Leben

Vom Gulag in den Fälscher-Olymp Die Mona Lisa für jedermann

Eugen (l.) und Michael Posin bei der Arbeit: Sie lassen das berühmte Gemälde "Die Geburt der Venus" neu entstehen.

Eugen (l.) und Michael Posin bei der Arbeit: Sie lassen das berühmte Gemälde "Die Geburt der Venus" neu entstehen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Gebrüder Posin gehören zu den weltweit besten Fälschern alter Meister. Dabei kosten ihre Werke nur einen Bruchteil dessen, was die Originale wert sind. Ihre neue Mona Lisa ist so gut gelungen, dass sie sie fast nicht mehr hergeben wollen.

Der schmucklosen Außenfassade in der Wipperstraße in Berlin-Neukölln ist nicht anzusehen, dass sich hinter ihr ein Kunstsalon verbirgt. Nur ein kleines Schild an der Eingangstür weist darauf hin, dass Kunstliebhaber bei den Posins perfekte Duplikate von Meisterwerken aus den Epochen der letzten 500 Jahre in Auftrag geben können. Geöffnet wird generell erst um 18 Uhr. Die drei Brüder gehören zu den nachtaktiven Künstlern. Und sie haben keine Zeit zu verlieren.

Erinnern ein bisschen an die Bee Gees: Die Gebrüder Posin - Eugen, Michael und Semjon (v.l.).

Erinnern ein bisschen an die Bee Gees: Die Gebrüder Posin - Eugen, Michael und Semjon (v.l.).

(Foto: picture alliance / dpa)

Auf die Frage nach seinem Befinden antwortet Eugen Posin mit zwei Gegenfragen: "Wie meinen Sie das? Geschäftlich oder gesundheitlich?" Dann antwortet er auf beide: "Es geht mir gut, aber wir haben so viel zu tun, dass wir Angst haben, in die Auftragsbücher zu schauen. Wir vergessen niemanden, aber es dauert seine Zeit." Die Frage nach dem Privatleben hat sich damit erübrigt.

Warum sie ihr Schaffen nicht schon längst in einer schickeren Gegend präsentieren? Ganz einfach: Es gibt kaum Laufkundschaft, das Geschäft wird meist digital abgewickelt. Kunden aus aller Welt kontaktieren die Künstler per Mail und erst wenn die Posins den Auftrag annehmen, wird der Preis verhandelt. "Wir sehen unsere Kunden überwiegend nicht", sagt der 71-Jährige. "Wir bekommen den Auftrag, schicken die Bilder weg und es ist noch nie passiert, dass man uns nicht bezahlt hat." Wie? Keine Vorkasse? "Man muss Vertrauen haben", antwortet Eugen. Das Geld scheint ihm gar nicht so wichtig.

Trotzdem ist das Geschäft mit gefälschter Kunst einträglich. Die Venus von Botticelli ging vor zwei Jahren für 15.000 Euro auf die Reise nach Italien. Ein echtes Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass noch nicht einmal der Versicherungswert des Originals bekannt ist. Die goldene Adele, eines der berühmtesten Werke von Gustav Klimt, ist da günstiger. Sie erzielte 2006 auf dem freien Markt die Summe von 100 Millionen Euro und hängt heute in der Neuen Galerie in Manhattan. Im Kunstsalon Posin wurde das Porträt für 5800 Euro verkauft, "aber das war ein Freundschaftspreis". Bilder von August Macke oder Franz Marc sind schon ab 1000 Euro zu haben - für die Originale müsste man ein paar Millionen hinblättern.

"Wir haben niemanden mehr"

Mittlerweile sind auch Michael und Semjon Posin im Kunstsalon eingetroffen. Ähnlich sehen sich die drei Brüder nicht, nur den unverkennbaren slawischen Akzent haben sie gemeinsam. Sie wirken ein bisschen wie die russische Version der Bee Gees. Und tatsächlich sind sie wie die drei Gibb-Brüder in den 1940er-Jahren geboren. Semjon präsentiert stolz seine neueste Errungenschaft: eine Digitalkamera, die aussieht wie eine Leica. In seiner Kindheit gab es in der UdSSR Leica-Kopien der Marke Zorki. Heimweh nach Mütterchen Russland hat er trotzdem nicht. "Warum?", fragt Semjon. "Wir haben niemanden mehr. Vater, Mutter, Onkel, Tanten, alle tot."

Im Keller ihres Salons haben die Posins eine Gefängniszelle nachgebaut. Sie wuchsen in einem Gulag auf.

Im Keller ihres Salons haben die Posins eine Gefängniszelle nachgebaut. Sie wuchsen in einem Gulag auf.

(Foto: picture alliance / dpa)

Aufgewachsen sind die Posins in Sibirien, dorthin hatte Stalin ihren Vater verbannt. Der berüchtigte Gulag, das sowjetische System von Straf- und Arbeitslagern, in dem allein von 1930 bis 1953 18 Millionen Menschen inhaftiert waren und 2,7 Millionen von ihnen ums Leben kamen, war 15 Jahre lang ihr Zuhause. "Man muss so nicht leben", sagt Eugen. "Das ist gegen die Menschenwürde. Ich habe immer gedacht, dass da etwas nicht stimmt, sogar schon als Kind. Nicht jeder ist ein Idiot von Geburt an und man kann Menschen nicht ewig wie Idioten behandeln." Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Wir haben in Leningrad studiert. Das war das einzig Positive. Was dort heute passiert, interessiert mich nicht. Ich bin glücklich, dass ich hier bin."

1984 kam zuerst Eugen nach Deutschland, er war aus der Sowjetunion ausgewiesen worden, seine Brüder folgten einige Jahre später. Gemeinsam widmen sich die drei seitdem den Werken der großen Meister. "Wir haben inoffizielle Ausstellungen gemacht, aber offizielle nicht", sagt Semjon. "Wir wollten das nicht. Die Art von Kunst, die wir malen sollten, hat uns nicht gefallen." Von Beginn an halten sich die drei Brüder an die Vorschriften des legalen Fälschens. Demnach muss der Künstler seit mindestens 70 Jahren tot sein, das Bild darf nicht das gleiche Format haben wie das Original und auf der Rückseite muss es vom Fälscher signiert sein. Die Bezeichnung "Fälscher" hören die Posins allerdings gar nicht gerne, denn sie beschäftigen sich bereits vor dem ersten Pinselstrich intensiv mit den jeweiligen Künstlern, Techniken und Epochen. So lassen sie das Werk dann "wieder neu entstehen".

Die Mona Lisa ist keine Frau

Ein Bild von Leonardo da Vinci hat es den Posins besonders angetan. Mehr als 30 Mal waren Eugen, Michael und Semjon schon in Paris, um das Geheimnis der Mona Lisa zu ergründen. Erst 2017 standen sie wieder in der Schlange im Louvre, dabei hängt in ihrer Galerie längst eine nahezu perfekte Version des weltberühmten Gemäldes. Und die geben sie nicht her - genau wie Leonardo da Vinci, der seine Mona Lisa bis zu seinem Tod hütete wie einen Schatz. Nebenan im Atelier steht eine fast fertige Auftragsarbeit, die dem Original ebenfalls bis aufs Haar gleicht. Einem Kunstliebhaber aus Deutschland ist sie 7000 Euro wert. "Ehrlich gesagt, will ich sie gar nicht abgeben, aber der Kunde wartet schon einige Jahre", sagt Eugen. "Von solchen Bildern trennt man sich nicht besonders gerne."

Das Porträt "Adele Bloch-Bauer I" brachte auf dem freien Markt 100 Millionen Euro ein - bei den Posins kostet es 5800 Euro.

Das Porträt "Adele Bloch-Bauer I" brachte auf dem freien Markt 100 Millionen Euro ein - bei den Posins kostet es 5800 Euro.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Ob Tempera oder Ölfarben, ob Früh- oder Hochrenaissance, der Respekt vor dem Handwerk verlangt höchste Authentizität. Die Posins sezieren ein Bild gedanklich Schicht für Schicht und kommen so dem kreativen Erschaffungsprozess, wie er ursprünglich stattgefunden hat, langsam auf die Spur. "Ich kann die Reihenfolge nachvollziehen, wie ein Bild gemacht wurde", sagt Eugen. "Bei den Italienern sieht man oft, dass sie korrigiert haben, während sie schon mit Farbe gearbeitet haben. Das gibt es bei der Mona Lisa und auch bei der Sixtinischen Madonna (von Raffael, Anm.d.Red.). Nur mit Technik kommt man da nicht weit. Man braucht Erfahrung und man muss das erfühlen können."

Genau dieses "Gefühl" haben die Posins ihrer Ansicht nach dem Heer der chinesischen Kopisten voraus. "In China arbeiten sie nicht nach den Prinzipien der alten Meister", erklärt Eugen. "Sie malen nach Zahlen, von einer Ecke zur anderen." Trotzdem seien auch diese Bilder nicht billig. "Unsere Kunden würden so was nicht mal umsonst haben wollen."

Dem Rätsel Leonardo da Vincis auf der Spur

Solange die Brüder mit dem Ergebnis einer Arbeit nicht zufrieden sind, liefern sie nicht aus. Das kann mitunter schon mal drei Jahre dauern - so war es zumindest bei der Sixtinischen Madonna, die der bekennende Raffael-Fan Gerold Schellstede in Auftrag gegeben hat. Der Unternehmer aus Großräschen in Brandenburg kennt das Prozedere schon: Er besitzt rund 200 Gemälde der Posins - darunter auch eine Mona Lisa - und gehört zu den Großabnehmern der Posins. An die Arbeit an der Sixtinischen Madonna, die als die schönste Frau der Kunstgeschichte gilt, erinnert sich Eugen ganz genau: "Sie hat diesen zeitlosen Gesichtsausdruck und sie schwebt auf den Betrachter zu. Sie ist keine Frau, sie ist mehr ein Wesen- genau wie die Mona Lisa. Man kann an solchen Bildern ewig weiterarbeiten."

Jahrhundertelange Forschungen haben noch nicht klären können, wer der Mona Lisa als Vorbild diente. Leonardo da Vinci hinterließ keine Skizzen, die Aufschluss über Entstehungszeitpunkt und -geschichte geben könnten. Einige Experten glauben, dass es sich um das Porträt von Lisa del Giocondo handelt, der Frau eines florentinischen Seidenhändlers. Andere vermuten, es sei Pacifica Brandani, eine Geliebte von Giuliano di Piero de' Medici. Und wieder andere behaupten, in der Mona Lisa auch die Gesichtszüge von Gian Giacomo Caprotti erkennen zu können, einem Schüler von Leonardo, von dem gemunkelt wird, er sei sein Liebhaber gewesen. Der Meister nannte ihn liebevoll "mon Salaj".

Doch das Rätsel um das berühmteste Gemälde der Welt bleibt trotz akribischer Forschung und modernster Analysemethoden ungelöst. "Wir wissen es auch nicht", beteuern die Gebrüder Posin, aber das Wesen und die Tiefe des rätselhaften Antlitzes zu ergründen, scheint ihre Lebensaufgabe zu sein. Statt mit Röntgengerät und Infrarot versuchen sie es mit Pinsel und Ölfarbe. Und wenn sie dem großen Mysterium wieder ein Stückchen näher gekommen sind, wagen sie sich erneut an ihre Mona Lisa. "Kann sein, dass wir demnächst eine Kleinigkeit machen, eine kleine Veränderung", sagt Eugen. "Aber das ist noch nicht sicher."

Quelle: ntv.de

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