Fest-Lockdown in Seiffen Ein Weihnachtsdorf im Ausnahmezustand
11.12.2020, 18:12 Uhr
Seiffen ist die Stadt gewordene Weihnachtsidylle.
(Foto: Nico Schimmelpfennig)
Die berühmte "Seiffener Weihnacht" ist abgesagt, nun müssen auch die Geschäfte der Spielzeugmacher in dem sächsischen Örtchen schließen - der Freistaat Sachsen geht ab Montag in den harten Lockdown. Und doch übt man sich dort in Optimismus.
Wenn das Erzgebirge die Weihnachtsregion Deutschlands ist, dann ist das kleine Örtchen Seiffen ihr Herzstück. Denn in den Wochen vor dem Fest verwandelt sich das beschauliche 2200-Seelen-Dorf in einen einzigen großen Weihnachtsmarkt. Durch die Straßen tönen die Klänge von Adventskonzerten, die achteckige Dorfkirche, die zahlreiche Schwibbögen ziert, ist hell erleuchtet, und an jedem Wochenende ziehen Veranstaltungen wie die "Große Bergparade" oder der "Hutzennachmittag" Besucher aus aller Welt an - bis zu 100.000 sind es jedes Jahr. Noch vor wenigen Wochen warb die Gemeinde für ihre "Seiffener Weihnacht", die in diesem Jahr ihr 30. Jubiläum gefeiert hätte. Nun steht auf der Homepage des Dorfs nur noch ein nüchterner Hinweis des Bürgermeisters Martin Wittig: Sämtliche Veranstaltungen sind abgesagt, die "Seiffener Weihnacht" entfällt.
Für den kleinen Ort im Erzgebirge ein herber Schlag. Die Adventstage und das Weihnachtsfest sind für die Bürger identitätsstiftend, so Wittig im Gespräch mit ntv.de. "Im Erzgebirge wächst man mit Lichterglanz und Räucherkerzen auf. Das Fest ist in unserer DNA verhaftet. Die Holzkunst, die Nussknacker, die Schwibbögen - sie sind für uns auch eine Verbindung zu unseren Ahnen und unseren Wurzeln, die in dieser Region sehr tief gehen", sagt er.
Weihnachten als Lebensinhalt
Seiffen ist Weihnachten pur. Das ganze Jahr über arbeiten kunsthandwerkliche Betriebe auf das Fest zu. Bundesweit gibt es hier die einzige Schule, an der man noch den Beruf des Holzspielzeugmachers lernen kann. "In unserem Dorf spielt Weihnachten im Grunde das ganze Jahr über eine wichtige Rolle, auch wirtschaftlich", so Wittig, der an die Seiffener Weihnacht Kindheitserinnerungen knüpft. Mit seinen Eltern besuchte der CDU-Politiker schon als kleiner Bub, der im benachbarten Marienberg aufwuchs, die Seiffener Handwerker.
Auch die gelernte Holzspielzeugmacherin Jenny Mattheß, die heute die Manufaktur Klaus Kolbe leitet, ist mit dem erzgebirgischen Weihnachtszauber aufgewachsen. Sie saß schon als kleines Mädchen in der Werkstatt ihres Großvaters, der den Betrieb nach der Wende gegründet hatte, und bastelte mit den Holzabfällen. Heute leitet sie das Unternehmen mit 15 Mitarbeitern, das rund 6000 Schwibbögen im Jahr fertigt und in die ganze Welt exportiert, und führt das Werk ihres Opas weiter. "Er war unwahrscheinlich kreativ und recherchierte minutiös für jeden Schwibbogen, beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte, damit seine Figuren wahrheitsgetreu waren", sagt Mattheß im Gespräch mit ntv.de. Eine Sonderedition der Dresdener Frauenkirche, die die Manufaktur 2003 zum Anlass des Wiederaufbaus fertigte, wurde zum Verkaufsschlager. Kunden überboten sich, um einen der auf 1000 Stück limitierten Schwibbögen zu ergattern.
Ein Schwibbogen gehört zur Adventszeit in jedes Fenster im Erzgebirge, das ginge gar nicht anders, sagt Mattheß. "Die Tradition kommt aus dem Bergbau. Die Bergleute waren sehr gläubige Menschen mit einem riskanten Job, den sie mit Gottvertrauen ausübten. Für sie hatte Licht eine unglaublich große Bedeutung, denn sie arbeiteten ja unter Tage und kamen erst abends wieder hervor. Oft sahen sie in den Wintermonaten kaum Licht - umso wichtiger waren die hell erleuchteten Fenster."
Heftige Umsatzeinbußen
Zuletzt war Seiffen in den Schlagzeilen, weil sich hier am ersten Adventswochenende noch Besucher an Glühweinbuden drängten, die aus ganz Sachsen angereist waren - zu einem Zeitpunkt, als der Erzgebirgskreis, zu dem Seiffen gehört, mit einem 7-Tage-Inzidenzwert von 419 Fällen auf 100.000 Einwohner schon zu den Corona-Hotspots Deutschlands gehörte. Mit strikten Polizeikontrollen ging man daraufhin gegen den Besucheransturm in Seiffen vor. Seit dem 1. Dezember gelten in ganz Sachsen Ausgangsbeschränkungen, Menschen dürfen ohne triftigen Grund ihre Wohnungen und Häuser nicht verlassen. Nun hat die sächsische Staatsregierung ab dem 14. Dezember die Regeln erneut verschärft. Schulen, Kindertagesstätten und Horte schließen, es gilt zudem ein öffentliches Alkoholverbot und eine Maskenpflicht überall da, wo sich Menschen begegnen. "Wir müssen den Freistaat jetzt zur Ruhe bringen", sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer. Denn die Zahlen in Sachsen sind dramatisch - zuletzt lag die 7-Tage-Inzidenz bei 319 Fällen auf 100.000 Einwohner.
Auch Teile des Einzelhandels müssen ab kommenden Montag schließen - für die "Männelmacher", die Schwibbögen, Räuchermännchen und Nussknacker herstellen, eine Katastrophe. Sie machen in den letzten drei Monaten des Jahres traditionell rund drei Viertel ihres Jahresumsatzes, so Bürgermeister Wittig - und kämpfen jetzt um ihre Existenz. Das betont auch Frederic Günther, Geschäftsführer des Verbands Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller. "Jetzt muss auch unser Facheinzelhandel schließen, und das in der umsatzstärksten Zeit. Damit ist uns nach den Weihnachtsmärkten eine weitere Absatzmöglichkeit weggebrochen. Dies ist nicht nur für die Händler, sondern auch für die Hersteller dramatisch", sagt er. "Da wir nun direkt von den Schließungen betroffen sind, hoffen wir auf eine ähnliche Unterstützung von Bund und Freistaat wie es sie für gastronomische und Beherbergungsbetriebe gibt", sagt er.
Auch die Spielzeugmacherin Mattheß, die bis zuletzt noch optimistisch war, findet die Situation unglaublich belastend. Bis Mitte nächster Woche fertigt ihr Betrieb noch eine Serie mechanischer Schwibbögen. Wie sie diese an die Kundschaft bringen wird, weiß sie noch nicht. "Die Abholung oder Auslieferung ist absolut ungewiss. Ich muss mich erst noch erkundigen, was überhaupt erlaubt ist", sagt sie. Zudem sei es zunehmend schwer, die Ausfallzeiten ihrer Mitarbeiter abzufedern, von denen viele nun wieder ihre Kinder zu Hause betreuen müssen. "Wir lassen den Kopf trotzdem nicht hängen und werden auch diese Zeit irgendwie überstehen", so die Geschäftsführerin.
Die Händler hoffen nun auf den Handel im Netz. Die Seiffener Drechslergenossenschaft "Dregeno" hat einen virtuellen Weihnachtsmarkt eingerichtet, über den man sich in die Online-Shops der Händler klicken kann. Auch die Gemeinde versucht, wenigstens ein bisschen Weihnachtstimmung zu verbreiten - mit eigens produzierten Videos, die auf der Facebook-Seite sowie dem YouTube-Kanal Seiffens geteilt werden.
"Wir werden auch in nicht einfachen Zeiten für eine vorweihnachtliche Stimmung sorgen, unsere Fenster und Straßen werden wie immer von vielen Lichtern erhellt sein und unser Spielzeugdorf wird im vorweihnachtlichen Glanz erstrahlen", schreibt Bürgermeister Wittig in seinem Brief auf der Homepage der Gemeinde. Und so bleiben im Corona-Jahr zumindest die hell erleuchteten Schwibbögen in den Seiffener Fenstern eine weihnachtliche Konstante.
Quelle: ntv.de