Leben

Der Baum des Weihnachtsfestes Tannen sind prachtvoll und voller Verheißung

Tannen können bis zu 65 Meter hoch werden - ein erhabener Anblick.

Tannen können bis zu 65 Meter hoch werden - ein erhabener Anblick.

(Foto: imago images/blickwinkel)

"Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum wie grün sind deine Blätter ...", wird unter dem Weihnachtsbaum gesungen. Der ist meist eine Nordmanntanne, war früher aber oft eine Fichte. Denn trotz inbrünstiger Verehrung ist die heimische Tanne vielen ganz unbekannt, beklagt der Forstwissenschaftler Wilhelm Bode. Dabei ist sie nicht nur wunderschön, sondern auch ein erdgeschichtliches Wunder.

ntv.de: Weihnachten ist ohne Weihnachtsbaum undenkbar, allerdings sind viele sogenannte Tannenbäume keine. Woran erkennt man denn eine echte Tanne?

Wilhelm Bode: Wenn man der Tanne eine Nadel ausreißt, bleibt ein kleines, rundes Stückchen Rinde daran hängen, das sogenannte Tannenfüßchen. Es ist ihr sicherstes Bestimmungsmerkmal. Eine Tanne hat außerdem immer stehende Zapfen auf ihren Zweigen. Allerdings kaufen wir zu Weihnachten junge Bäume und die haben noch keine Zapfen. Insofern ist das mehr ein Tipp für den Waldspaziergang, bei dem man mit dem Fernglas in die hohen Bäume schauen kann. Tannennadeln sind auch eher flach gescheitelt und weich. Das unterscheidet sie deutlich von den Fichten, denn wenn ich sie anfasse, pieksen sie. Nichts anderes meint ihr botanischer Name Picea abies, was nichts anderes bedeutet als stechende Tanne; sie ist aber eine Fichte.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Fichten für Tannen gehalten werden?

Die Tanne Abies alba hält der "Forstwirtschaft den Spiegel ihrer Naturferne vor", sagt Bode.

Die Tanne Abies alba hält der "Forstwirtschaft den Spiegel ihrer Naturferne vor", sagt Bode.

(Foto: imago images/imagebroker)

Das hängt damit zusammen, dass die Fichte mit der Tanne vergesellschaftet im Bergmischwald vorkam, aber die unempfindlichere Baumart ist. Die Tanne ist deutlich sensibler. Das veranlasste die frühe Forstwirtschaft, sich der Fichte zu widmen. Sie war einfacher zu vermehren, man konnte sie auf Freiflächen anpflanzen, alles Dinge, die die Tanne dem Förster übelnimmt. Deshalb hat man die Fichte in andere Regionen verbracht, ins Mittelgebirge und in die Ebene nördlich der Mainlinie. Dort entwickelte sich in protestantischen Familien ziemlich genau vor 220 Jahren der Volksbrauch des Weihnachtsbaumes. Dafür stand dort dann nur die Fichte zur Verfügung. Gleichzeitig hatten die Förster ein großes Interesse, dass die Menschen die Fichte akzeptierten, denn sie veränderten mit ihr die heimatliche Landschaft radikal. Infolgedessen lernten die Menschen nicht, die Tannen von den Fichten zu unterscheiden. Es wurde im jeweiligen Dialekt zwar von Tännecken oder Dannebäumen gesprochen, man meinte damit aber Fichten.

In der Dichtung wird die Tanne als Weltenbaum, als Lichterbaum der Herzen, als Friedensbaum beschrieben. Wie ist sie das geworden?

Diese Tanne ist mit 18 Metern noch weit weg von den 65 möglichen Metern.

Diese Tanne ist mit 18 Metern noch weit weg von den 65 möglichen Metern.

(Foto: imago images/Die Videomanufaktur)

Tannen haben mehrere Eigenarten, die sie für diese kulturelle Überhöhung prädestinieren. Zum einen sind Tannen immergrün. In winterkahler Zeit vermitteln in den kalten Wohnungen und harten Wintern immergrüne Bäume seit jeher die Verheißung des nahenden Frühlings. Das haben sie mit dem Immergrün der Stechpalme oder der Kiefer gemeinsam. Zum anderen ist es ihre prächtige Erscheinungsform, die eine Tanne von Natur aus hat. Tannen werden bis zu 65 Meter hoch. Wer einmal in einem natürlichen Tannenmischwald war, in Slowenien oder in den Karpaten, oder in einem schweizerischen Tannen- und Fichten-Plenterwald, wird beim Anblick dieser mächtigen Bäume regelrecht erschlagen. Etwas Erhabeneres kann der Mensch von seinem Sensorium her kaum empfinden. Beim Blick nach hoch oben fühlt man sich wie in eine andere Zeit versetzt und erlebt eine Erfahrung eigener Art.

Außerdem hat die Tanne eine enorme kulturgeschichtliche Bedeutung.

Es gibt so vieles, was die Tannen nützlich macht. Das ist zum Beispiel der Tannenhonig, der eigentlich der Honig der Blattläuse ist, die die Tannen malträtieren. Ihr Holz ließ sich gut verkohlen. Mit dieser Holzkohle wurde die frühe Industrialisierung angeschoben. Aus Tannenholz wurden auch beispielsweise Schwarzwalduhren gemacht. Aus dieser feinmechanischen Holzindustrie entwickelten sich später andere Industrien nicht nur die Uhrenindustrie des Schwarzwaldes. Manche der heutigen Industriezweige vor allem in Baden-Württemberg wären ohne die Tanne kulturgeschichtlich gar nicht denkbar. Heute bilden sie häufig die sogenannten hidden champions, also heimliche Weltmarktführer, die den Wohlstand der Region ausmachen. Das heißt, die Tanne ist unmittelbar eine der Wurzeln des heutigen Wohlstands der Region.

Heute weiß kaum noch jemand, dass Tannen zu den ältesten Pflanzen überhaupt gehören. Wie weit geht das denn zurück?

Bis zu 280 Millionen Jahre, das ist die Zeit noch vor der Kontinentaldrift und vor den Dinosauriern. Unsere Laubbäume entstanden erst deutlich später. Die Tanne ist also ein Zeitzeuge der Entwicklung unseres heutigen Pflanzenreichs, so wie der Gingko biloba, den jeder kennt. Sie repräsentiert ein erdgeschichtliches Wunder, denn sie gehört zu den nur 500 Nacktsamern, die von dieser einst unüberschaubaren Klasse der Nacktsamer bis in unsere Zeit übrig geblieben sind. Sie ist eine von einst Hunderttausenden von Arten, von denen es gerade noch 500 gibt. Unsere heimische Weißtanne ist also ein echter Zeitzeuge vergangener Welten.

Wenn die Tanne demnach bisher dem Aussterben entkommen ist, wie schlägt sie sich dann im Klimawandel unserer Zeit?

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Aufgewachsen in ihrem natürlich Mehrgenerationenhaus ist sie eine unserer stabilsten Baumarten. Sie ist relativ trockenresistent und produziert mit ihren herunterfallenden Nadeln eine bodenfreundliche Zersetzungsstreu - eine Form der natürlichen Düngung. Dabei ist sie nicht wählerisch und wächst auf allen Standorten, die Deutschland bietet.

Sie haben vorhin gesagt, die Tanne sei sensibel. Was mag sie denn nicht, wenn sie eigentlich mit allem gut zurechtkommt?

Die Tanne verträgt keine Großmaschinen, keine Freiflächenwirtschaft und keine Altersklassenwälder, also keine Wälder, in denen alle Bäume etwa gleich alt sind. Sie verträgt auch keine plantagenartigen Wälder mit nur einer Baumart. Stattdessen will sie einen naturgemäßen Mischwald aus heimischen Nadel- und Laubbäumen. Dafür braucht es aber eine wirkliche Kehrtwende in der Forstwirtschaft, von der dann nicht nur die Tannen profitieren würden.

Was müsste sich denn konkret ändern?

Man kann naturgemäße Wirtschaftswälder nicht pflanzen, sondern äußerstenfalls aus früher gepflanzten Wäldern erziehen. Dazu müssen wir endlich aufhören, Wälder schlagweise - so ist der Fachbegriff - zu nutzen. Statt der flächenweisen Nutzung muss auf die Einzelbaumnutzung im sogenannten Dauerwald umgestellt werden. Der ideale Wald dafür sind die noch vorhandenen Buchenwälder. Da hinein könnte man durch Pflanzung und Saat Tannen einbringen, weil sie in Buchenlaub besonders gut zu keimen vermögen. In anderen Monokulturen, beispielsweise bei Fichten, müssen wir erst Buchen einbringen. Und wenn sie nach 30 bis 40 Jahren dort Fuß gefasst haben, könnten dann auch Tannen nachfolgen. Dann wachsen die jungen Tannen geschützt heran und bleiben bis uns höchste Alter stabil. Eben das brauchen wir im Klimawandel, der Bäume besonders in höherem Alter beansprucht. Der zweite wichtige Punkt ist die drastische Reduktion der Wildbestände. Denn die Tanne ist, wie alle Arten in einem naturgemäßen Wirtschaftswald, ein Leckerbissen unter anderem für Rehe und Hirsche, die jungen Tannen mit Vorliebe weggefressen. Wir bräuchten also eine gründliche Änderung unserer Jagdgesetze. Darüber habe ich in meinem Buch "Hirsche - Ein Porträt" geschrieben. Und von einer solch überfälligen Reform würden nicht nur die Tannen profitieren, sondern alle Baumarten, die mit der Fichte verdrängt wurden; an erster Stelle viele unserer Laubbäume, wie Linden, Eschen, Kirschen oder Ulmen. Die Tanne könnte also zur Ikone einer zukunftsfähigen Forstwirtschaft werden.

Die meisten Menschen kaufen heute vermutlich eine Nordmanntanne, ist das eine richtige Tanne?

Ja, das ist eine richtige Tanne. Sie stammt aus dem Kaukasus und wurde nach dem finnischen Biologen Alexander von Nordmann benannt. Diese Tannen waren auch bereits sehr weit zurückgedrängt worden und wären sicher ausgestorben, wenn es nicht inzwischen in den reichen Wohlstandsstaaten den Brauch eines Weihnachtsbaumes gäbe, für den sie heute den Samen liefert.

Mit Wilhelm Bode sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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