Leben

Eine muss den Job ja machen (2) Iryna Suslova - ein Leben für Kinder im Krieg

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Andreas Tölke, Iryna Suslova, Anya Verkhoskaya und Dmytro Bondarenko (Chairman der Assoziation für Innovation und digitale Entwicklung)

Andreas Tölke, Iryna Suslova, Anya Verkhoskaya und Dmytro Bondarenko (Chairman der Assoziation für Innovation und digitale Entwicklung)

(Foto: privat)

Krieg ist Männersache. Schon immer gewesen. So auch in der Ukraine. Ein männlicher Diktator mit einer männlichen Armee greift ein Land an und in der Ukraine müssen - zumeist - Männer, Helden (gar nicht ironisch gemeint) an die Front, um sich zu wehren, um ihr Land verteidigen. Das ist die eine Seite.

Es sind aber die Frauen in der Ukraine, die das Land am Laufen halten: Sie übernehmen im Krankenhaus die Schichten ihrer männlichen Kollegen, die an der Front sind. Sie initiieren Hilfsorganisationen für die Binnenflüchtlinge. Sie machen "Business" in den Firmen, in denen sie die Lücken der abwesenden männlichen Kollegen schließen. Vier der Frauen möchten wir ihnen als Stellvertreterinnen für die Frauen der Ukraine vorstellen. Die zweite ist Iryna Suslova.

"Meine glücklichste Erinnerung ist mit meinem Vater verbunden. Ich war ein Jahr alt, als er plötzlich erblindete. Durch seine Tapferkeit, Widerstandsfähigkeit, Hingabe, seinen Glauben an sich selbst, das Leben und die Menschen bin ich die Person geworden, die ich heute bin. Er hat mich zu der gemacht, die nicht einfach am Leid anderer vorbeigehen kann", erzählt Iryna Suslova ntv.de im Zentrum für Kinderrechte in Kiew. Das Zentrum im Erdgeschoss ist nicht nur die Koordinierungszentrale ihrer Organisation "Frauen für die Zukunft", es ist auch das Außenbüro von Iryna Suslovas "neuem Job" als Ombudsfrau für Kinderrechte in der ukrainischen Regierung. Es dient zudem als Treffpunkt für die politische Elite. Mike Pence, der ehemalige Vizepräsident der USA, besuchte das Zentrum Ende Juni, ebenso wie Olena Zelenska. Hochrangige Politiker aus aller Welt lassen sich hier von Iryna Suslova über die Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine informieren. Bei unserem Treffen am 28. Juni waren gerade von Russen entführte Kinder befreit worden und warteten in einem Nebenzimmer auf ihre Eltern, die sie seit Monaten nicht gesehen hatten. "Ich darf und will allerdings weder die genaue Zahl verraten noch irgendwelche Details preisgeben", sagt Suslova.

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(Foto: privat)

Ukraine. Ein Land im Krieg. Und für die Schwächsten, die Kinder, kämpft Suslova. Mit gerade einmal 35 Jahren hat die alleinerziehende Mutter eine unglaubliche Karriere hinter sich, die im Jahr 2012 begann. Als Fachfrau für Adoption und Pflege des Zhytomyr Regional Center for Social Services for Families, Children and Youth. Ihre Arbeit konzentrierte sich auf die Unterstützung von Familien, die adoptierten oder Pflegekindern eine sichere und liebevolle Umgebung bieten wollten. "Ich musste mich der Herausforderung stellen, auf Englisch zu kommunizieren. Viele unserer wichtigen Kontakte befanden sich außerhalb der Ukraine. Mein Englisch war bescheiden. Aber je besser meine Sprachkenntnisse wurden, desto mehr konnte ich für die Familien in der Ukraine erreichen" erzählt Suslova. Ab 2016 leitete Suslova den parlamentarischen Unterausschuss für Geschlechtergleichheit und Nichtdiskriminierung und arbeitet an mehreren Gesetzen, die Frauen in Politik, Militär und Bildung mehr Rechte geben sollen. Sie beteiligt sich auch an Bildungsprojekten, die darauf abzielen, die ukrainische Jugend für die Fallen von Geschlechterstereotypen zu sensibilisieren. Nach der EuroMaidan-Revolution suchte Suslova nach vermissten Aktivisten.

"Die schwerste Entscheidung meines Lebens"

Dann kam der 24. Februar 2022 - die vollständige Invasion Russlands in die Ukraine stellte die Entschlossenheit der Aktivistin auf eine harte Probe. "Die schwerste Entscheidung, die ich je in meinem Leben getroffen habe, war, in der Ukraine zu bleiben, obwohl ich einen drei Monate alten Sohn hatte, und nicht an einen sichereren Ort zu gehen. Es war ein großer Kampf in mir, aber ich konnte die Ukraine nicht verlassen." Suslova wurde zu einer Stimme der Hoffnung und des Widerstands. Sie fand Wege, die Welt über die reale Situation in der Ukraine zu informieren, indem sie Nachrichten aufnahm und in sozialen Medien teilte, selbst während sie zur Arbeit fuhr. Ihre Bemühungen machten sie in der Ukraine zu einem Symbol für Stärke und Mut in Zeiten der Krise. "Ich hätte nie gedacht, dass ich persönlich, zusammen mit allen Frauen um mich herum, so stark sein könnte. In der Ukraine haben wir einen Witz: 'Wenn ein normaler Bürger Flugabwehrgeschütze kaufen könnte, hätte er sie bereits gekauft! Wenn ein normaler Bürger ein F-16 kaufen könnte, hätte er es getan!' Wir als Nation und ich persönlich haben erkannt, dass es nichts Unrealistisches gibt, das wir nicht tun können. Alles, was wir brauchen, ist der Wille und die besten Absichten", sagt sie.

Suslovas Engagement und ihr Streben nach Frieden und Gerechtigkeit macht sie unermüdlich. Mit verschiedenen internationalen Projekten arbeitet sie daran, die Lebensbedingungen von Kindern in schwierigen Verhältnissen zu verbessern. Kommunikation ist aktuell das A und O, vor allem jetzt, wo der unmenschliche Überfall Russlands auf die Ukraine im Rest der Welt hauptsächlich auf die Frage nach den Kosten reduziert wird. "Ich möchte mich bei all den Menschen bedanken, die mir in sozialen Medien folgen und die Nachrichten lesen, die ich poste. Ich bin auch dankbar für jeden, der die Möglichkeit und den Einfluss hat, die Situation in der Ukraine mit der Welt zu teilen. Früher habe ich auf dem Heimweg Aufnahmen für die sozialen Medien gemacht. Heute muss ich selbst oft diese 20 Minuten auf der Straße für meinen kleinen Sohn verwenden - ich bin zuerst auch eine Mutter. Mein Sohn ist in meiner Familie beschützt und behütet. Zum Glück. Aber ich habe oft ein schlechtes Gewissen", erzählt sie.

"So lange es eben dauert"

Es wirkt beinahe übermenschlich, was eine Frau auf die Beine stellen kann. Die Rückführung der entführten Kinder, die internationalen Delegationen, der Kontakt zum ukrainischen Parlament, die Koordination von Spenden und ihre Frauenhilfsorganisation - aber Suslova lacht. Sie lacht oft und umarmt genauso oft.

Gerade trifft Anya Verkhoskaya von der internationalen Hilfsorganisation Friends of Be an Angel ein. Friends of Be an Angel hat ihren Ursprung in Deutschland bei Be an Angel e.V. und Verkhoskaya ist seit März 2022 die Leiterin des amerikanischen Ablegers. Seitdem arbeitet sie mit Suslova zusammen. Die beiden haben sich noch nie gesehen - Verkhoskaya aus der Nähe von Chicago und Suslova aus Kiew. Sie fallen sich wortlos in die Arme. Nichts muss ausgesprochen werden - die Umarmung sagt alles. Verkhoskaya und Suslova sind beide unermüdlich. Aus den USA organisierte Verkhoskaya mit ihrem Team über 5000 Tonnen Hilfsgüter von Medikamenten bis Grundnahrungsmitteln. Diese wurden über das Warenlager in Lwiw, das von Suslova Organisation verwaltet wird, bis an die Frontgebiete ausgeliefert.

Wie lange wollt und könnt ihr das noch machen, fragen wir beide Frauen. Sie sehen sich an, zucken mit den Schultern und antworten beide mit einem Lächeln und wie aus der Pistole geschossen: "So lange es eben dauert."

Nächste Woche geht es an dieser Stelle um Dr. Marta Sheremet, Ärztin

Quelle: ntv.de

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