
Mueller-Stahl 1991 in Jarmuschs Film "Night on Earth".
(Foto: imago images/Mary Evans)
Erinnern Sie sich, wie Armin Mueller-Stahl im Filmklassiker "Night on Earth" einen Clown aus Deutschland spielt, der in New York Taxi fährt? Die Episode war nicht nur ein modernes Wintermärchen, sondern auch Englischunterricht der Extraklasse!
Wenn deutschsprachige Menschen Englisch sprechen, kommunizieren sie manchmal am Rande der Verzweiflung. Der Zustand resultiert dann daraus, dass sie ihre Gesprächspartner auf eine bestimmte, sagen wir, deutschsprachige Herangehensweise verwirren, obwohl alles doch so easy sein könnte …
Ein deutscher Schauspieler, der diese innere Krise wie kein zweiter dargestellt hat, ist Armin Mueller-Stahl. Im Filmklassiker "Night on Earth" spielt er den Taxifahrer Helmut Grokenberger, der versucht, sich in New York City durchzuschlagen oder besser gesagt: voranzukommen - und das ohne wesentliche Englischkenntnisse und die notwendige Fahrtauglichkeit (jedenfalls bezogen auf Automatikgetriebe).
Es tut weh und ist zugleich sehr unterhaltsam, mit anzusehen, wie in einem New Yorker Taxi, dem Yellow Cab, die Mentalitäten aufeinanderprallen, bevor sie am Ende doch noch ihren Weg nach Brooklyn finden - was Grokenberger unentwegt "Brookland" nennt. In unserer heutigen von viel Unverständnis und Missverständnissen geprägten Zeit wirkt diese Nachtfahrt aus dem Jahr 1991 wie ein modernes Wintermärchen. 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist jener Helmut mit der Fellkappe nicht bloß das Porträt eines ostdeutschen Auswanderers in der großen weiten Welt. Regisseur Jim Jarmusch hat ihn vielmehr zur Ikone für viele von uns gemacht: für Denglische Patienten, die sich auf einem Auslandseinsatz befinden - egal, ob aus Ost oder West, Nord oder Süd.
Holprige Tour durch Stadt und Sprache
Zu Hause in Dresden war Helmut Grokenberger ein Clown, der auf zwei Miniflöten gleichzeitig spielen konnte - was er im Taxi mit einem gewissen Zauber demonstriert. Spricht er, gibt er hingegen viel verwirrendes Kauderwelsch von sich. "Ich bin in trouble", sagt er an einer Stelle treffend. Und an einer anderen huldigt er seinem Fahrgast: "You are my most best customer." Dieser amüsiert sich derweil über den Namen: "Helmut"! Weil es klinge wie helmet, also wie ein Helm. Da könne man sein Kind ja gleich "Lampenschirm" nennen - und schon hat der Fremde aus Deutschland seinen Spitznamen weg: Lampshade! Es spricht für den leisen Humor des Films, dass den Zuschauern der Hinweis erspart bleibt, wie "Taxifahrt" oder "Autofahrt" auf Englisch klingen.
Apropos Fahrt: Symbolisch für Helmuts holprige Tour durch Stadt und Sprache ist der Gang, den er nicht finden kann: "D wie drive"! Dass es unmöglich ist, zu sagen, ob damit "Fahrt" (drive) oder "fahren" (to drive) gemeint ist, stellt einen genialen Kniff der englischen Sprache dar, der im Deutschen seinesgleichen sucht. Er besteht ganz einfach darin, dass x-beliebige Hauptwörter zu Handlungen werden, also ohne irgendeine Umwandlung zu Verben.
Wir selbst kennen das aus dem digitalen Medienalltag - der sich durch eine App sogar mit dem Taxialltag vermischt hat:
Mail - to mail; wir sagen: "mailen".
Google - to google; wir sagen "googeln".
Stream - to stream; wir sagen "streamen".
Uber - to uber; wir sagen manchmal "ubern".
Auch der nicht-mediale, englischsprachige Alltag kennt Tausende von Beispielen:
Exit - to exit; wir sagen "Ausgang", aber "ausgehen" bedeutet etwas anderes.
Police - to police; wir sagen "Polizei", aber "polizeien" gibt es nicht.
Phone - to phone; wir müssen es mit "ieren" verlängern: "telefon-ieren".
Question - to question; "Frage" und "fragen" sind verdammt nah dran.
Rain - to rain; Wir haben "Regen", wenn es "regnet".
Die verlustfreie Wortbildung macht Englisch außerordentlich praktisch, flüssig, schnell - und in diesem Punkt tatsächlich leicht zu lernen. Alles, was Denglische Patienten beachten müssen, ist die Betonung, die in manchen Fällen abweicht, zum Beispiel:
Parent (Betonung auf der ersten Silbe) - to parent (Betonung auf der letzten Silbe).
Gerade heutzutage scheinen am laufenden Band neue Begriffe zu entstehen. Nachdem Brexit als Wortneuschöpfung im Jahr 2016 populär wurde, hörte ich neulich das Verb to brexit: wenn jemand gehen will, aber doch bleibt …
Helmut Grokenberger war noch nicht so weit, um sich das Einkommen in der Weihnachtssaison neben Taxifahren mit einem weiteren Job (job - to job) aufzubessern: als Weihnachtsmann! Auf Englisch nennt man es auch fatherchristmassing. Ich denke, es ist höchste Zeit für einen Fortsetzungsfilm mit Armin Mueller-Stahl!
Quelle: ntv.de