass sie eben nicht sagen: Mein Kind hat das nicht so gemeint. Viele reagieren beim Thema Rassismus unglaublich emotional und wehren den Vorwurf reflexhaft ab. Wenn man uns zuhört, ernst nimmt und versucht, nachzuvollziehen, wieso sich das eigene Kind rassistisch verhalten hat, wäre schon viel getan. Der nächste Schritt ist es, mit dem Kind zu sprechen - genauso, wie wir immer wieder mit unseren Kindern reden müssen, wenn sie Rassismus erleben und von anderen verletzt, beschimpft oder ausgeschlossen werden", sagt Fajembola.
Menschen seien eben nicht gleich - Kindern dies zu vermitteln, greife zu kurz. Sie seien gleichwertig, aber manche würden diskriminiert, andere eben nicht. Gerade Dreijährige hätten ein riesiges Gerechtigkeitsgefühl - ein sehr gutes Alter, um mit solchen Gesprächen anzufangen, denn oft seien die Kinder richtiggehend empört, wenn sie begriffen haben, was Rassismus ist, und wollen es besser machen.
Und wie reagieren Eltern richtig, deren Kinder Rassismus erlebt haben? Bildungsexpertin Apraku ist mit allgemeinen Empfehlungen hier vorsichtig, denn das sei je nach Kind und individueller Situation sehr unterschiedlich. Medien, welche die eigene Identität widerspiegeln und positive Anknüpfungspunkte bieten, könnten Schwarze Kinder ebenso bestärken wie Spielgruppen mit anderen People of Colour, die ein Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Fajembola rät aus ihrer Erfahrung als Mutter, dem Kind zu vermitteln, dass es gut ist, wie es ist und das Geschehene nichts mit ihm zu tun hat. "Und auch präzise zu benennen, dass es Rassismus ist, wenn es beim Spielen wegen seines Aussehens ausgeschlossen wird."
Quelle: ntv.de