
Vielleicht alles ein bisschen langsamer angehen lassen?
(Foto: VIA REUTERS)
Auch schon einen Tisch im Lieblingsrestaurant gebucht? Termine bei Friseur und Fitnessstudio klargemacht? Kinokarte reserviert, Festivals und Hotelzimmer gebucht? Es ist eine Menge, was da auf uns zukommt, daran müssen wir uns ganz langsam wieder gewöhnen.
Wir holen uns unsere Reviere zurück. Es wird ja auch Zeit. Eltern mit Kleinkindern, Hundebesitzer und E-Bike-Fahrer, alle an einem See mit Biergarten in der Großstadt an einem sonnigen Frühlingssonntag? Das würde nicht länger gutgehen. Denn jeder glaubt, es sei sein persönliches Recht, dort zu sein und sich wie eine offene Hose zu benehmen, weil "man" schließlich endlich wieder raus darf.
Ja, es wird Zeit, dass jeder wieder in sein natürliches Umfeld zurückkommt: Die Shopper in die Malls, die Jogger in die Wälder ohne Hundeauslauf, die Kinder in die Schule (kleiner Scherz am Rande) oder zumindest in den Park zum Chillen und heimlich Rauchen, die Familienväter in den Stau und Mutti … ja wohin eigentlich mit Mutti? Da sich in der Pandemie nun herauskristallisiert hat, dass ihre natürliche Umgebung das Heim ist (auch Homeoffice genannt), insbesondere die Küche, inklusive Waschküche, bleibt sie am besten da, wo sie ist. Das ist natürlich eine Übertreibung, sorry Muttis, ich bin auch eine, und ich sitz' einfach weiter am Schreibtisch. Gibt ja immer noch genug zu tun.
Ist es zu Hause denn nicht am schönsten?
Aber kommen wir zu FOGO, der "Fear Of Going Out", also der Angst, auszugehen. Nach eineinhalb Jahren der Angst vor einem Virus, Depressionen, Tragödien und persönlicher Nachteile verwundert es nicht, wenn es Menschen gibt, die sich in die eigenen vier Wänden zurückgezogen und es sich dort so gemütlich gemacht haben, dass sie gar nicht so recht wissen, was sie "da draußen" sollen. Mit anderen Menschen treffen? Puh, und dann über Corona reden? Oder darüber, dass der Mietwagen auf Mallorca dieses Jahr drei Mal so teuer sein wird wie vor zwei Jahren? Oder sich wundern, warum 200 Leute in einem Flugzeug eng sitzen dürfen, aber nicht eine Klasse mit 25 Schülern?
Lohnt es sich denn wirklich, Pläne zu machen oder wird uns eine Mutante doch wieder dazwischengrätschen? Sollte man seine Hochzeit oder seinen 39. Geburtstag 2021 feiern? Und was ist mit all dem, was liegen geblieben ist? Also, der 39. Geburtstag vom letzten Jahr, der müsste theoretisch noch nachgeholt werden. Und was machen wir gegen die Geister, die in unserem Kopf herumspuken und uns piesacken, dass wir die letzten Monate echt besser hätten nutzen sollen, also das ganze Fremdsprachelernen-, Häkeln- und Aufräumen-Programm? Alles nicht geschafft? Dafür fünf Kilo mehr auf der Hüfte und der Weinkeller ist leer? Es wird nicht einfach, sich dem normalen Alltag wieder zu stellen, so viel steht fest. Natürlich gibt es einige, die sich so freuen, dass sie keine Zeit haben zum Nachdenken. Aber alle anderen sollen wissen: Ihr seid nicht allein!
Was weiterhin übrigens echt helfen wird, ist: Rücksicht nehmen. Denn bei vielen Mitmenschen löst der Gedanke an die Post-Pandemie-Zeit Stress und Unruhe aus. Haben wir in den letzten Monaten einfach mal gar nichts versäumt, wird es jetzt wieder hart für alle Adabeis (die, die immer und überall auch dabei sein müssen): Die Partys, die kommen werden, die Was-zieh-ich-an-Frage - ja, dieses "raus aus der Jogginghose" wird bei einigen, die sich in einer gewissen Sicherheit gewiegt haben, Ängste auslösen. Auf Deutschlandfunk NOVA sagte vor Kurzem die Modetheoretikerin Barbara Vinken, dass es aber auch gut ist, dem Gammellook endlich wieder zu entkommen, denn "wir sehnen uns nach den Blicken der anderen".
Jetzt kommt also die Unsicherheit, auch "normales Leben" genannt, wie ein Riesenabenteuer auf uns zu - nutzen wir es doch für einen Schaulauf! Oder ein neues Ich. Und an alle, die sich voller Übermut hineinstürzen wollen - bitte die nicht vergessen, die an die Hand genommen werden müssen! Während die, die ihren Partner und ihre wieder zu Hause eingezogenen Kinder mehr als genug gesehen haben, sich vielleicht freuen, wenn alles in normaleren Bahnen läuft, müssen viele Singles ihre Kreise nämlich erstmal wieder öffnen.
Hello, is anybody out there?
Wer gut vorbereitet sein will, denkt jetzt schon mal über Small-Talk-Themen nach. Und auch, was er oder sie sich zumuten möchte. Dr. Inger Burnett-Zeigler, Professorin für Psychiatrie an der Feinberg Medical School in Chicago, rät, den Stress, den die Zeit der Pandemie auf unseren Schultern und in unseren Seelen hinterlassen hat, nicht zu ignorieren: Im "Self"-Onlinemagazin rät sie dazu, sich zu fokussieren auf das, was wirklich wichtig ist, und eine "Bucket List" zu erstellen. So könne man eins nach dem anderen angehen, abarbeiten oder planen, ohne den Überblick zu verlieren. Und irgendwann werden Sie diese Liste nicht mehr brauchen, weil Sie soft in Ihrem neuen Alltag angekommen sein werden.
Auch, seine eigenen Gefühle ernst zu nehmen ist angeraten, so Burnett-Zeigler: "So vieles prasselt auf uns ein, dass wir uns nicht wundern sollten, wenn wir uns selbst nicht logisch vorkommen." Also, vielleicht erstmal im kleinen Kreis draußen essen gehen und nicht gleich auf die Party mit 100 Leuten drinnen (ist das erlaubt, man blickt ja nicht mehr durch, und zählen zweifach Geimpfte tatsächlich GAR nicht? Auch irgendwie diskriminierend). Und wenn Sie keine Lust haben, lassen Sie es langsam angehen. Man kann auch mal einen Tag lang keine Nachrichten verfolgen. Die Welt wird höchstwahrscheinlich nicht untergehen. Oder limitieren Sie Ihre Bildschirmzeit. Wie bei Kindern!
Hart wird es vielleicht für die, die die Pandemie dazu genutzt haben, alles vor sich herzuschieben, also "Pandemie als Ausrede" für "nicht anfangen", "nicht weitermachen", "nicht aus dem Quark kommen". Diese Ausrede fällt nun weg, wir müssen aus dem Parallel-Universum wieder hinaus. Es muss ein Praktikum gefunden werden, ein neuer Job, ein Studienplatz, eine Fortbildungsmaßnahme. Das Chaos des Alltags steht gnadenlos klopfend vor der Tür und es will hereingebeten werden. Empfangen wir es besser mit offenen Armen, als so zu tun, als hörten wir es nicht.
Aber holen Sie sich Hilfe, wenn alles droht, über den Kopf zu wachsen. Und akzeptieren Sie, dass sich Dinge - und Sie sich vielleicht auch - geändert haben. Wir sollten dennoch einiges, was wir in der Zeit der Isolation (einige mehr, andere weniger isoliert) gelernt haben, dringend beibehalten. Zum Beispiel, uns mehr Ruhe zu gönnen. Und nicht vergessen, mit dem Corona-Hund Gassi zu gehen. Und vielleicht sollten wir bei allen Plänen vor allem lernen, den Tag zu genießen. Und die Nacht.
Quelle: ntv.de