Kritische Bewertung geht schnell Warum wir unser Spiegelbild jeden Tag anders wahrnehmen
18.07.2023, 18:22 Uhr Artikel anhören
Nicht immer mag man, was man im Spiegel sieht. Das liegt selten an dem, was wirklich da ist.
(Foto: IMAGO/Westend61)
Gestern beim Blick in den Spiegel noch "Oh, so ein schöner Mensch!" gedacht. Und heute? Sind die Selbstzweifel im Kopf gefühlt 100 Dezibel laut. Eine Psychologin erklärt, warum das so ist.
Wie wir unser Aussehen im Spiegel wahrnehmen, ist stark von unserem Empfinden in diesem Moment geprägt. "Bin ich unausgeglichen oder schlecht drauf, nehme ich mich vielleicht auch weniger attraktiv wahr", beschreibt die Psychologin Prof. Alexandra Martin in der "Apotheken Umschau".
Dass wir unser Aussehen so unterschiedlich bewerten, kann laut Martin auch daran liegen, dass es sich tatsächlich ständig ändert. Mal sind die Schatten unter den Augen dunkler, die Haare liegen anders. Auch eine Erkältung oder eine Nacht mit schlechtem Schlaf könnten Faktoren sein, die auf das Erscheinungsbild Einfluss nehmen. Schon so kleine Abweichungen können in unserer Betrachtung einen Unterschied machen.
Schönheitsideale hinterfragen
Selbstzweifel an unserem Aussehen entstehen vor allem dann, wenn unsere Selbstwahrnehmung und unser erhofftes Ideal nicht zusammenpassen. Psychologin Martin rät daher dazu, zu hinterfragen, ob die eigenen Ideale überhaupt realistisch und erreichbar sind. Wer unrealistische Ideale wie eine makellose Haut loslassen kann, macht Platz für mehr Gelassenheit. Was ebenfalls helfen kann: sammeln, was man am eigenen Körper mag - und darauf immer wieder die Aufmerksamkeit lenken.
Das Schönheitsempfinden sei aber weniger durch tatsächliche Körperparameter geprägt als vielmehr durch das eigene Selbstbild. Das sei durch verschiedene Faktoren, wie Erfahrungen, Gefühle und Misserfolge bestimmt. "Personen, die im Erwachsenenalter mit ihrem Aussehen sehr unzufrieden sind und sich sorgenvoll damit beschäftigen, wurden häufig als Kinder und Jugendliche aufgrund eines optischen Merkmals gehänselt", erläutert Martin. Bestimmte Standards würden auch in der Familie geprägt. Entscheidend sei, "Kinder nicht einseitig über eine Selbstwertquelle wie Aussehen zu definieren".
Auffällig sei, dass Menschen mit sehr starken Körperbildstörungen "äußerlich oft völlig unauffällig, wenn nicht sogar bildhübsch" seien. Trotzdem verließen viele ihrer Patientinnen und Patienten "erst dann das Haus, wenn sie gewisse Makel genug verdeckt haben. Oder sie vermeiden den Kontakt mit anderen ganz - sei es im Schwimmbad, bei intimen Begegnungen, aber auch in alltäglicheren Situationen."
Spiegel ist nicht das Problem
Der Psychologin zufolge ist es auch nicht die beste Lösung, den Spiegel einfach komplett zu verbannen. Denn ein "beiläufiger Blick in den Spiegel" sei meist nicht das Problem. "Damit prüfe ich vielleicht auch etwas Nützliches, etwa ob die Kleidung passt. Auch wenn ich in der Früh vor dem Spiegel die Zähne putze, ohne in der Kategorie zu denken 'schön oder hässlich', spielt das keine große Rolle für mein Wohlergehen."
Problematisch werde es, wenn man sein Äußeres sehr wichtig findet, sei es aus beruflichen Gründen oder bei der Partnerwahl. Dann könne die intensive Auseinandersetzung damit zum Problem werden, vor allem, wenn die Selbstwahrnehmung vom erhofften Ideal abweiche. "Das erzeugt Unzufriedenheit und Unsicherheit", so die Psychologin.
Wenn das Hadern mit dem Aussehen den Alltag bestimmt, empfehle sie dringend, sich psychotherapeutische Hilfe zu holen. Aber auch Menschen, die "nur" unzufrieden sind, wünsche sie mehr Gelassenheit und Zufriedenheit in der Selbstbewertung. Das Körperbild habe viel damit zu tun, "wie zufrieden wir sind".
Quelle: ntv.de, sba/dpa