"Friends with benefits" Sex unter Freunden ist "Beziehung light"
07.08.2020, 18:29 Uhr
Freunde mit Vorzügen - eine schöne Sache, wenn beide es wollen.
(Foto: imago)
Leidenschaftlicher Sex, keine Beziehung und keine Verpflichtungen wie in einer klassischen Partnerschaft: Kann Freundschaft plus auf Dauer gutgehen? Unsere Kolumnistin über das Spiel mit dem kumpelhaften Koitus.
Am Anfang ihrer Beziehung mit David war für Sophia alles rosig. Sie war bis über beide Ohren in ihn verliebt und musste sich zusammenreißen, nicht sofort ihre Wohnung aufzugeben und Hals über Kopf bei ihrem neuen Partner einzuziehen. Obschon sie also nicht gemeinsam wohnten, sahen sie sich nahezu täglich. Sie hatten die gleichen Interessen und Hobbys und schon bald pachteten sie einen Schrebergarten. Beide sind Landschaftsarchitekten und lieben Pflanzen.
Nach einer Weile klagte Sophia über Nackenschmerzen. Egal, was sie dagegen unternahm, die Schmerzen wurden schlimmer. Etliche ratlose Arztbesuche später fragte sie ein Orthopäde, ob die Ursachen für die Schmerzen psychosomatisch sein könnten, ob Sophia Sorgen oder Stress habe und sich vielleicht zu viel aufhalse. Das Schulter-Nacken-Syndrom, so der Mediziner, sei oft wie eine fehlgeleitete Antwort auf seelische Spannungen.
Nach Monaten des körperlichen Leidens wurde es Sophia klar. Die Nackenschmerzen kamen immer, wenn sie darüber nachdachte, wie sie David bloß mitteilen sollte, dass sie mehr Zeit für sich haben wollte. Er war unheimlich vereinnahmend, gleichzeitig aber so liebevoll. Sophia hatte ein schlechtes Gewissen, ihrem Partner zu sagen, dass sie die Abende vermisste, an denen sie allein in ihrer kleinen Wohnung mit einem Glas Wein in der Hand auf dem Sofa lümmelnd einfach eine Serie schaute.
"Lass uns doch Freunde bleiben!"
Stattdessen schwieg sie beharrlich weiter, so lange, bis es zwischen ihnen ständig krachte. Denn David hatte Sophias Gereiztheit längst bemerkt. Als die Beziehung schließlich in die Brüche ging, verschwanden auch Sophias Nackenschmerzen. Sie fühlte sich tatsächlich, als sei eine große Last von ihren Schultern genommen worden. David litt anfangs sehr unter der Trennung und Sophia schlug ihm - auch ein bisschen egoistisch - vor: "Lass uns doch Freunde bleiben!"
Nun kann man natürlich darüber streiten, ob es zwischen Frauen und Männern - gerade nach einer frischen Trennung - tatsächlich so etwas wie Freundschaft gibt, schließlich kann man die gekränkten Gefühle nicht auf Kommando abstellen. Meist kommt auch die Hoffnung auf einen Neuanfang dazwischen. Nicht selten aber der Sex. Denn obwohl Sophia David nicht zurückwollte, war da nach wie vor diese große Anziehung zwischen ihnen. Im Bett hatten sie perfekt harmoniert. Irgendwann, nach den ersten leidenschaftlichen Nächten als Singles, schlug David vor: "Dann haben wir eben eine Freundschaft plus - friends with benefits sozusagen."
Sophia dachte eine Weile darüber nach, und wenn sie ehrlich war, fand sie Davids Idee großartig. Sie würden ein freundschaftliches Verhältnis pflegen und weiter ihren geliebten Schrebergarten bearbeiten. Und jetzt, im Sommer, wo sie oft in der kleinen Laube übernachten, würden sie gegenseitig ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen. Warum nicht? Guter Sex und keine Verpflichtungen. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
"Beziehung light": Ein Zukunftsmodell?
Der Paartherapeut Oliviero Lombardi sieht in Freundschaft plus Vor- und Nachteile. Da ist zum einen der Sex mit einer vertrauten Person, zum anderen glaubt der Psychologe, dass das Konzept sogar wieder "en vogue ist, weil Menschen vielleicht auch weniger schnell in feste Beziehungen gehen. Das kann zum Beispiel an der beruflichen Auslastung oder einer nicht so ausgeprägten Beziehungsfähigkeit liegen." Treffend bezeichnet er das von Sophia und David getroffene Arrangement als "Beziehung light".
Die beiden sehen sich jetzt zwar weniger, dafür erlebt Sophia die Zeit mit David umso intensiver. Ihre Gespräche sind tiefgründiger, der Sex ausgiebig und erfüllend und manchmal bemerkt sie schon mitten in der Woche, wie sie vor sich hin lächelt, wenn sie an das gemeinsame Wochenende denkt. David sieht es ähnlich. Er findet sogar, dass ihre "Friends with benefits"-Geschichte besser und intensiver ist als die Beziehung, die sie zuvor führten.
Was aber geschieht, wenn sich einer von beiden neu verliebt? Darüber wollen sie im Augenblick nicht nachdenken. Sophia sagt, sie fühle sich gerade so wohl, dass sie gar keine Lust verspüre, sich nach einem neuen Partner umzuschauen. Paartherapeut Lombardi jedoch glaubt, dass man langfristig statt Freundschaft plus lieber eine richtige Beziehung anstreben sollte. Das habe mehr "Glückspotenzial als alles andere". Darauf angesprochen, sagen Sophia und David einstimmig: "Die Frage ist ja auch immer, wie jeder Einzelne Glück für sich definiert." Momentan ist Glück für die beiden die Nähe ohne Verpflichtung, der gute Sex und die gute, intensive Zeit, die sie haben. "Das Glück der anderen", so Sophia "muss ja nicht das Glück aller sein".
Quelle: ntv.de