Leben

Ferien in Sandringham Hier kann man der Queen in den Garten spucken

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Man darf sich nur nicht erwischen lassen von der Queen in Sandringham ...

(Foto: AP)

In der englischen Grafschaft Norfolk steht ein historischer Wasserturm mit einer hübschen Ferienwohnung. Wer sie mietet, bekommt dazu einen einmaligen Ausblick über den Park von Sandringham, den privaten Landsitz der englischen Königin. Ihr gehört übrigens auch der Turm.

Um es gleich vorwegzunehmen: Bei AirBnb oder Booking ist diese bauliche Trouvaille nicht zu finden. Man muss dafür die Seite des "Landmark Trust" besuchen - eine gemeinnützige, 1965 gegründete britische Vermietungsagentur der Sonderklasse. Sie könnte keinen besseren Schirmherren haben als Prinz Charles. Schließlich ist er nicht bloß Thronfolger und Großgrundbesitzer, sondern auch oberster Denkmalschützer der Nation.

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Attention, Linksverkehr! Die Queen könnte Ihnen entgegenkommen.

(Foto: IMAGO/Paul Marriott)

Der Landmark Trust ist darauf spezialisiert, außergewöhnliche, oft sehr alte und nicht selten grandiose Gebäude mit allerlei Spenden und Lotteriegeld zu sanieren, stilecht zu restaurieren und originalgetreu einzurichten - was bis auf einige Einbauküchen englischer Machart eindrucksvoll gelingt. Danach werden die Objekte zu (halbwegs) erschwinglichen Preisen vermietet. Auf diese Weise können mittlerweile 200 Landmarks von vielen Menschen genutzt werden - statt, wie es offiziell heißt, "als Ruinen zu Staub zu verfallen und von der Landkarte zu verschwinden".

Eine kleine, exzentrische Location der Royals

Von insgesamt 17 Wohntürmen in der Kollektion des Landmark Trust bildet der "Appleton Watertower" in der Grafschaft Norfolk ein in jeder Hinsicht herausragendes Angebot. Denn der Wasserturm steht auf dem höchsten Punkt des Kronguts Sandringham, ein rund 8000 Hektar großes Anwesen, das "Her Most Gracious Majesty Queen Elizabeth The Second" höchstpersönlich gehört - wie unter Nummer NK396417 im englischen "Land and Property Register" verzeichnet. Im Katalog des Landmark Trust wird die Pächterin etwas untertäniger umschrieben: "A public-spirited local owner gave us a lease of this exceptional Victorian tower".

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Vier Gäste haben Platz in dem "exzentrischen Ferienhäuschen".

(Foto: Landmark Trust)

Als "exzentrisches Ferienhäuschen" ("an eccentric holiday cottage") bietet der Turm Platz für vier Übernachtungsgäste: "1 double, 2 twins = 4 sleeps". Kurzentschlossene, die rund 1400 Euro übrig haben und sich nicht von einer engen gusseisernen Wendeltreppe abschrecken lassen, die ausdrücklich als "awkward" beschrieben wird, finden vom 17. bis 19. Juni sogar noch Platz (Stand: 30. Mai). Sie können sich dann entweder in den in Blau und Mahagoni gehaltenen viktorianischen Zimmern aufhalten oder auf der Dachterrasse die Aussicht genießen, die ohne Zweifel ein Höhepunkt ist. Nachweislich ist diese Location auch von der englischen Königsfamilie genutzt worden - wenn auch nicht von der amtierenden.

Wasserspeicher gegen Typhusbakterien

Tatsächlich handelt die Geschichte des Turms von einer zweifachen Bestimmung für seine noblen Besitzer: Einerseits diente er seit seiner Erbauung 1877 als Speicher für sauberes Wasser, was damals nicht selbstverständlich war. Nach einigen Typhuserkrankungen in der Königsfamilie - die möglicherweise zum frühen Tod von Victorias deutschem Gatten Albert geführt hatten - ergaben Untersuchungen, dass die unterirdischen Wasserspeicher von Sandringham einer Kloake glichen, weil sie heftig mit Keimen befallen waren. Daraufhin entstand der Turm.

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Der Turm diente den Royals in früheren Zeiten nicht nur als Wasserspeicher.

(Foto: Landmark Trust)

Den Ersatz lieferte ein für damalige Verhältnisse äußerst moderner und gigantisch großer Tank, der weiterhin die Krone des rund 20 Meter hohen Wasserturms bildet. Er fasst 32.000 "imperiale Gallonen", was ungefähr 1,4 Millionen stinknormalen Litern entspricht. Versorgt wurden damit bis 1973 neben dem Haupthaus von Sandringham auch Nebenhäuser und Landsitze wie Anmer Hall, wo heute der Herzog von Cambridge, also Prinz William, mit seiner Familie einen Teil der Ferien verbringt.

Gleichzeitig war der Turm mit seinen verhältnismäßig prächtigen Räumen so etwas wie ein Hochsitz für den jagdbesessenen König Edward VII. und seine Gäste. Der älteste Sohn von Königin Victoria, und Vor(vorvor)gänger von Charles, hatte Sandringham 1862 für die astronomische Summe von 220.000 Pfund gekauft, um es zu seinem persönlichen Jagdparadies umbauen und erweitern zu lassen. Sein Hang zum massenhaften Töten von Rebhühnern und Fasanen war derart exzentrisch, dass er zwischen Oktober bis Februar die Uhren eine halbe Stunde nach vorne stellen ließ. So konnte man das Tageslicht besser nutzen. Auf diese Weise erfand Edward eine eigene Zeitzone mitten in England: die "Sandringham Time", die bis zu ihrer Abschaffung 1936 galt. Unterdessen sind Mieterinnen und Mieter von heute gezwungen, sich bodenständiger zu verhalten, wenn sie über den Bäumen von Norfolk auf der herrschaftlichen Dachterrasse in den zur Verfügung gestellten "Deck Chairs" chillen.

Nur Mut: Spucken Sie!

Etwas hochtrabend heißt es in der Beschreibung des Turms: "Dieser Zweckbau höchster Provenienz gleicht einem gemütlichen Nestlein auf der Höhe der Baumwipfel." Doch was bleibt einem in den luftigen Höhen, wenn - wie in allen Landmarks - weder Fernsehen noch Wifi zur Verfügung stehen, man die mitgebrachten Spiele und Bücher durchhat und Jagdfantasien auch nicht ohne Weiteres ausleben darf? Prinz Charles erklärte zum 50. Jubiläum des Landmark Trust: "Die besten und beständigsten Ideen sind oft die einfachsten."

Während man also in den Garten von Elizabeth II. guckt und sich vor Augen führt, dass ausgerechnet sie mit dieser einmaligen Experience Geld verdient, darf man sich ruhig auf die einfachen Gedanken der Kinder besinnen. Würden Sie sich damit abgeben, in den Garten einer echten Königin zu gucken? Mit Sicherheit nicht. Sie würden spucken!

Quelle: ntv.de

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